Deutscher Gewerkschaftsbund

12.05.2023
Sozialwahl 2023

Selbstverwaltung: Was ist das?

Was es mit Verwaltungsräten der Kranken- und Pflegekassen sowie Versichertenversammlungen auf sich hat

Bei den Sozialwahlen entscheiden wir als Versicherte alle sechs Jahre darüber, wer uns in den Selbstverwaltungsorganen der Sozialversicherungen vertritt. 2023 ist es wieder so weit: Bis 31. Mai wählen!

Die gewählten Selbstverwalter*innen engagieren sich für die soziale Absicherung durch die Sozialversicherungen und vertreten dort die Interessen der Versicherten. Dabei ist es nicht nur ihre Aufgabe, die Versicherteninteressen zu kennen und gegenüber den Versicherungsträgern zu kommunizieren, sondern auch aktiv dafür einzutreten. Ihr Ziel ist es, dass sich das Handeln der Versicherungsträger an den Interessen und Bedürfnissen der Versicherten orientiert.

Teaserbild Sozialwahl 2023 mit Mann in Badewanne mit Beschriftung "Egal wann"

DGB

Als Mitglieder der Verwaltungsräte oder Versichertenversammlungen kontrollieren Selbstverwalter*innen die Verwaltung und wirken bei Entscheidungen mit, die sich unmittelbar auf die Leistungen und Finanzierung der Kranken-, Pflege-, Unfall- und Rentenversicherung auswirken.

Sie sorgen so dafür, die Sozialversicherungen möglichst solidarisch, lebensnah und bedarfsgerecht zu gestalten. Dies macht sie zu einem wichtigen Bestandteil unseres Sozialstaats.

Aufgaben der Selbstverwaltung

Die Mitglieder der Selbstverwaltung nehmen eine ganze Reihe unterschiedlicher Aufgaben wahr und tragen so entscheidend zu den Leistungen und der Finanzierung der Sozialversicherungen bei. Grundsatz ist dabei stets, die Interessen der Versicherten zu vertreten. Konkret beinhaltet dies unter anderem:

  • den Haushalt zu beschließen,
  • den Vorstand zu wählen,
  • den Vorstand und die Geschäftsführung zu kontrollieren,
  • steuernd einzugreifen, z.B. im Fall von Eigenmächtigkeiten, Fehlurteilen oder Rechtsbeugungen,
  • in den Widerspruchsausschüssen darüber zu entscheiden, ob Widerspruchsanträgen von Versicherten stattgegeben werden,
  • zu entscheiden, welche Präventions- sowie Reha-Maßnahmen die Krankenkassen und die Rentenversicherung fördern und übernehmen.

Selbstverwaltung – Ein Ehrenamt 

Die Tätigkeit als Mitglied der Selbstverwaltung ist ein Ehrenamt.

Die Ehrenamtlichkeit der Selbstverwalter*innen schützt vor willfährigem "Abnicken", da ihre wirtschaftliche Existenz anderweitig sichergestellt ist. Darüber hinaus basiert das Ehrenamt auf Freiwilligkeit. Wer sich freiwillig für ein solches Amt zur Verfügung stellt, ist erfahrungsgemäß engagiert und bereit, Verantwortung zu übernehmen und im besten Sinne der Gesellschaft zu handeln.

Wissenswertes zur Selbstverwaltung

  • Warum gibt es die Selbstverwaltung?

    Schon kurz nach Gründung der Bundesrepublik waren sich die meisten Parteien über das einig, was Bundeskanzler Adenauer so formulierte: Die Selbstverwaltung muss an die Stelle staatlicher Bevormundung treten. Für die Sozialversicherungen hieß das: Wer einzahlte, sollte auch mitbestimmen können – in diesem Fall die Versicherten und die Arbeitgeber*innen. Bereits 1952 trat das erste Selbstverwaltungsgesetz für die Sozialversicherungen in Kraft.

