Deutscher Gewerkschaftsbund

PM 133 - 15.07.2008

Nationaler Integrationsplan - DGB zieht Zwischenbilanz

Zwei Jahre nach dem 1. Integrationsgipfel ziehen DGB und Gewerkschaften eine erste Zwischenbilanz. „Eine historische Wende zur Einwanderungsgesellschaft ist mit dem Nationalen Integrationsplan (NIP) nicht verbunden“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach am Dienstag in Berlin und kritisierte, dass insbesondere rechtliche und politische Rahmenbedingungen ausgeblendet wurden.

„Schon bei der Zielsetzung gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Gewerkschaften und Bundesregierung“, unterstrich Buntenbach. „Der DGB betont die Notwendigkeit sowie Chancen von Migration und will Partizipation und Chancengleichheit für Migrant/innen verbessern. Die Bundesregierung hingegen setzt vor allem auf die Beseitigung vermeintlich vorhandener Defizite auf Seiten der Migrant/innen.“ Dennoch sei es gelungen, im NIP wichtige Integrationsbausteine „festzuklopfen“, die umgesetzt und weiterentwickelt werden müssten.

Der DGB und die Gewerkschaften IG Metall, GEW und IG BCE haben sich bei der Entwicklung des NIP auf die zentralen Felder Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt konzentriert und in der Arbeitsgruppe 3 „Gute Bildung und Ausbildung sichern, Arbeitsmarktchancen erhöhen“, ihre Empfehlungen eingebracht und Selbstverpflichtungen übernommen.

„Spätestens seit der ersten PISA-Untersuchung wissen alle, dass der erfolgreiche Schulbesuch in Deutschland besonders von der sozialen und ethnischen Herkunft abhängig ist“, konstatierte die stellvertretende GEW-Vorsitzende Marianne Demmer, „doch trotz aller wissenschaftlichen Belege hat sich seither nichts grundlegend verändert.“ Notwendig sei ein Bildungssystem, das allen jungen und älteren Menschen vom Kindergarten bis zur Aus- und Weiterbildung das Recht auf Bildung und Ausbildung garantiere und gleiche Teilhabechancen biete – doch davon sei man weit entfernt.

„Damit der für die Integration so wichtige Kindergartenbesuch nicht weiter vom Geldbeutel der Eltern abhängt, muss der Besuch schrittweise beitragsfrei gemacht werden“, forderte Demmer. Darüber hinaus sei eine verstärkte interkulturelle Aus- und Weiterbildung der Erzieher/innen sowie der Lehrkräfte erforderlich.

Überwunden werden müsse auch die frühe Aufteilung der Schüler/innen auf verschiedene Bildungsgänge und Schulformen. „Wer auf der Hauptschule landet, die mittlerweile fast überall zur ungeliebten Restschule für problembeladene Kinder geworden ist, hat von vornherein schlechte Karten. Deshalb fordern wir eine gemeinsame Schule für alle, in der die Kinder möglichst lange mit- und voneinander lernen.“

Jugendliche mit Migrationshintergrund sind gegenüber deutschen Jugendlichen auch beim Einstieg in die Ausbildung benachteiligt – trotz gleicher schulischer Leistungen. Viele Unternehmen und Arbeitgeberverbände unterstellen immer wieder die mangelnde Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen und schrauben gleichzeitig die Einstiegsanforderungen hoch. „Weitaus sinnvoller als die bestehende staatliche Förderung von Einstiegspraktika sind tarifliche Lösungen, die Jugendlichen mit schlechten Startchancen einen Einstieg in die Ausbildung ermöglichen“, erläuterte Michael Vassiliadis, Mitglied im Geschäftsführenden Hauptvorstand der IG BCE. Bereits seit 1989 existiert der „Tarifvertrag zur Förderung der Integration von Jugendlichen in der chemischen Industrie." Zweck dieses Tarifvertrages ist es, Jugendlichen, die keinen Ausbildungsvertrag haben, Fertigkeiten zu vermitteln, die sie anschließend zur Aufnahme einer Ausbildung oder einer beruflichen Tätigkeit befähigen. Dazu gehören ausdrücklich auch Jugendliche mit Migrationshintergrund.

Über die gemeinsame Initiative in der chemischen Industrie haben zwischen 2000 und 2006 mehr als 70 Prozent der 1.400 geförderten Jugendlichen im Anschluss eine qualifizierte Berufsausbildung aufgenommen. „Wir fordern daher von der Bundesregierung, diese Tarifverträge aktiv zu unterstützen und nicht allein auf Praktika zu setzen", sagte Vassiliadis.

Um den Vorbehalten und Vorurteilen der Personalchefs gegenüber Migrantenjugendlichen etwas entgegen zu setzen, haben viele Unternehmen – vor allem in der Chemie-, Metall- und Elektroindustrie – auf Anregung der Betriebsräte Vereinbarungen zur Gleichbehandlung abgeschlossen. Im Bereich der IG BCE beispielsweise bei Aventis, Evonik (Infracor Degussa) oder Sasol Wax. „Mit diesen Betriebsvereinbarungen werden nicht nur Zeichen gesetzt, sondern auch klare Regeln geschaffen", erläuterte Vassiliadis. So dürften nach der Vereinbarung von FRAPORT (ver.di) die kulturelle und ethnische Herkunft bei der Auswahl von Auszubildenden nicht berücksichtigt werden.

Durch den Abbau von Arbeitsplätzen im gewerblichen Bereich und bei gering qualifizierten Tätigkeiten sind Migrant/innen überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. „Ihnen fehlt die passgenaue Weiterqualifizierung“, sagte Vassiliadis. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Unternehmen einerseits Fachkräftemangel beklagten, gleichzeitig aber ihre Anstrengungen bei der Fort- und Weiterbildung zurückfahren. „Nur noch die Hälfte aller Betriebe bietet ihren Beschäftigten entsprechende Maßnahmen an. Dabei gibt es sogar finanzielle Unterstützung von der Bundesagentur für Arbeit.“ Über das Programm „Weiterbildung gering Qualifizierter und Älterer in Unternehmen“ (WeGebAU) können die Weiterbildungskosten finanziert und Entgeltzuschüsse gewährt werden.

Zu den nicht im Integrationsplan enthaltenen Handlungsfeldern gehören die Einbürgerung, die Beteiligung an Wahlen sowie die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung. Die Gewerkschaften fordern Erleichterungen bei der Einbürgerung ohne Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit. „Der jetzt veröffentlichte Einbürgerungstest wurde mit der heißen Nadel gestrickt und enthält viele sachliche Fehler“, kritisierte Buntenbach. „Auch viele Menschen ohne Migrationshintergrund stehen ratlos vor den Fragen.“

Gemeinsam stellten Marianne Demmer, Michael Vassiliadis und Annelie Buntenbach fest, dass eine nachhaltige gesellschaftliche und ökonomische Integration der Migrant/innen nur dann zu erreichen sei, wenn sie mit all ihren kulturellen Wurzeln anerkannt werden. „Zweisprachigkeit und bikulturelle Erfahrungen sind in der globalisierten Welt ein Schatz, dessen sich die deutsche Gesellschaft endlich bewusst werden muss“, betonten die Gewerkschafter. Deshalb müsse auch alles getan werden, um die bis weit in die Mitte der Gesellschaft reichende Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen.


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