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Bundesweit fehlen bezahlbare Wohnungen – und die Corona-Krise hat die Lage verschärft. Durch Einkommenseinbußen bangen viele MieterInnen um ihr Zuhause. Der Neubau von bezahlbarem Wohnraum kommt einfach nicht hinterher. Der DGB fordert die Politik auf, dringend zu handeln.
DGB/Hellen Sergeyeva/123rf.com
Es ist eine wirklich schöne Wohnung, unsanierter Altbau, gut 100 Quadratmeter, sonnendurchflutet und mitten in einem zentralen Viertel. Allerdings muss einiges modernisiert werden, der Eigentümer will kräftig investieren. Und vor allem kassieren: Während der Mietspiegel hier bei fast neun Euro liegt, fordert er 13,50 Euro pro Quadratmeter. Das wären 1700 Euro Warmmiete. Die Bewerberfamilie sagt entgeistert ab.
Jeder kennt mittlerweile diese Situation selbst oder aus dem Freundeskreis: Vor allem in den beliebten deutschen Großstädten steigen die Mieten unaufhaltsam und sind schon für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen unbezahlbar geworden. Auch die Pandemie hat daran nichts geändert, es fehlen Wohnungen, insbesondere bezahlbare Wohnungen. DGB und Gewerkschaften fordern, dass endlich mehr gebaut wird: Mindestens 400 000 Wohnungen müssten es jährlich sein, die neu gebaut gehören, davon mindestens 100 000 Sozialwohnungen, 6 Mrd. Euro müssten dafür an Fördergeldern bereit gestellt werden. Schließlich gab es 1990 noch 3 Millionen Sozialwohnungen, heute sind es nur noch knapp über eine Million.
„Wohnen darf kein Luxus sein“, sagt DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Zudem sollen Genossenschaften, öffentliche Wohnungsunternehmen und gemeinwohlorientierte Unternehmen gestärkt werden. Und: Die 1990 weggefallene Wohnungsgemeinnützigkeit soll wieder eingeführt werden. Sie hat lange Jahre für bezahlbaren Wohnraum gesorgt; als das Recht 1990 gestrichen wurde, verloren 1800 gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen ihre Steuerprivilegien, der gemeinnützige Wohnungsbau ging drastisch zurück und viele ehemals gemeinnützige Wohnungsbestände werden heute an der Börse gehandelt.
Dabei ist es nicht so, dass nichts passiert wäre seit der Wohnraumoffensive der Bundesregierung 2018. Immerhin wurden pro Jahr etwa 300 000 Wohnungen gebaut, darunter 25 000 Sozialwohnungen, hat die Bundesregierung erst kürzlich verkündet. Rund 1 Mrd. Euro pro Jahr würden dafür ausgegeben, heißt es. Es wurde auch das Baukindergeld eingeführt, und die Maklergebühr zahlen mittlerweile in der Regel die Eigentümer. Und: In Gebieten mit angespannter Wohnungslage gilt noch die nächsten fünf Jahre die Mietpreisbremse, die zumindest teilweise große Mieterhöhungen verbietet. Auch regional hat organisierter Widerstand von Gewerkschaften und Mieterbündnissen immer wieder Erfolg: In Nordrhein-Westfalen hat ein Bündnis aus Gewerkschaften und Mietern rechtzeitig verhindert, dass Mieterrechte gesetzlich geschliffen wurden.
Aber: Es reicht nicht. Denn gleichzeitig fielen jährlich ca. 65 000 Wohnungen aus der Sozialbindung heraus, heute gibt es nur noch 1,14 Millionen. Die Mieten steigen, die Wohnungen fehlen, immer mehr Menschen, vor allem Familien, müssen entweder wesentlich mehr bezahlen, oder auf Randgebiete ausweichen und lange Wege zur Arbeit in Kauf nehmen – oft genug geht das dann nur mit dem Auto.
„Die Bundesregierung bleibt weit hinter ihren selbstgesteckten Zielen zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zurück: Der Wohnungsneubau stagniert weiterhin. Die Baulandpreise in Ballungszentren schnellen nach wie vor in die Höhe. Der Bestand an Sozialwohnungen ist dramatisch rückläufig“, resümiert die Kampagne „Mietenstopp“, an der sich auch der DGB beteiligt (www.mietenstopp.de). Die Kampagne fordert deshalb einen sofortigen bundesweiten Mietenstopp für die kommenden sechs Jahre. „Coronabedingt haben viele Beschäftigte Einkommenseinbußen und damit Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Gerade sie brauchen einen Mietenstopp“, fordert DGB-Vorstand Stefan Körzell. „Um den Wohnungsmarkt auf Dauer zu beruhigen, müssen Bund und Länder massiv in den Bau bezahlbarer Mietwohnungen investieren. Mindestens 6 Milliarden Euro sind notwendig, um jährlich den Bau von 100 000 Sozialwohnungen zu fördern.“
Andere Maßnahmen wie Mietpreisbremse und Mietendeckel helfen zwar ein wenig, sie schützen Mieterinnen und Mieter teilweise vor rasanten Erhöhungen, aber zu einem Neubau führen sie nicht.