    1977 wurde es dann vom vierten Sozialgesetzbuch abgelöst. Dieses regelt seitdem die rechtlichen Voraussetzungen für die Wahlen in der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung. Seit 1995 gilt es auch für die neu eingeführte Pflegeversicherung.

  • Welche Selbstverwaltungsgremien gibt es?

    Es gibt zwei Organe der Selbstverwaltung: die Kontrollgremien (Verwaltungsrat oder Vertreter*innenversammlung) und die Vorstände.

    Wichtigstes Entscheidungsorgan sind die direkt von den Versicherten (und den Arbeitgeber*innen) gewählten Kontrollgremien:

    • Bei den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen heißen sie Verwaltungsrat,
    • in der Renten- und Unfallversicherung Vertreterversammlung.

    Sie wählen den Vorstand der Versicherungsträger. Der Vorstand setzt die Beschlüsse der Selbstverwalter*innen um und ist für die laufende Verwaltung verantwortlich. Bei den Trägern der Renten- und Unfallversicherung ist er ehrenamtlich, bei denen der Kranken- und Pflegeversicherung hauptamtlich tätig.

  • Wie sind die Selbstverwaltungen aufgebaut?

    Alle sozialen Versicherungsträger, mit Ausnahme der gesetzlichen Krankenkassen und der Arbeitslosenversicherung, verfügen über zwei Selbstverwaltungsorgane: Vertreter*innenversammlung und Vorstand. Beide Organe werden ehrenamtlich je zur Hälfte durch Versicherte und Arbeitgeber*innen vertreten. Ihre Zusammensetzung wird durch die alle sechs Jahre stattfindende Sozialwahl entschieden.

    Die Vertreter*innenversammlung ist das höchste politische Organ jedes Versicherungsträgers und übernimmt im Wesentlichen legislative Aufgaben; es trifft also die Entscheidungen. Die Mitgliederzahl ergibt sich aus der Satzung des jeweiligen Trägers. Aus der Mitte der Versammlung werden ein*e Vorsitzende*r und ein*e Stellvertreter*in gewählt, die unterschiedlichen Sozialparteien (Arbeitgeber*innen und Versicherte) angehören müssen.

    Der Vorstand ist das exekutive, also das ausführende Organ, innerhalb der Selbstverwaltungen. Er setzt die Beschlüsse der Vertreter*innenversammlung um und ist für die laufende Verwaltung des Versicherungsträgers verantwortlich. Der Vorstand wird von der Vertreter*innenversammlung gewählt.

    In der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung gehören die hauptamtlichen Geschäftsführer*innen dem Vorstand in der Regel mit beratender Stimme an. Die Organisationsstrukturen in den gesetzlichen Krankenversicherungen wurden 1996 radikal reformiert. Grund für diese Umstrukturierung war die zu diesem Zeitpunkt eingeführte freie Krankenkassenwahl der Versicherten. Dem hauptamtlichen Vorstand trat in den gesetzlichen Krankenkassen der ehrenamtlich besetzte Verwaltungsrat an die Seite.

  • Was können Selbstverwalter*innen konkret für die Versicherten tun?

    Gewerkschaftliche Selbstverwalter*innen sind bei fast allen Trägern von Sozialversicherungen vertreten – ganz gleich, ob dort Friedens- oder Urwahlen stattgefunden haben. Das Gesetz regelt zwar viele Fragen der Sozialversicherung, dennoch treffen die Selbstverwaltungsgremien ganz konkrete Entscheidungen.

     

    Beispiel 1 – Beratung: Bei der Deutschen Rentenversicherung Bund wählt die Vertreterver*innensammlung bundesweit ehrenamtliche Versichertenberater*innen. Diese Berater*innen – selbst Versicherte oder Rentenbezieher*innen – beraten kostenlos bei der Antragsstellung oder bei der Beschaffung von Unterlagen.

