Deutscher Gewerkschaftsbund

30.06.2020
Kampf gegen Rassismus und Hetze

„No justice, no peace“

IG Metall seit 50 Jahren im Einsatz für Integration und Solidarität

Seit dem gewaltsamen Tod eines schwarzen US-Zivilisten durch Polizisten demonstrieren Millionen Menschen gegen Rassismus, Gewalt und Hetze. Der IG Metall-Experte Dr. Fessum Ghirmazion zeigt, wie Gewerkschaften Diskriminierung in der Arbeitswelt bekämpfen können.

Demonstrantinnen, sitzend auf dem Boden, eine trägt ein Schild mit der Aufschrift "I can't breathe"

flickr.com/Steve Eason (CC BY-NC-SA 2.0)

Nach einem brutalen Polizeieinsatz Ende Mai in der US-Stadt Minneapolis ist der schwarze Amerikaner George Floyd an den Folgen der Festnahme verstorben. Weltweit sind daraufhin Millionen Menschen gegen Polizeigewalt und Rassismus auf die Straße gegangen. Zwei zentrale Slogan begleiten die Proteste: Neben „Black Lives Matter“ war es vor allem die Forderung „No justice, no peace“ – keine Gerechtigkeit, kein Frieden.

Der Blick in die US-Geschichte macht deutlich, dass die Bewegung gegen Rassismus, für Gleichheit und Gerechtigkeit sehr eng mit den Gewerkschaften verknüpft ist. Im April 1968 hatten die „Memphis Sanitation Worker“ zum Streik aufgerufen. Auslöser war der Tod zweier schwarzer Mitarbeiter während ihres Dienstes und die jahrelange systematische Diskriminierung. Geplant war eine Streikrede von Dr. Martin Luther King. Doch dieser wurde am Abend zuvor, am 04. April in Memphis, Tennessee, ermordet. Bürgerrechtsbewegung und Gewerkschaften standen fortan noch enger Seite an Seite. Doch erst der Einsatz des damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson sorgte schließlich dafür, dass die Gewerkschaften anerkannt und die Löhne erhöht wurden.

"Studien belegen, dass knapp 50 Prozent aller Diskriminierungserfahrungen
in Deutschland im Betrieb gemacht werden."

Auch in Deutschland kümmern sich die Gewerkschaften seit mehr als 50 Jahren um die Themen Migration, Integration und Teilhabe. So richtete die IG Metall bereits 1961 ein Referat für „Ausländische Arbeitnehmer“ ein. 1962 wurden in vielen Betrieben ausländische Vertrauensleute gewählt. Die IG Metall ist die größte politische Organisation in Deutschland, in der Menschen mit Migrationshintergrund ihre Interessen vertreten. 22,5 Prozent ihrer Mitglieder haben einen Migrationshintergrund. Auf Initiative der Gewerkschaften ging entscheidender gesellschaftliche Fortschritt mit der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 1972 einher. Seitdem dürfen alle Arbeitnehmer*innen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit im Betrieb nicht nur wählen, sondern sich auch wählen lassen. Diese rechtliche Gleichstellung gilt bis heute als Meilenstein für mehr politische Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund.

DGB-Newsletter einblick

Jetzt den E-Mail-Newsletter des DGB abonnieren. Der DGB-Infoservice einblick liefert vierzehntägig kompakte News und Infos zu allen Themen, die im Job eine Rolle spielen.

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen.

Eine Studie des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) und der Humboldt Universität zu Berlin (HU) zeigt: Bei Betriebsratswahlen wie auch bei den gewerkschaftlichen Wahlen durch die IG Metall-Mitglieder schneiden die Mitglieder mit Migrationshintergrund sehr gut ab. So haben 25 Prozent aller Betriebsratsmitglieder und 34 Prozent aller Vertrauensleute einen Migrationshintergrund.

Trotz dieser Errungenschaften gibt es in der Arbeitswelt weiterhin Diskriminierung und Rassismus. Die Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes belegt, dass knapp 50 Prozent aller Diskriminierungserfahrungen in Deutschland im Betrieb gemacht werden. 21 Prozent dieser Vorfälle erfolgte anhand der ethnischen Herkunft bzw. aus rassistischen Gründen. Unabhängig vom Bildungsniveau gilt: fast alle Migrant*innen stoßen auf größere Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche. Darum müssen wir – getreu dem Leitspruch „no justice, no peace“ – weiter gegen Ungleichbehandlung vorgehen. Der zentrale Handlungsort für Gewerkschaften und Betriebsräte ist hierfür der Betrieb. Und es gibt bereits ausreichend gesetzliche Instrumente, die es gilt anzuwenden. Zum Beispiel, indem wir die Gründung von Gleichstellungsausschüssen in den Betrieben unterstützen.

