Jetzt ist es beschlossen: der Soli wird weitgehend abgeschafft. Doch während die meisten davon kaum profitieren werden, gehen dem Bund allein im Jahr 2021 rund 11 Milliarden Euro verloren. Geld, das dringend gebraucht würde - für bessere Lebensbedingungen und neue, gute Arbeitsplätze. Nicht nur im Osten, sondern bundesweit. Der DGB-klartext.
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Das Bundeskabinett hat in dieser Woche die weitgehende Abschaffung des Solidaritätszuschlags beschlossen. Die meisten Menschen werden davon nur wenig profitieren, weil sie schon bislang keinen Soli zahlen oder nur in sehr geringem Maße betroffen sind. Dafür entgehen der öffentlichen Hand durch die Soli-Abschaffung allein im Jahr 2021 rund 11 Milliarden Euro. In den Folgejahren sind es noch mehr. Oft wird argumentiert, die Begründung des Soli – Haushaltsbelastungen aufgrund der Wiedervereinigung – sei entfallen. Tatsächlich würde zusätzliches Geld aber auch heute noch gebraucht. Nicht nur im Osten, sondern bundesweit in strukturschwachen Regionen.
In kaum einem anderen Industrieland sind die Lebensbedingungen zwischen den Regionen so unterschiedlich wie in Deutschland, stellte das IW Köln kürzlich in einer Studie fest. Jede fünfte Region hierzulande ist aktuell wirtschaftlich, demografisch und infrastrukturell abgehängt oder droht zurückzufallen. Der Kreis der abgehängten Gebiete beschränkt sich dabei nicht auf ländliche Regionen in Ostdeutschland, sondern umfasst beispielsweise auch ehemalige westdeutsche Industrie-Hochburgen im Ruhrgebiet oder im Saarland. Dabei ist die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen deutschen Regionen sogar grundgesetzlich geboten. Das Problem der strukturschwachen Regionen ist so dringlich, dass die Bundesregierung eigens eine Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ einrichtete.
Werden Freizeitmöglichkeiten, Einkaufsläden, der Nahverkehr und Schulen weniger oder verschwinden sie ganz, wird das gerade in ländlichen, weniger dicht besiedelten Gegenden oft als Kernproblem wahrgenommen. Quelle: www.progressives-zentrum.org ; eigene Darstellung
Die Menschen in den betroffenen Gebieten mussten harte gesellschaftliche Einschnitte durch ökonomische Transformation oder Strukturwandel von heute auf morgen verkraften. Millionen Beschäftigte verloren ihre Arbeit und teilweise ihre Existenz. Nach anfänglichen Erfolgen Anfang der 1990er Jahre ist die Angleichung der Lebensverhältnisse danach stark ins Stocken geraten. Abwanderung und Überalterung strukturschwacher Gebiete erschweren die wirtschaftliche Entwicklung. Viele Kommunen sind so stark verschuldet, dass ihnen überhaupt keine finanziellen Handlungsspielräume bei der Realisierung von eigenen Infrastrukturprojekten bleiben.
Über kurz oder lang fehlen nicht nur Jobs. Auch Freizeitmöglichkeiten, Einkaufsläden, der Nahverkehr und Schulen fallen oft weg. Studien zeigen, dass diese negativen Veränderungen im Lebensumfeld gerade in ländlichen, weniger dicht besiedelten Räumen oft als ein Kernproblem wahrgenommen werden (siehe Grafik).
Klar ist: Die betroffenen Regionen brauchen Unterstützung, damit sich die Lebensbedingungen wieder verbessern und neue, gute Arbeitsplätze entstehen. Die Kommission der Bundesregierung hat hierzu viele Vorschläge gemacht. Und auch der DGB hat konkrete Forderungen formuliert: Es braucht einen Altschuldentilgungsfonds, über den Bund und Länder überschuldeten Kommunen Schuldenlasten abnehmen, um ihnen Luft zum Atmen zu geben. Außerdem sollte eine neue „Gemeinschaftsaufgabe regionale Daseinsvorsorge“ geschaffen werden, die gezielt in die soziale, medizinische und kulturelle Infrastruktur im strukturschwachen ländlichen Raum investiert. In diese Maßnahmen muss Geld fließen, nicht in die Abschaffung des Soli.