    Beispiel 2 – Arbeitsschutz: Die Vertreter*innenversammlungen der Berufsgenossenschaften gestalten aktiv den Arbeitsschutz für Arbeitnehmer*innen in den Betrieben, indem sie z. B. die sogenannten Unfallverhütungsvorschriften beschließen.

    Beispiel 3 – Innovative Modelle: Die Versichertenparlamente entscheiden, ob und welche neuen Wege ihre Kasse in den nächsten Jahren geht. Die gewerkschaftlichen Kandidat*innen werden sich beispielsweise für ambulante Gesundheitszentren, die die Kompetenz mehrerer Fachärzte bündeln, einsetzen. Auch die sogenannte integrierte Versorgung, bei der die Kooperation zwischen ambulanten und stationären Bereichen verbessert wird, ist ein vielversprechendes Modell. Beide Systeme machen die Gesundheitsversorgung effizienter und können unnötige Doppeluntersuchungen vermeiden.

    Beispiel 4 – Medizinische Leistungen: Die Versichertenparlamente entscheiden bei den Krankenkassen und der Rentenversicherung darüber, welche Präventions- oder Reha-Maßnahmen gefördert und übernommen werden. Die Kandidat*innen des DGB setzen sich für eine breite und qualitativ gute medizinische Versorgung für alle ein.

  • Wie viele Mitglieder haben die Selbstverwaltungsgremien?

    Die Vertreter*innenversammlungen der Rentenversicherung haben 30 Mitglieder, ebenso die Verwaltungsräte der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Träger der Unfallversicherung haben 60 Mitglieder. Wichtig ist: In allen Versichertengremien wählen die Arbeitnehmer*innen und Versicherten die eine Hälfte der Mitglieder, die Arbeitgeberseite die andere Hälfte.

    Ausnahme: In den Verwaltungsräten der Ersatzkassen sitzen mehr Versichertenvertreter*innen als Arbeitgebervertreter*innen.

  • Wer vertritt die Selbstverwaltung nach außen?

    Die Versichertengremien wählen den Vorstand der Versicherungsträger. Dieser Vorstand repräsentiert die Kasse, Berufsgenossenschaft oder Versicherungsanstalt nach außen und leitet sie gemeinsam mit der Geschäftsführung. Auch der Vorstand besteht zur Hälfte aus Versicherten- und Arbeitgebervertreter*innen. Der Vorsitz im Vorstand wechselt jährlich zwischen Versicherten- und Arbeitgeberseite. Auch der Vorsitz der Versichertengremien rotiert so zwischen den beiden Gruppen.

Informationen für angehende Selbstverwalter*innen

  • Welche Voraussetzungen sollte ich als Selbstverwalter*in mitbringen?

    Grundvoraussetzungen für die Arbeit in den Selbstverwaltungen sind eine gewisse sozialpolitische Vorbildung und ein hohes Maß an Interesse und Leidenschaft zur Verbesserung der Sozialversicherungen. Insgesamt sollten sich Selbstverwalter*innen nicht scheuen, ihre bereits gesammelten Erfahrungen im sozialpolitischen Bereich – z. B. aus dem Betriebs- oder Personalrat – einzubringen, um engagiert einzugreifen und Interessen der Versicherten auf die politische Agenda zu setzen. Hierfür sind neben der Fähigkeit zur Durchsetzung von Interessen auch soziale Kompetenzen eine gute Grundlage.

  • Welche Unterstützung bekomme ich als Selbstverwalter*in?

    Ehrenamtliche Selbstverwalter*innen haben gegenüber ihren Arbeitgeber*innen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit für die Zeit, die für die Wahrung des Amtes notwendig ist. Wenn durch die Tätigkeit im Selbstverwaltungsorgan ein Verdienstausfall entsteht, wird dieser ersetzt. Sollten für die Mitglieder der Selbstverwaltung finanzielle Auslagen entstehen, werden diese ebenso, entsprechend der Satzungsregelungen, abgegolten. Die Sitzungsteilnahme wird pro Sitzung mit einem Pauschalbetrag erstattet. Über die Höhe haben die Sozialpartner*innen Empfehlungen erstellt, die in den meisten Selbstverwaltungsorganen angewendet werden.