"Wir müssen in der aktuellen Corona-Krise wachsam bleiben.
Denn der Ruf nach Sündenböcken ist nicht weit."

Zahlreiche Betriebsräte größerer Unternehmen haben inzwischen Gleichstellungsausschüsse (oder auch Diversity-Ausschuss) geschaffen. Mit Hilfe eines Gleichstellungsberichts können die Gremien den Stand der Gleichstellung im Betrieb analysieren. So geht es unter anderem um die Zusammensetzung der Belegschaft, die diverse Besetzung in Führungspositionen, Beteiligung von Beschäftigtengruppen an Weiterbildungen oder Auffälligkeiten bei Lohn oder Gehalt. Auf Grundlage des Gleichstellungsberichtes kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber Vorschläge unterbreiten, um die Benachteiligung einzelner Beschäftigungsgruppen abzubauen. Auch eine betriebliche Beschwerdestelle nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hilft, gegen Rassismus, Diskriminierungen jeglicher Art vorzugehen.

Wir müssen in der aktuellen Corona-Krise wachsam bleiben. Denn der Ruf nach Sündenböcken ist nicht weit. Aus diesem Grund sind Gewerkschaften gut beraten, wenn sie sich proaktiv und systematisch mit der Frage um Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzen. Die IG Metall ist schon lange aktiv gegen Rechts mit diversen Projekten, in der Bildungsarbeit, den Geschäftsstellen und den Betrieben. Und auch der letzte Gewerkschaftstag im letzten Jahr hat ein ganz klares Zeichen für Vielfalt und ein demokratisches Miteinander gesetzt. Zudem koordiniert eine Steuerungsgruppe beim IG Metall-Vorstand seit 2020 alle Aktivitäten im Kampf gegen Rechts. Im Blick haben wir vor allem die Betriebsratswahlen 2022. Denn dort gilt es, die Stärke der IG Metall zu behaupten und sich gegen Spaltung, Polarisierung sowie Hass zu stemmen. So machen wir klar: Unsere Antwort heißt Solidarität.


Dr. Fessum Ghirmazion, 39, ist Politischer Sekretär im Ressort Migration und Teilhabe beim IG Metall-Vorstand in Frankfurt am Main.


Hintergrund: Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt

Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hat 2018 erstmals detailliert für 34 Herkunftsländer die Ursachen von Diskriminierung am deutschen Arbeitsmarkt untersucht. Forscher*innen haben von 2014 bis 2016 über 6000 fiktive Bewerbungen auf reale Stellenausschreibungen verschickt. Neben dem Herkunftsland der Eltern (Deutschland oder eines von 34 anderen Ländern), ihrem phänotypischem Erscheinungsbild (schwarz, weiß, oder asiatisch) und ihrer Religionszugehörigkeit (keine Religion, christlich, muslimisch oder buddhistisch/hinduistisch) wurden weitere Merkmale der Bewerbungen variiert, wie das Geschlecht oder der Notendurchschnitt. Das Ergebnis: Während 60 Prozent aller Bewerber*innen ohne Migrationshintergrund eine positive Rückmeldung erhielten, war dies nur bei 51 Prozent der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund der Fall – trotz gleicher Qualifikation.

Viele junge Menschen mit Migrationshintergrund, deren Eltern etwa aus europäischen oder ostasiatischen Ländern stammen, haben kaum Nachteile. Dagegen sind die Chancen für Menschen mit Wurzeln in Afrika oder in muslimischen Ländern weitaus schlechter. Als Hauptgrund für ethnische Diskriminierung nennen die Autor*innen kulturelle Distanz, die zur Ablehnung führt. So bevor-zugten Arbeitgeber diejenigen Bewerber*innen, die ihnen am ähnlichsten sind, also ähnliche Werte teilen wie die Mehrheitsbevölkerung in Deutschland.


Nach oben

Alle Ausgaben seit 1999

Aus­ga­ben-Ar­chiv
einblick auf einen Blick
DGB
Alle einblick-Ausgaben auf einen Blick - mit Links zu allen Beiträgen, Grafiken und Urteilen sowie die Gesamtausgabe im ePub-Reader oder als pdf-Download.
weiterlesen …

ein­blick-Wahl­gra­fi­ken
teaser einblick Wahlgrafiken
DGB
So haben Gewerkschafter*innen gewählt: Die Wahlergebnisse aus Landtags-, Bundestags- und Europa-Wahlen seit 2002.
weiterlesen …

einblick - der DGB-Newsletter

ein­blick - DGB-In­fo­ser­vice kos­ten­los abon­nie­ren
einblick DGB-Infoservice hier abonnieren
DGB/einblick
Mehr online, neues Layout und schnellere Infos – mit einem überarbeiteten Konzept bietet der DGB-Infoservice einblick seinen Leserinnen und Lesern umfassende News aus DGB und Gewerkschaften. Hier können Sie den wöchentlichen E-Mail-Newsletter einblick abonnieren.
zur Webseite …

smar­tu­ni­on
Newsletter Header SmartUnion
DGB
In der neuen Rubrik SmartUnion stellt die Redaktion Apps, Tools und Anwendungen vor, die GewerkschafterInnen für ihre tägliche Arbeit nutzen können. Zudem berichten wir über aktuelle Entwicklungen zu den Themen Datenschutz und Datensicherheit.
weiterlesen …

