Deutscher Gewerkschaftsbund

22.08.2023
Renteneinstiegsalter

5 Gründe gegen ein spätes Renteneintrittsalter

Warum die Rente mit 70 keine Lösung ist

Das geltende Recht lässt das Rentenalter bis Ende des Jahrzehnts von einst 65 auf dann 67 Jahre steigen. Wirtschaftsvertreter*innen und etliche Wissenschaftler*innen wollen das Alter danach weiter auf 70 Jahre anheben oder an die fernere Lebenserwartung koppeln. Aber ist das wirklich nötig? Hilft das gegen steigende Rentenkosten und Fachkräftemangel? Und vor allem, ist das gerecht und sozial ausgewogen? Wir sagen nein und lehnen eine weitere Anhebung strikt ab. Dafür gibt es gute Gründe.

Älterer Mann und ältere Frau im Gespräch während Arbeit vor Bildschirm

Colourbox

Am 1. Dezember 2022 hat die Bundesregierung zusammen mit ihrem jährlichen Rentenversicherungsbericht den ergänzenden Bericht zur Anhebung der Regelaltersgrenze vorgelegt. Dazu sagt DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel:

"Für viele Beschäftigte ist das nicht nur dramatisch, sondern katastrophal. Von sechs Versicherten muss eine vorzeitig in Erwerbsminderungsrente gehen. Jeder vierte Mann und jede siebte Frau stirbt aktuell vor der Regelaltersgrenze. Eine dramatischere Rentenkürzung ist wohl kaum denkbar. Die Anhebung des Rentenalters ist eine Rentenkürzung und Umverteilung von den Versicherten zu den Unternehmen. Damit erklärt sich auch, wieso gerade die Unternehmen und ihnen nahestehende Wissenschaftler*innen immer höhere Altersgrenzen fordern und wieso diese Forderungen sozial absolut ungerecht sind und bleiben."

  • 1. Die Rente mit 70 ist: Unerreichbar

    Die meisten Menschen gehen vor ihrem 65. Lebensjahr in Rente (durchschnittlich mit 64 Jahren und 4 Monaten). Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen häufig in der physischen und psychischen Belastung am Arbeitsplatz. Gingen 2010 noch die Hälfte vor dem 64. Lebensjahr in Rente, ist es heute nur noch jeder fünfte.

    Und vor dem 63. Lebensjahr geht kaum noch jemand (unter 3 Prozent). Das Gerede die Menschen würden immer früher in Rente gehen, zeugt von totalem Verleugnen der Sachlage. Wichtig ist: Den Rentenbeginn, also das Alter wie früh eine Rente bezogen werden darf, bestimmt das Rentenrecht. Es sagt aber sehr wenig darüber aus, ob die Menschen überhaupt so lange arbeiten können. Es sagt nicht, ob die Menschen die Rente gesund und in Arbeit erreicht haben.

    Tortendiagramme zum Vergleich des Rentenbezugsalters zwischen den Jahren 2010 und 2022

    Vergleich des Rentenbezugsalters zwischen den Jahren 2010 und 2022 Quelle: DGB, eigene Darstellung. Daten der Deutschen Rentenversicherung Bund, statistik-rente.de

    Das offizielle Rentenalter steigt aktuell schneller als die Lebenserwartung

    Das geltende Recht legt den Beginn der Regelaltersrente auf die Vollendung des 67. Lebensjahrs und hebt damit das Rentenalter schneller an als die Lebenserwartung der Menschen tatsächlich steigt.

    Liniendiagramm: Anstieg von Lebenserwartung im Alter 65 und Regelaltersgrenze (in Monaten)

    Quelle: DGB; eigene Berechnung. Daten des Statistischen Bundesamts, Kohortensterbetafel 2020, Variaten V1 und V2 der Lebenserwartung gemitttelt.

    Vom Jahrgang 1947 bis 1958 wurde pro Jahrgang der Rentenbeginn um einen Kalendermonat angehoben. Für Männer also rund 2 Monate weniger als die Lebenserwartung gestiegen ist, bei Frauen ist die Altersgrenze gut einen Monat mehr gestiegen als die Lebenserwartung. Die steigende Lebenserwartung wurde also fast komplett in längeres Arbeiten überführt.

    Ab Jahrgang 1958 steigt das Rentenalter um 2 Monate pro Jahrgang. Das ist fast doppelt so schnell wie die Lebenserwartung steigt. Der Jahrgang 1964 muss also 12 Monate länger arbeiten als der Jahrgang 1958, lebt aber nur 6 (Frauen) bzw. 7 (Männer) Monate länger. Die erwartete Rentenbezugsdauer des Jahrgangs 1964 ist also um rund 6 Monate kürzer als die des Jahrgangs 1958.

    Liniendiagramm Lebenserwartung im Alter für Regelaltersrente

    Quelle: DGB; eigene Berechnung. Daten des Statistischen Bundesamts, Kohortensterbetafel 2020, Variaten V1 und V2 der Lebenserwartung gemitttelt.