  • Wie sieht meine Tätigkeit als Selbstverwalter*in aus?

    Die Arbeit in der Selbstverwaltung besteht insbesondere darin, regelmäßig an Sitzungen der Vertreter*innenversammlung, des Vorstandes bzw. des Verwaltungsrates und an den entsprechenden Vorbesprechungen teilzunehmen.

    Die Vorbesprechungen dienen der Absprache unter den Selbstverwalter*innen. Sie bieten eine gute Gelegenheit, Beispiele aus dem betrieblichen und sozialpolitischen Alltag anzusprechen, Einschätzungen zu diskutieren und Lösungsansätze zu formulieren.

    Innerhalb der Sitzungen werden schließlich die Sachfragen entschieden und Probleme mit der hauptamtlichen Verwaltung erörtert. Zusätzlich arbeiten die Selbstverwalter*innen in den Ausschüssen, in die sie gewählt wurden, mit.

     

  • Was können Selbstverwalter*innen bewegen?

    Selbstverwalter*innen sorgen dafür, dass die Belange der Arbeitnehmer*innen, der Versicherten und der Patient*innen Eingang in das Verwaltungshandeln der einzelnen Sozialversicherungen finden. Sie setzen sich insbesondere dafür ein, dass Entscheidungen der Verwaltung sozial, gerecht und lebensnah ausfallen. In diesem Sinne kontrollieren sie, wie die Beiträge verwendet werden.

    Durch ihre Beteiligung in Fragen der internen Finanzen üben sie entscheidenden Einfluss auf das Handeln des Versicherungsträgers aus. Zudem sind viele Regelungen im sozialpolitischen Bereich so allgemein gehalten, dass sich daraus Gestaltungsspielräume in der Verwaltung sowie im Leistungs- und Servicebereich der Sozialversicherungen ergeben. Diese Spielräume nutzen die gewerkschaftlichen Selbstverwalter*innen im Sinne der Beschäftigten, der Versicherten, der Patient*innen.

    So ist beispielsweise gesetzlich geregelt, wie viel Versicherte für die Krankenversicherung zahlen und wie hoch die Rente ist. Ob es jedoch eine gute Gesundheitsförderung oder innovative Versorgungsmodelle, spezielle Leistungen oder Zusatzbeiträge für die Versicherten gibt, bestimmen die Gremien der Selbstverwaltung. Auch die Qualität bei Reha oder Pflegeleistungen oder die Passgenauigkeit von Vorschriften zur Unfallverhütung fallen darunter. Die Mitglieder der Selbstverwaltung wählen und kontrollieren die Vorstände der Sozialversicherungsträger und beschließen den Haushalt. In den Widerspruchsausschüssen entscheiden sie darüber, ob Widerspruchsanträgen der Versicherten stattgegeben werden.

    Durch regelmäßigen Austausch mit ihren Gewerkschaften oder ihren Arbeitgeberverbänden erhalten Selbstverwalter*innen zudem ein gutes Bild davon, wie sich gesetzliche Regelungen in den Sozialversicherungen praktisch auswirken, z.B. für Versicherte. Diese Erkenntnisse fließen dann wiederum in die Gesetzgebung ein und ermöglichen verbesserte Regelungen. Selbstverwalter*innen tragen so wesentlich zum Funktionieren des Sozialstaates bei.

  • Kann ich bei der Sozialwahl 2023 noch als Selbstverwalter*in kandidieren?

    Die Bewerbungsphase für Kandidat*innen unserer gewerkschaftlichen Wahllisten zur Sozialwahl 2023 ist bereits abgeschlossen. Neue Bewerbungen sind nicht mehr möglich.

    Die nächste Sozialwahl findet 2029 statt.


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