Deutscher Gewerkschaftsbund

07.11.2011

G20: Was vom Weltfinanzgipfel übrig blieb

Euromünzen liegen auf dunklem Samt auf dem Tisch

DGB/Simone M. Neumann

Als „Weltfinanzgipfel“ wurde der Londoner G20-Gipfel von 2009 gefeiert. Erstmals, seit die Finanzkrise sich zu einer weltweiten Wirtschaftskrise ausgewachsen hatte, trafen sich die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, um über Konsequenzen aus dem Crash der Finanzmärkte zu beraten. Die Abschlusserklärung des Gipfels war vielversprechend: Mehr Regulierung der Finanzmärkte, weniger Spekulationen. Was ist von den hehren Zielen geblieben?

Die Ergebnisse des G20-Gipfels in London vom April 2009 seien eine Sensation – so zumindest bescheinigte es recht einhellig die deutsche Medienlandschaft den G20-Staats- und Regierungschefs sowie den deutschen Gipfelteilnehmern Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD). „Ein Ergebnis in diesem Umfang und auch in dieser Präzision hatte niemand erwartet, der Gipfeldiplomatie verfolgt“, schrieb Wirtschaftswochen-Chefredakteur Roland Tichy über den so genannten Weltfinanzgipfel.

Tatsächlich lesen sich die Beschlüsse des Gipfels zur Finanzmarktregulierung wie ein Forderungskatalog der ÖkonomInnen, die schon seit Jahren vor einem Platzen der Finanzblase gewarnt hatten. Doch mit jedem folgenden G20-Gipfel sank seitdem die Zuversicht derer, die auf echte und weitreichende Veränderungen gehofft hatten. Denn getan hat sich wenig. Wir machen den Check: Was wurde vereinbart, was wurde umgesetzt?

Finanzstabilitätsrat

Mit dem Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board, FSB) sollte ein Nachfolger des Finanzstabilitätsforums (FSF) geschaffen werden. Dieses koordinierte seit 1999 die Arbeit nationaler sowie internationaler Finanzinstitutionen und Kontrollbehörden. Der FSB sollte mit mehr Kompetenzen ausgestattet sein als das FSF. 2009 nahm der Finanzstabilitätsrat tatsächlich seine Arbeit auf. Mitglieder sind VertreterInnen aus allen G20-Staaten plus Spanien, EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Die Mitglieder verpflichten sich, die zwölf „Standards für ein gesundes Finanzsystem“ („Key Standards for Sound Financial Systems“) einzuhalten. Sanktionsmöglichkeiten hat der Finanzstabilitätsrat aber keine.

Regulierung und Kontrolle von Banken und Hedgefonds

„Kein Finanzmarkt, kein Finanzprodukt und kein Finanzakteur ohne Aufsicht“: Das war die zentrale Aussage des Londoner Gipfels, die auch in Deutschland in der Folge oft beschworen wurde. Erstmals sollten auch Hedgefonds und so genannte Schattenbanken unter Kontrolle gestellt werden. Nach dem Beschluss im April 2009 brauchten sowohl die USA als auch die EU eine ganze Weile, bis sie erste konkrete Schritte vermelden konnten. Im Juli 2010 brachte US-Präsident Barack Obama seine umstrittene Finanzmarktreform durch. Doch das Mammut-Gesetzespaket enthält viele ungeklärte Detailfragen. Experten schätzten bereits damals, die konkrete Ausformulierung werde Jahre bis Jahrzehnte dauern.

In der EU einigten sich die Finanzminister im September 2010 auf drei neue Finanzaufsichtsbehörden: eine für Banken, eine für den Wertpapierhandel und eine für Versicherungen. Die drei Gremien nahmen am 1. Januar 2011 ihre Arbeit auf. Außerdem müssensich Hedgefonds künftig registrieren lassen, um in Europa aktiv zu werden, so ein Beschluss der EU-Finanzminister im Oktober 2010. Dafür sollen sie auch ihre Anlagestrategien offenlegen. Von einer globalen Überwachung aller Märkte, Produkte und Akteure der Finanzwelt ist die internationale Gemeinschaft aber noch weit entfernt. Schattenbanken und der Graue Kapitalmarkt sind auch weiterhin nahezu unkontrolliert.

