Deutscher Gewerkschaftsbund

26.03.2021

Nah bleiben trotz (digitalem) Abstand

einblick April 2021

Seit rund einem Jahr können persönliche Treffen, Besprechungen oder Konferenzen nicht mehr in gewohnter Form stattfinden. Viele Formate werden ins Digitale verlagert. Was bedeutet dies für Kommunikation, Gemeinschaftsgefühl und Aktionen von Gewerkschaften?

Übereinander gelegte Hände mehrerer Personen (Symbolbild: Team)

Colourbox.de

Die Corona-Pandemie hat die Arbeits- und Lebensbedingungen schon jetzt erheblich verändert. Sie hat Auswirkungen auf die betrieblichen, tariflichen und politischen Auseinandersetzungen der Gewerkschaften und ihrer Gremien. In Zukunft werden mehr digitale Konferenzen und Formate durchgeführt. Zentral und unterbelichtet bleibt jedoch die Frage: Wozu überhaupt noch Präsenzveranstaltungen? Was ist ihr Mehrwert?

Porträt Birgit Ladwig

Birgit Ladwig, 56, ist Sekretärin des Gewerkschaftsrats bei ver.di. Copyright: Uli Grohs

Die einschneidende Veränderung, die hier betrachtet wird, besteht darin, dass Beschäftigte, Mitglieder und FunktionärInnen derzeit nicht oder zumindest kaum in Präsenzterminen miteinander arbeiten können. Oder diese Präsenzveranstaltungen finden in kleineren Runden unter erheblichem Mehraufwand an Planung statt, um das gesundheitliche Risiko zu minimieren.

Doch: Wo immer es möglich ist, muss es weiter Präsenzsitzungen in Gremien geben, die grundsätzlich über die politische Ausrichtung von Gewerkschaften bestimmen. In solchen Treffen bilden sich über die Zeit starke kollegiale Beziehungen, es wächst Vertrauen. Man teilt die notwendige inhaltliche und organisatorische Arbeit, und es formiert sich eine differenzierte politische Willensbildung. Der direkte Austausch ist enorm wichtig, um gewerkschaftliche Strategien zu entwickeln, die in Konfliktsituationen unter Druck einer Gegenseite Bestand haben.

Kommunikation und Macht haben eine starke körperliche Seite. Moderne Technik ermöglicht und erleichtert zwar einerseits Kommunikation, steht aber auch zwischen den Menschen. Als Beispiel sei hier die Foto-Petition im Gesundheitswesen der Gewerkschaft ver.di genannt – was keine Kritik an der Aktion selbst ist, im Gegenteil. Da sollen Fotos eingeschickt werden, die von jemandem dann zu einer großen Masse oder mehreren Transparenten zusammengefügt werden, damit es den Eindruck macht, als stünden ganz viele Leute für ein Thema zusammen. Das ist wichtig, doch nicht das Gleiche wie die richtige Präsenz.

Der direkte Austausch ist enorm wichtig, um gewerkschaftliche Strategien zu entwickeln.

Eine Präsenzveranstaltung lässt mehr Varianten des Sprechens und Zuhörens und nonverbaler Kommunikation zu. Zwar kommt es darauf an, mit welcher Art von digitaler Konferenz man den Vergleich zieht, denn es sind auch komplexe digitale Konferenzen umsetzbar. Allerdings kann dabei viel mit Technik „manipuliert“ werden. „Manipulation“ oder – neutraler ausgedrückt – Überzeugung mittels der Kraft der freien Rede ist direkter und fairer.

Bei Präsenz kann auch mehr gleichzeitig passieren. Ein Individuum interagiert stärker mit der Gruppe oder Teilen dieser Gruppe (dies oft gleichzeitig); umgekehrt kommuniziert die Gruppe intensiver mit Einzelnen. In Pausen, aber auch während Sitzungen, entstehen leichter informelle Gespräche, die Aspekte einbringen, die nicht auf der Tagesordnung stehen. Man kann in vertrauteren kleineren Kreisen miteinander sprechen. In Gremien können neue Mitglieder sich so besser und umfassender bekannt machen.

Eine wichtige Rolle spielt die Öffentlichkeit. Gewerkschaften führen ihre Kundgebungen, Demonstrationen und Streikaktionen in Nicht-Pandemie-Zeiten häufig im öffentlichen Raum durch, so dass sie von Passanten und anderem Publikum bemerkt wurden und die beteiligten Gewerkschafter*innen auch merken, wie diese Zuschauer*innen auf sie reagieren. Dafür sind keine Verabredungen oder Einladungen nötig.

Hilfe, Unterstützung und Kampf haben tatsächlich etwas mit physischer Nähe und Beistehen zu tun.

Will man unbeteiligte Dritte im Netz auf digitale gewerkschaftliche Ereignisse aufmerksam machen, geht das nicht so im Vorübergehen. Da muss die Gewerkschaft kommunikativ zielgerichteter vorgehen, was auch seine Vorteile haben mag. Jedoch entfallen die Spontaneität, der Überraschungseffekt und die Wucht der persönlichen Begegnung, ja die Konfrontation. Hilfe, Unterstützung und Kampf hat tatsächlich etwas mit physischer Nähe und Beistehen zu tun. Deshalb müssen sich Gewerkschaftsmitglieder real begegnen, um sich einander zu vergewissern.

Es geht hier nicht ums Lamentieren über die derzeit schwieriger oder unmöglich zu veranstaltenden Präsenzversammlungen. Es sollte aber herausgearbeitet werden, was das Besondere an „echten“ Gewerkschaftsversammlungen ist. Dann weiß man besser, wie digitale Treffen zu gestalten sind, damit sie möglichst gut die Nebenfunktionen und -effekte einer traditionellen Veranstaltung erfüllen. Zudem muss besonders gut darüber nachgedacht werden, welche Themen und Entscheidungen in digitalem oder Echt-Format bearbeitet werden sollen. Der Zwang, die Corona-Schutzmaßnahmen zu beachten, hat Kreativität und Ideen freigesetzt. Die brauchen wir für die nächste Zeit digital und real – und wir haben sie auch!

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