844 Euro brutto mehr, jeden Monat: Das bekommen Beschäftigte im Schnitt, wenn sie in einem Betrieb mit Tarifvertrag arbeiten. Doch davon gibt es immer weniger. Das muss sich ändern: Wir kämpfen für eine stärkere Tarifbindung – damit wieder deutlich mehr Arbeitnehmer*innen unter den Schutz von Tarifverträgen fallen und mehr Geld auf dem Konto haben. Die Mittel dafür: unsere Kampagne #Tarifwende und das geplante Tariftreuegesetz. Weitere Forderungen, aktuelle Entwicklungen und Statistiken rund um das Thema Tarifbindung präsentieren wir auf dieser Seite.
Zunächst eine Definition: Tarifbindung heißt, dass Arbeitgeber*innen und die zuständige Gewerkschaft Tarifverträge abschließen. Darin regeln sie wichtige Aspekte des Arbeitsverhältnisses, die über die gesetzlichen Mindeststandards hinausgehen. Im Kern gehört dazu deine Bezahlung, also Lohn oder Gehalt. Aber das ist bei weitem nicht alles: Bist du in einem tarifgebundenen Unternehmen angestellt, profitierst du auch von besseren Regelungen bei Arbeitszeit und Urlaub, bei der Altersversorgung, bei der Zahlung von Zulagen und Zuschlägen oder beim Krankengeldzuschuss. Außerdem bieten viele Tarifverträge Verbesserungen für Eltern oder pflegende Angehörige.
Tarifbindung spürst du jeden Monat auf deinem Konto: Im Schnitt verdienen Arbeitnehmer*innen mit Tarifvertrag bei gleicher Tätigkeit 12 Prozent mehr als Arbeitnehmer*innen ohne Tarifvertrag. Das macht im Monat mehrere hundert Euro brutto mehr auf deiner Gehaltsabrechnung aus. Auch der Gender Pay Gap – also der Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Verdienst von Frauen und Männern – ist in tarifgebundenen Betrieben deutlich kleiner. Darüber hinaus hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass Beschäftigte mit Tarifvertrag deutlich besser durch die Krise gekommen sind. Denn bei ihnen wurde das Kurzarbeitergeld mehr als doppelt so häufig aufgestockt wie bei Beschäftigten, für die kein Tarifvertrag galt.
Du siehst: Tarifbindung ist ein wichtiges Instrument, um Löhne und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Sie ist ein Grundpfeiler der Ordnung am Arbeitsmarkt und der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Tarifverträge verschieben das Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen zugunsten der Beschäftigten. Tarifbindung schafft vor allem aber auch Transparenz, Sicherheit und Planbarkeit. Denn Tarifverträge sind für alle einsehbar und setzen damit der Willkür im Betrieb Grenzen. Gibt es keinen Tarifvertrag, gelten nämlich nur die gesetzlichen Mindestregelungen. Dann kommt es allein auf dein persönliches Verhandlungsgeschick an. Tarifbindung sorgt stattdessen dafür, dass alle Beschäftigten an der wirtschaftlichen Entwicklung und dem steigenden Wohlstand teilhaben können. Die Bedeutung der Tarifbindung für eine gerechte Arbeitswelt kann daher nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Noch mehr Informationen, z. B. wer einen Tarifvertrag abschließen kann und wie eine Tarifverhandlung abläuft, findest du auf unserer Seite zum Thema Tarifverträge.
Der Vergleich zeigt: Gute Arbeit gibt es nur mit Tarifvertrag, nicht per Gesetz.
Gesetz | Tarifvertrag | |
Jahresurlaub | 24 Werktage | Oft bis zu 30 Urlaubstage |
Weihnachtsgeld | Keine Regelung | Je nach Branche anteiliger Prozentsatz eines Monatsgehalts oder Fixbetrag |
Arbeitszeit | Bis zu 48 Wochenstunden | Je nach Branche zwischen 35 und 40 Wochenstunden |
Auszubildendenübernahme | Keine Regelung | Je nach Branche mehrere Monate sowie unbefristete Übernahme |
Vermögenswirksame Leistungen | Keine Regelung | Je nach Branche unterschiedliche Geldleistungen, die nicht direkt ausgezahlt, sondern vom Arbeitgeber in einem Sparvertrag eingezahlt werden |
Urlaubsgeld | Keine Regelung | Je nach Branche anteiliger Prozentsatz eines Monatsgehalts oder Fixbetrag |
Kira Hülsmann ist ver.di-Mitglied und Pflegerin an der Uniklinik Köln. Im Sommer 2022 nahm sie am größten unbefristeten Streik in der Geschichte unseres Gesundheitswesens teil: Nach 77 Tagen hatten die Beschäftigten der nordrhein-westfälischen Unikliniken mit ihrer Gewerkschaft ver.di den Tarifvertrag "Entlastung" erkämpft. Erfahre mehr darüber mit Klick auf das Bild. DGB/Thomas Range
Es ist eine bedenkliche Entwicklung: Seit Jahrzehnten nimmt die Zahl der Betriebe mit Tarifvertrag ab. Das heißt, immer mehr Beschäftigte in Deutschland arbeiten ohne Tarifbindung. Das zeigt auch unsere aktuelle Tarifflucht-Bilanz.
Danach sind heute nur noch die Hälfte aller Arbeitnehmer*innen (51 Prozent) in einem tarifgebundenen Arbeitsverhältnis. Allerdings gibt es starke Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. Waren 1998 in Westdeutschland 76 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden, sind es 2022 nur noch 52 Prozent. In Ostdeutschland fiel die Zahl von 63 Prozent auf 45 Prozent. Ein wesentlicher Grund für die zunehmend fehlende Tarifgebundenheit ist, dass viele Arbeitgeber*innen ihrer Verantwortung nicht mehr nachkommen, mit den Gewerkschaften Tarifverträge auszuhandeln. Immer mehr Arbeitgeberverbände erlauben ihren Mitgliedsunternehmen zudem sogenannte Ohne-Tarif-Mitgliedschaften.