Eigenkapital

Eine Ursache der Kettenreaktionen auf den Finanzmärkten: Etliche Banken und Fonds konnten - und können - ihre Geschäfte nicht mit genügend Eigenkapital absichern. Sie handeln zu einem überwiegenden Teil mit Fremdkapital. Der Londoner G20-Gipfel forderte deshalb belastbarere Eigenkapitalquoten und Verschuldungsgrenzen für Banken. Genau solche höheren Eigenkapitalquoten setzte schließlich im Herbst 2010 der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht in seinem neuen Regelwerk („Basel III“) fest. Das Kernkapital (Eigenkapital) einer Bank muss künftig 6,0 statt bisher 4,5 Prozent der Bilanzsumme ausmachen. Hinzu soll ein zusätzlicher „Risikopuffer“ von 2,5 Prozent kommen – insgesamt empfiehlt Basel III also eine Kernkapitalquote von 8,5 Prozent. Auch eine Höchstgrenze für die zulässige Verschuldungsquote einer Bank sehen die neuen Regeln vor: das 33-Fache des Eigenkapitals. Diese Grenze lässt den Banken aus Sicht des DGB aber noch viel zu viel Spielraum. Weiterer Wermutstropfen der neuen Regeln: Sie müssen erst ab 2013 umgesetzt werden – mit jahrelangen Übergangsfristen. Die Verschuldungsgrenzen sollen sogar erst 2018 Pflicht werden. Und die USA haben bis heute nicht einmal Basel II komplett umgesetzt.

Stresstests

Die Gipfelteilnehmer vereinbarten, Finanzinstitute auf ihre Belastbarkeit in Krisensituation hin zu untersuchen. Ergebnisse des US-Bankenstresstest zeigten bereits im Mai 2009: Mehrere Banken sind weiterhin akut bedroht. Allein die Bank of America, die selbst noch 2008 die angeschlagene Bank Merrill Lynch übernommen hatte, hätte weitere 30 Milliarden US-Dollar gebraucht. Insgesamt fehlen den US-Banken über 70 Milliarden US-Dollar. In den folgenden Wochen mildern die Banken in Verhandlungen mit Politik und Bankenaufsicht die Ergebnisse jedoch ab, um möglichen Konsequenzen aus dem Weg zu gehen. Der EU-weite Bankenstresstest wird erst über ein Jahr nach dem Londoner Gipfel, im Juli 2010 veröffentlicht.Die Bundesregierung hatte bei den deutschen Banken auf eine freiwillige Teilnahme gesetzt.

Von den 91 teilnehmenden europäischen Banken fallen sieben durch den Stresstest. Von den 14 deutschen Banken erwartungsgemäß nur die inzwischen verstaatlichte Krisenbank Hypo Real Estate. Allerdings: An den neuen Vorschriften von Basel III wäre glatt die Hälfte der deutschen Testteilnehmer gescheitert – darunter auch große Privatkundenbanken.

Steueroasen

Steueroasen sollten nach dem Willen der Londoner G20-Gipfelteilnehmer konsequent „ausgetrocknet“ werden. Schon am letzten Gipfeltag veröffentlicht die OECD eine „Schwarze Liste“ von Ländern, die sich nicht an alle geltenden Standards der internationalen Zusammenarbeit in Finanzfragen halten. Bereits eine Woche später liegen die Zusagen aller vier Länder (Costa Rica, Malaysia, Philippinen, Uruguay) bei der OECD vor. Sie rutschen auf die „Graue Liste“ der Länder, die zwar zugesagt haben, sich an die Standards zu halten, aber noch nicht alle dafür notwendigen Abkommen ratifiziert haben.

Auf der „Grauen Liste“ standen im April 2009 unter anderem auch Luxemburg, die Schweiz, Österreich, Liechtenstein und Belgien. Sie sollten ihre besonders rigiden Bankgeheimnisse lockern. Das hat beispielsweise die Schweiz bis heute nicht getan. Ein im Herbst 2011 von der deutschen Bundesregierung mit der Schweiz ausgehandeltes Steuerabkommen sieht weiterhin vor, dass Steuersünder anonym bleiben können. Die SPD-geführten Bundesländer wollen das Abkommen im Bundesrat stoppen.

Ratingagenturen

Weiterer Beschluss des Gipfels: Ratingagenturen sollen besser und zentraler kontrolliert werden. Umgesetzt ist davon noch nichts. Erst im Sommer 2010 machte die EU-Kommission Vorschläge für eine Kontrolle auf europäischer Ebene durch die geplante Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, die Anfang 2011 ihre Arbeit aufgenommen hat. Bisher sind aber weiterhin die nationalen Aufsichtsbehörden für die Kontrolle der Agenturen zuständig und viele EU-Staaten möchten diese Kompetenz ungern abgeben. Zwar wird als Gegengewicht zu den drei großen US-Ratingagenturen Fitch, Moody’s und Standard & Poor’s immer wieder eine unabhängige europäische Ratingagentur ins Gespräch gebracht – doch noch haben die „drei Großen“ weiterhin de facto ein Marktmonopol. Auch die nationalen und europäischen Regelungen, die den Banken sogar vorschreiben, die Ratings der Agenturen zur Grundlage ihrer Anlagepolitik zu machen, sind nach wie vor in Kraft.


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