Wer eine Wohnung sucht, muss oft genug trotz Bremse wesentlich mehr zahlen. Gleichzeitig verknappen Spekulanten, die freies Geld in Kapitalanlagen wie Wohnungen pumpen und diese dann häufig leer stehenlassen oder als Ferienwohnungen vermieten, das Angebot.
Zweckentfremdung und Leerstand verschärfen die Wohnungsnot. Anfang 2020 gab es z.B. in Berlin 25 000 Wohnungen und Zimmer in AirBnB. Damit wird nicht nur Wohnraum dem allgemeinen Mietmarkt entzogen – es kommt auch zu Verteuerungen in der Nachbarschaft. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung wies nach, dass eine 100qm-Wohnung mit AirBnB als Nachbarn um bis zu 156 Euro teurer werden kann.
Eine Lösung bleibt der Neubau – nur zu erreichen mit Druck auf die Politik, damit sich mit der Bundestagswahl im September eine neue Regierung endlich mehr für die Wohnungssuchenden einsetzt. „Für eine langfristige Entspannung ist eine Ausweitung des Angebots unerlässlich“, betont Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung.
Auch die Parteien stellen sich allmählich in ihren Wahlprogrammen zu dem Thema auf. Die SPD verspricht unter anderem in ihrem Entwurf ein Mietenmoratorium, das den Anstieg der Mieten auf Inflationsrate bremst und eine Entfristung der Mietpreisbremse. Es sollen weiterhin jährlich mindestens 100 000 Sozialwohnungen entstehen. Damit mehr und günstiger gebaut wird, wollen die Sozialdemokraten die Bodenpolitik am Gemeinwohl orientieren, also zum Beispiel die Spekulation mit Boden stoppen. Sie befürworten auch eine Wiedereinführung des Wohngemeinnützigkeitsrechts. Der Entwurf des Zukunftsprogramm wird derzeit in den SPD-Gremien beraten und soll im Mai vom Parteitag beschlossen werden.
Die Linken wollen den Berliner Mietendeckel bundesweit ausdehnen, einen neuen Mietspiegel einführen und 10 Mrd. Euro pro Jahr in Sozialwohnungen sowie den kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbau investieren. Zudem müsse es in jedem Viertel einen Mindestanteil an Sozialwohnungen geben. Auch hier gilt: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, der Entwurf muss beraten und beschlossen werden.
Die anderen Parteien sind in ihren Programmen noch nicht so weit. Allerdings fordern die Grünen in ihrem Grundsatzprogramm „bessere Instrumente für eine gesetzliche Begrenzung der Miethöhe“ und eine gesetzlich verankerte Mitbestimmung der Mieterinnen und Mieter. Auch sie wollen die Spekulation von Wohnraum unterbinden und gegen die „zunehmenden Vermögenskonzentration über den Immobilienmarkt“ angehen.
Die CDU/CSU, die – nach bisherigem Stand – ein gemeinsames Wahlprogramm erstellen möchte, fordert im Entwurf ihres Grundsatzprogramms ebenfalls mehrere Maßnahmen für bezahlbares Wohnen. So sollen die Kommunen ausreichend Bauland ausweisen; Bauen müsse einfacher und schneller möglich sein. Zudem müsse „das Wohnen durch das Mietrecht sozial flankiert sein“. Die Richtung scheint Immobilienunternehmen zu gefallen, sie spendeten der CDU 1,5 Mio. Euro.
Die FDP, die ebenfalls noch an ihrem Wahlprogramm arbeitet, möchte „die Wohnungsnot durch Neubau bekämpfen, private Investoren gewinnen und einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer für Selbstnutzer schaffen“. Es müsse mehr und schneller Bauland ausgewiesen werden.
Doch all die Pläne und Forderungen dürften ins Leere laufen, wenn nicht vor Ort jemand anpackt. Als Vorbild dafür gilt Hamburg: Dort hat die Stadt bereits 2011 ein Bündnis mit den Verbänden der Wohnungswirtschaft geschlossen. Die Stadt garantierte, dass die Genehmigungen schneller werden, und die Projekte gefördert würden. Die Wohnungswirtschaft ihrerseits war bereit, ein Drittel als geförderte Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Hamburg stellte Personal ein. Seitdem wird kräftig gebaut, seit 2011 sind über 60 000 Wohnungen entstanden. So viel, dass sich bereits erste negative Folgen zeigen: Der Boden wird knapp. Den Bürgermeister, der dieses Bündnis initiierte, kennen übrigens viele Menschen: Es war Olaf Scholz.