Arbeiten unabhängig von Zeit und Raum: Für viele Beschäftigte bedeutet die Flexibilität, die durch das Internet und smarte Endgeräte möglich ist, mehr Lebensqualität. Doch der neuen Freiheit steht das Arbeitszeitgesetz im Weg - behaupten die Arbeitgeber. Diese Argumentation ist fadenscheinig, schreibt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach in der Frankfurter Rundschau.
DGB/Simone M. Neumann
Annelie Buntenbach ist Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes. Sie schreibt regelmäßig als Autorin für die Kolumne Gastwirtschaft der Frankfurter Rundschau.
Unter dem Stichwort ‚Arbeiten 4.0‘ wird seit einiger Zeit über einen ‚neuen Flexibilitätskompromiss‘ diskutiert. Das Internet und smarte Endgeräte machen Arbeit unabhängig von Zeit und Raum. Dies kann mehr Lebensqualität bedeuten, wenn man sich die Arbeitszeiten selbst einteilen und auch zuhause arbeiten kann. Beruf und Familie lassen sich so besser vereinbaren. Wer seine Kinder früher aus der Kita abholen möchte, kann die Arbeit am Abend zuhause nachholen.
Schöne Aussichten für solche Jobs, die das zulassen. Ein großes Versprechen kündigt sich also an, das – und hier wird es spannend – auch von den Arbeitgeberverbänden gemacht wird. Sie argumentieren mit dem Wunsch der Beschäftigten, flexibler mit den Arbeitszeiten umzugehen. Doch dabei steht das Arbeitszeitgesetz im Weg – behaupten die Arbeitgeber. Ein Gesetz, das Beschäftigte schützen soll, macht die neue Freiheit zunichte – verkehrte Welt also?
Es geht um die Ruhezeiten. Beschäftigte sollen lang genug abschalten können, Zeit für sich haben. Die Arbeitswissenschaften haben dafür grundsätzlich 11 Stunden festgelegt, weil sonst die Gesundheit leidet – und so steht es im Gesetz. Dabei gibt es allerdings Möglichkeiten, zeitweise auf 9 Stunden zu verkürzen. Arbeitgeber und Gewerkschaften gestalten die Flexibilität, die das Gesetz bietet.
Mit der Debatte um die Digitalisierung wird dies plötzlich infrage gestellt. Warum eigentlich? Die 11 Stunden Ruhezeit beginnen wieder von vorne, sobald wieder gearbeitet wird, zum Beispiel am Abend, wenn die Kinder schlafen. Beginnt der Arbeitstag am nächsten Morgen um 9 Uhr, muss das Notebook um 22 Uhr zugeklappt werden. Das ist den Arbeitgebern offenbar nicht genug. Doch sollen wir jetzt bis Mitternacht arbeiten, nur weil wir das Büro am Nachmittag etwas früher verlassen wollen, um die Kinder abzuholen? Ist das die neue Freiheit?
Nein, die geplante Einschränkung der Erholung ist ein ökonomisches Kalkül. Dafür die Arbeitnehmerinteressen anzuführen, mag clever gemeint sein, ist aber fadenscheinig. Ja, die Beschäftigten wollen über die Arbeitszeit mehr selbstbestimmen. Arbeitszeitsouveränität entsteht aber nur, wenn die Arbeit intelligent und mitbestimmt organisiert wird – und zwar so, dass genug Zeit für Erholung bleibt. Das wäre eine wirklich neue Aussicht.