Wir als DGB setzen uns dafür ein, dass wieder deutlich mehr Betriebe und Branchen unter den Schutz der Tarifbindung fallen. Denn dass Millionen Menschen einen Arbeitsvertrag ohne Tarifbindung haben, ist schlecht für die betroffenen Arbeitnehmer*innen. Und auch im Sinne einer gerechten Gesellschaft, in der Gute Arbeit zum Standard gehören sollte, ist das nicht hinnehmbar. Deshalb organisieren unsere Mitgliedsgewerkschaften die Beschäftigten in den Betrieben und entwickeln so Druck, dass Unternehmen tarifgebunden werden.
Doch auch die Politik muss etwas tun! Sie hat eine Vielzahl an Möglichkeiten, um Tarifverträge zu fördern und damit die Tarifbindung zu stärken. Dazu gehört z.B. die schnelle Umsetzung des geplanten Bundestariftreuegesetzes. Damit würden Auftragsvergaben der öffentlichen Hand nur noch an Unternehmen mit Tarifvertrag gehen.
Lies hier alle unsere Forderungen für mehr Tarifbindung und informier dich auch auf unserer Kampagnenseite zur Tarifwende.
Die Grafik zeigt den kontinuierlichen Rückgang der Tarifbindung in West- und Ostdeutschland. Immer weniger Beschäftigte profitieren von Tarifverträgen. DGB
Die Tarifbindung variiert in den Bundesländern stark. Während in Bremen 60 Prozent der Beschäftigten von einem Branchen- oder Haustarifvertrag profitieren, arbeiten in Sachsen nur 42 Prozent der Beschäftigten in einem Betrieb mit Tarifbindung. DGB
Tarifbindung nutzt nicht nur den Beschäftigten. Sie ist gerecht für alle Seiten:
DGB/Simone M. Neumann
"Eine hohe Tarifbindung sichert den sozialen Frieden und Gute Arbeit, denn Tarifverträge stehen für gute Arbeitsbedingungen und anständige Löhne. Sie geben gerade in Zeiten hoher Unsicherheit Stabilität und Halt im Arbeitsleben. Und sie fördern Gleichbehandlung und Gerechtigkeit – zwischen Frauen und Männern, zwischen Ost und West, zwischen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte."
Stefan Körzell, Mitglied im DGB-Bundesvorstand
Ein Tarifvertrag kann zum einen direkt zwischen Arbeitgeber*in und Gewerkschaft vereinbart werden. Die Rede ist dann von einem Haustarifvertrag (oder Firmentarifvertrag). Zum anderen kann ein Tarifvertrag aber auch zwischen einem Arbeitgeberverband und einer Gewerkschaft geschlossen werden. Dann spricht man von einem Branchentarifvertrag (oder Flächentarifvertrag bzw. Verbandstarifvertrag).
Der Branchentarifvertrag gilt automatisch für alle Arbeitgeber*innen, die Mitglied im Verband sind – eigentlich. Denn immer mehr Arbeitgeberverbände erlauben Unternehmen die Mitgliedschaft „ohne Tarifbindung“ (OT). Das bedeutet, dass Unternehmen trotz Verbandsmitgliedschaft nicht an die Bestimmungen des Branchentarifvertrags gebunden sind. So müssen sie z.B. ihren Beschäftigten nicht den Tariflohn zahlen oder sich nicht an die tariflichen Vereinbarungen zu Arbeitszeit, Urlaubsgeld usw. halten. Das widerspricht der Logik von Branchentarifverträgen. Und es macht Arbeitgeberbände nicht mehr zu verlässlichen Tarifpartnern, sondern zu reinen Lobbyorganisationen. Wir sagen: Damit muss Schluss sein! Die Ohne-Tarif-Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden muss abgeschafft werden.
Du willst wissen, ob ein Betrieb (z.B. dein zukünftiger Arbeitgeber) tarifgebunden ist? Das ist nicht immer offensichtlich. Deshalb gilt: Frag nach, entweder im Betrieb selbst oder bei der zuständigen Gewerkschaft.
Tarifverträge können auch für allgemeinverbindlich erklärt werden, dass heißt sie werden für alle Unternehmen einer Branche und Region verbindlich gesprochen. Auch können Branchenmindestlöhne, also spezielle Lohnuntergrenzen für einzelne Branchen allgemeinverbindlich gemacht werden. Derzeit gelten Branchenmindestlöhne z.B. im Dachdeckerhandwerk, in der Fleischwirtschaft, in der Pflegebranche sowie bei Sicherheitskräften an Flughäfen.
Mit unserer Kampagne "Tarifwende" zeigen wir als DGB gemeinsam mit unseren Mitgliedsgewerkschaften, wie wichtig es ist, Tarifflucht der Arbeitgeber einzudämmen und die Tarifbindung zu stärken. Informier dich umfassend über die notwendigen Maßnahmen der Politik und erfahre, was du selbst für mehr Tarifbindung tun kannst!
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OBK-Beschluss B004 Tarifbindung und Mitbestimmung stärken
Verluste in Milliardenhöhe: Tarifflucht und Lohndumping verursachen enormen finanziellen Schaden!
DGB-Positionspapier für Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung
Wie die Politik nach der Bundestagswahl für gute Arbeit sorgen kann, zeigt unser Faktenblatt. Hier kostenfrei herunterladen. (Version 2, 07/2021)