RSS-Feeds des DGB-In­fo­ser­vices ein­blick
einblick Infoservice DGB RSS-Feeds RSS
Hintergrundfoto: Colourbox.de
weiterlesen …

Weitere Themen

So­zi­al­part­ner: Ge­mein­sam für bes­se­re Bil­dungs­chan­cen
Portrait zwei fröhliche Grundschulerinnen
DGB/Dmitriy Shironosov/123rf.com
Der DGB und die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fordern deutlich höhere Investitionen im Bildungsbereich. In einer gemeinsamen Stellungnahme setzen sie sich zudem für eine wirksame Strategie entlang der gesamten Bildungskette unter Einbindung der Sozialpartner ein.
Zur Pressemeldung

49-Eu­ro-Ticket reicht für Ver­kehrs­wen­de nicht aus
Grafiken von Bus und Bahn
DGB
Die Energiepreiskrise erhöht den Druck, endlich eine Verkehrswende umzusetzen, die sozial und ökologisch gerecht ist. Wichtig dafür ist ein gut ausgebauter und bezahlbarer öffentlicher Nahverkehr. Das entlastet nicht nur unseren Geldbeutel in der Inflation, sondern ist auch gut fürs Klima.
weiterlesen …

Ener­gie­preis­pau­scha­le: Al­les, was Sie jetzt wis­sen müs­sen
Eine Hand hält Euro-Geldscheine
DGB/Vladyslav Starozhylov/123RF.com
Von der Energiepreispauschale (EPP) 2022 profitierten alle Arbeitnehmer*innen. Das Geld wurde 2022 vom Arbeitgeber als Zuschuss zum Gehalt ausgezahlt, bei Selbstständigen wurde stattdessen die Steuer-Vorauszahlung gesenkt. Für Studierende gibt es 200 Euro ab März 2023! Wir beantworten Ihre Fragen rund um den Bonus.
weiterlesen …

Wohn­geld­rech­ner und In­fos rund ums neue Wohn­geld
Hellgrüne Icons von einem Hochhaus und einem Einfamilienhaus auf petrolfarbenem Hintergrund
DGB
Viele Menschen können kaum noch ihre Miete zahlen, obwohl sie ein regelmäßiges einkommen haben. Das neue Wohngeld Plus soll Abhilfe schaffen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
zur Webseite …

Was ist ein Ta­rif­ver­trag?
Demonstration: eine Gewerkschafterin hält das Logo der NGG in der Hand, in der Hintergrund rote IG-Metall-Fahnen
DGB/Hans-Christian Plambeck
Ein Tarifvertrag ist ein Vertrag zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften – er regelt Rechte und Pflichten von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgebern. Dazu gehören Arbeitsbedingungen wie Löhne, Arbeitszeit und Urlaub. Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen.
weiterlesen …

Was ha­ben Ge­werk­schaf­ten in der Kri­se für dich er­reicht?
Foto mit Farbfläche und echtgerecht-Logo. Auf dem Foto ist die DGB-Fahne im Vordergrund und viele Gewerkschaftsmitglieder demonstrierend im Hintergrund zu sehen.
DGB/Christian Plambeck
Die Welt ist im Krisen-Dauermodus: Energiekrise, Klimakrise, ein Krieg in Europa, hohe Inflation und die Auswirkungen der Corona-Pandemie bereiten allen Menschen Sorgen. Gewerkschaften stehen auf der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Welche Erfolge haben wir erreicht? Was bringt unser Einsatz in der Krise konkret für dich?
weiterlesen …

ein­blick - DGB-In­fo­ser­vice kos­ten­los abon­nie­ren
einblick DGB-Infoservice hier abonnieren
DGB/einblick
Mehr online, neues Layout und schnellere Infos – mit einem überarbeiteten Konzept bietet der DGB-Infoservice einblick seinen Leserinnen und Lesern umfassende News aus DGB und Gewerkschaften. Hier können Sie den wöchentlichen E-Mail-Newsletter einblick abonnieren.
zur Webseite …