Deutscher Gewerkschaftsbund

29.06.2009
Mindestlohn-Interview

Neues aus dem Bus: Im Gespräch mit Katja Kipping (Die Linke)

Katja Kipping und Reinhard Dombre

Katja Kipping im Interview mit Reinhard Dombre (DGB) im Mindestlohnbus. DGB/mindestlohn.de

Im Gespräch mit Reinhard Dombre vom DGB kritisiert Katja Kipping von den Linken, dass die Menschen unter Druck gesetzt würden, "auch schlecht bezahlte Tätigkeiten anzunehmen".  Um diesem entgegen zu wirken, sieht die Bundestagsabgeordnete eine besondere Bedeutung der Gewerkschaften: "Nur gemeinsam sind lohnabhängig Beschäftigte gegenüber dem Unternehmen stark. Deshalb sind Gewerkschaften, die Beschäftigte organisieren und gegenüber Unternehmen vertreten, so wichtig."  Katja Kipping ist seit Juni 2007 die stellvertretende Vorsitzende der Partei  Die Linke. Seit 2005 ist sie Mitglied im Deutschen Bundestag und agiert als sozialpolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

Wie finden Sie die Idee mit der Forderung nach 7,50 Euro pro Stunde auf dem Bus, in dem wir fahren?

Katja Kipping: Die Forderung nach einem Mindestlohn gefällt mir sehr gut. Was allerdings die Höhe anbelangt, so finde ich 10 Euro besser. Heute haben die meisten EU-Staaten einen gesetzlichen Mindestlohn. Deutschland, das wirtschaftlich stärkste Land in der Euro-Zone, gehört zu den Ausnahmen. Auch wegen des fehlenden Mindestlohns sind in der Bundesrepublik die Unterschiede der Einkommensverteilung stärker gewachsen als in anderen Ländern.

Was sind die Gründe für die enorme Ausweitung des Niedriglohnsektors in Deutschland, der mittlerweile 22 % aller Beschäftigungsverhältnisse umfasst?

 Katja Kipping: In erster Linie die von SPD und den Grünen eingeleitete Agenda 2010 sowie Hartz IV. Fast 6,5 Millionen Menschen arbeiten heute im Niedriglohnsektor. Sie sind arm trotz Arbeit. Schlecht bezahlte Arbeit hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen, besonders häufig müssen sich Frauen mit einem Niedriglohn begnügen. Auch Qualifikation schützt kaum noch vor niedrigen Löhnen. Die Bundesregierungen unter Schröder und Merkel haben Lohndumping und die Ausbreitung ungesicherter, schlecht entlohnter Beschäftigung gefördert. Mit den Hartz-Gesetzen der Allparteienkoalition aus SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP in Bundestag und Bundesrat wurde der Druck auf Erwerbslose und Beschäftigte unglaublich erhöht, auch schlecht bezahlte Arbeit zu akzeptieren. Dieser Zustand ist unannehmbar. Wer arbeitet, muss einen anständigen Lohn dafür bekommen. Erst recht angesichts steigender Unternehmensgewinne.

Welche Auffassung vertreten Sie, wie dieser Entwicklung begegnet werden kann?

Katja Kipping: Es gilt, die Situation der Erwerbslosen zu verbessern, denn es zeigt sich, je schlimmer die Lage von Erwerbslosen ist, desto eher sind Beschäftige erpressbar und akzeptieren Dumpinglöhne. Um den Druck auf Erwerbslose zu reduzieren, ist zweierlei notwendig: eine längere Zahlung des Arbeitslosengeldes I und eine Existenz sichernde soziale sanktionsfreie Mindestsicherung. Darum fordern wir ja einen gesetzlichen Mindestlohn, damit Armut trotz Arbeit verringert bzw. am besten ganz abgeschafft werden kann. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass prekäre Bschäftigungsverhältnisse zugunsten Existenz sichernder, sozialversicherungspflichtiger Arbeit abgebaut werden.

Was muss die Politik unternehmen, damit Existenz sichernde Löhne gezahlt werden?

Katja Kipping: Nur gemeinsam sind lohnabhängig Beschäftigte gegenüber dem Unternehmen stark. Deshalb sind Gewerkschaften, die Beschäftigte organisieren und gegenüber Unternehmen vertreten, so wichtig. In Streiks können ihre Mitglieder höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für alle erkämpfen. Arbeitergeber haben allerdings in der Regel das Interesse, die Löhne zu senken und auf Kosten der Beschäftigten ihren Profit zu steigern. Aktuell versuchen etliche Unternehmen, die Krise auf dem Rücken ihrer Beschäftigten auszutragen. Sie entlassen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und stellen bereits erkämpfte Löhne und Arbeitsbedingungen in Frage. In den letzten Jahren haben Konzerne und Regierungen den Druck auf Beschäftigte
und ihre Gewerkschaften erhöht, viele Unternehmen sind sogar aus den Tarifverträgen ausgestiegen, um Löhne zu senken. Die Bundesregierungen von SPD/Grüne und Union/SPD haben mit der Agenda 2010 dazu beigetragen, die Gewerkschaften zu schwächen. Sie erlaubten die Umwandlung von normalen Arbeitsplätze in unsichere und niedrig entlohnte Tätigkeiten umzuwandeln - Leiharbeit, Minijobs, befristete Beschäftigung und Ein Euro-Jobs erlebten einen Boom. Zudem müssen Arbeitslose in Hartz IV nun fast jeden Job annehmen, egal wie schlecht er ist.  Um diese Entwicklungen zu stoppen und umzukehren brauchen wir starke Gewerkschaften, die in ihren Auseinandersetzungen unterstützt werden müssen. Zudem wenden wir uns gegen jede Einschränkung des Streikrechts und fordern mehr Demokratie: Für das Recht auf den politischen Streik, für eine Stärkung von Beschäftigten und Gewerkschaften und für mehr Mitbestimmung.