  • 2. Die Rente mit 70 ist: Unrealistisch

    Wer nicht bis 70 arbeiten kann, muss mit drastischen Kürzungen (Abschlägen) bei der Rente rechnen. Der Rentenabschlag beträgt für jedes Jahr, das man früher in Rente geht bzw. gehen muss, 3,6 Prozent der ursprünglichen Rente pro Jahr. Einen früheren Rentenbeginn können sich daher viele kaum leisten. Und trotzdem ist schon heute jede 6. Rente vor dem 65. Lebensjahr mit Abschlägen verbunden.

    Selbst wenn die Lebenserwartung stark ansteigt, sterben z. B. vom Jahrgang 1990 mehr als jeder 8. Mann und fast jede 13. Frau vor dem 70. Lebensjahr. Steigt die Lebenserwartung nicht so stark, dann wäre sogar gut jeder 6. Mann und gut jede 10. Frau vor dem 70. Geburtstag gestorben. Je höher das Rentenalter angehoben wird, desto mehr sterben schon vor Erreichen der Regelaltersrente. Das senkt natürlich die Kosten der gesetzlichen Rentenversicherung enorm, ist aber nichts anderes als eine Rentenkürzung für die, die aufgrund von hoher Arbeitsbelastung, ungesunden Lebens- und Arbeitsbedingungen oder genetischer Prädisposition früh versterben.

  • 3. Die Rente mit 70 ist: Ungerecht

    Ein höheres Renteneintrittsalter benachteiligt künftige Generationen, denn sie sollen länger einzahlen, um dann kürzer Rente zu bekommen. Ein höheres Rentenalter für alle führt auch nicht zu mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen, sondern zu größerer Ungerechtigkeit innerhalb der Generationen – insbesondere denen gegenüber, die nach einem langen Arbeitsleben nur eine kurze Rentenbezugsdauer zu erwarten hätten. Denn die Lebenserwartung und die Erwerbsbeteiligung im Alter sind ungleichmäßig verteilt. Das hängt unter anderem mit Arbeitsbelastung und Einkommen zusammen.

    Eine neue Studie zeigt die Folgen, wenn das Alter für den frühesten Rentenbeginn angehoben wird. Einige Menschen arbeiten tatsächlich länger, weil sie können und müssen. Die Studie zeigt den Preis dafür: Mehr Menschen werden erwerbsgemindert oder arbeitslos und durch das angehobene Rentenalter sterben etliche Menschen vor Erreichen des Rentenalters. Früher stirbt vor allem, wer körperlich oder psychisch überlastendende Arbeit hat. Bei jenen mit leichterer, anregender Arbeit und wenig negativer Belastung steigt die Sterblichkeit nicht an. Die Studie zeigt somit, dass ein höheres Rentenalter die Ungleichheit massiv erhöht. Für die Schwächsten heißt ein höheres Rentenalter also, länger arbeiten und früher sterben.

  • 4. Die Rente mit 70 ist: Unvorbereitet

    Die Unternehmen sind zu oft nicht auf ältere Kolleg*innen eingestellt. Gerade dort, wo mit hoher körperlicher oder psychischer Belastung gearbeitet wird, ist eine Beschäftigung bis zum Rentenalter nicht ohne weiteres möglich. Und trotz Arbeitskräftebedarf stellen viele Arbeitgeber weiterhin ältere Menschen – ebenso wie Menschen mit Behinderung - nicht ein oder wollen sie so früh wie möglich loswerden.

  • 5. Die Rente mit 70 ist: Unsozial

    Die Erhöhung des Renteneintrittsalters ist eine verkappte Rentenkürzung. Und das, obwohl die gesetzliche Rente alleine schon heute oft nicht zum Leben reicht. Wer ein höheres Rentenalter nicht erreichen kann, muss für den Rest seines Lebens entweder höhere Abschläge oder längere Zeiten der Arbeitslosigkeit oder Krankheit hinnehmen, bevor sie/er in Rente gehen kann. Vielfach wächst einfach die Lücke zwischen dem Ende des Arbeitslebens und dem frühestmöglichen Rentenbeginn. Gewinner sind allein die Arbeitgeber, denen ein höheres Rentenalter geringere Beitragsätze zur Rentenversicherung bescheren würde.

Rechnen Sie mit dem DGB-Rentenrechner aus, wie hoch Ihre Rente sein wird:


Nach oben

Bericht zur Rentenpolitik

Neue Si­cher­heit für al­le Ge­ne­ra­tio­nen
Familie mit mehreren Generationen lacht in die Kamera
DGB/Mark Bowden/123rf.com
Für eine gute Rente braucht es eine hohe Erwerbsbeteiligung, gute Entgelte, gesunde Arbeitsbedingungen und sichere Übergänge vom Erwerbsleben in die Rente. Der vorliegende Bericht umfasst nicht nur unsere Position für eine gute Rente, sondern auch viele gute Argumente, warum sie notwendig, gerecht und finanzierbar ist.
weiterlesen …

Rentenpolitik aktuell

Rentenpolitik
Wei­te­re Ver­bes­se­run­gen bei der Ren­te nö­tig
Älteres Paar schaut aus dem Fenster
DGB/marina113/123rf.com
In 2022 gab es Verbesserungen bei der Rente, aber auch kleine Rückschritte auf dem Weg zu einem stabilen und angehobenen Rentenniveau. In 2023 geht es nun darum das Rentenniveau dauerhaft zu stabilisieren und Rentenkürzungen zu verhindern.
weiterlesen …