Welche Position vertritt Die Linke im Hinblick auf die Bundestagswahl 2009 bezüglich Existenz sichernder Mindestlöhne?

Katja Kipping: Die Partei DIE LINKE. fordert einen allgemeinen und gesetzlichen Mindestlohn von 10,00 Euro pro Stunde.

Verstoßen Niedriglöhne gegen die Garantie des Grundgesetzes, die Würde des Menschen sei unantastbar?

Katja Kipping: Sowohl Niedriglöhne als auch das Armutsgesetz Hartz IV mit seinem Sanktionsregime verstoßen gegen die Menschenwürde.

Ist die soziale Marktwirtschaft mit Niedriglöhnen vereinbar?

Katja Kipping: Nein.

Würde die soziale Marktwirtschaft durch flächendeckende Lohnuntergrenzen unsozial?

Katja Kipping: Nein, aber wir sehen im Mindestlohn nur ein unterstes Sicherheitsnetz. Grundsätzlich sollten die Löhne deutlich darüber liegen.

20 von 27 EU-Staaten sichern Lohnuntergrenzen über Mindestlöhne. Sind die alle schlecht beraten?

Katja Kipping: Nein, auch wenn natürlich in einigen Staaten die Lohnuntergrenzen deutlich angehoben werden müssen. Ansonsten zeigt diese Zahl, dass Mindestlöhne europäische Normalität sind, die in Deutschland endlich auch einziehen muss.

Kann der deutsche Arbeitsmarkt angesichts der bevorstehenden Arbeitnehmer-freizügigkeit in der EU ab Mai 2011 auf verbindliche Lohnuntergrenzen verzichten?

Katja Kipping: Nein, aber ich sehe es auch ein wenig anders herum: Verbindliche Mindestlöhne sind eine wichtige Voraussetzung für Freizügigkeit und gegen Lohndumping.

Sollte es für die Zeitarbeit auch einen Mindestlohn geben?

Katja Kipping: Natürlich, generell aber sollten LeiharbeiterInnen den gleichen Lohn bekommen, wie die Kernbelegschaft der Betriebe, in denen sie eingesetzt werden, auch die Lohndiskriminierung von Frauen gehört endlich auf den Misthaufen der Geschichte.

Berücksichtigt die Politik bei ihren Konjunkturprogrammen die tatsächlich Bedürftigen, z.B. Niedriglohnbeschäftigte?

Katja Kipping: Nein, auch im Rahmen des 2. Konkunkturprogramms werden diese Personenkreise, sprich Niedriglohnbeschäftigte und Hartz IV-Beziehende nur mit zwei Prozent der Gesamtsumme gefördert.

Es werden Rettungsschirme für die Wirtschaft gespannt. Sind Lohnuntergrenzen nicht auch Rettungsschirme für die Betroffenen?

Katja Kipping: Das sind sie sehr wohl. Aber zu Rettungschirmen für Menschen gehört noch mehr, z.B. die Einführung einer sanktionsfreien und individuell garantierten Mindestsicherung für Erwerbslose. Meine Bundestagsfraktion hat konkrete Vorschläge für ein sozial gerechtes Krisenprogramm vorgelegt. Unsere „Schutzschirme für Menschen“ sehen unter anderem vor, dass wir die Belegschaften in den Betrieben stärken und eine wirkliche paritätische Mitbestimmung sowie eine Unternehmensbeteiligung einführen wollen. Darüber hinaus müssen zukunftsweisende Arbeitsplätze in sozial fortschrittlichen und ökologisch nachhaltigen Bereichen geschaffen bzw. erhalten werden. Die klaffende soziale Dienstleistungslücke gilt es zu schließen und den Öffentliche Dienst auszubauen. Die Folgen der Wirtschaftskrise kann man auch durch öffentlich geförderte Arbeitsplätze mit ordentlicher Entlohnung, eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit und eine Ausweitung des Kurzarbeitergeldes abmildern. Weiterhin muss der Bezug des Arbeitslosengeldes I verlängert, das Arbeitslosengeld II sofort auf 500 Euro angehoben und der Sanktionsparagraf 31 abgeschafft werden. Und wie wichtig ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn ist, darüber haben wir ja schon gesprochen.

Wir danken Katja Kipping für das Gespräch.


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