Deutscher Gewerkschaftsbund

11.03.2014

Steuerpolitik: DGB für gerechtere Einkommensteuer-Tarife

Der DGB spricht sich weiterhin für eine stärkere Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften sowie für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer aus. Mit diesen Einnahmen ließe sich, neben dringend benötigten öffentlichen Investitionen, auch die Beseitigung von Ungerechtigkeiten im aktuellen Tarifverlauf der Einkommensteuer gegenfinanzieren.

Kalte Progression

Von kalter Progression spricht man, wenn Einkommenssteigerungen, wie beispielsweise Lohnerhöhungen, lediglich die Inflation ausgleichen, die durchschnittliche Steuerbelastung aber aufgrund des progressiven Steuertarifs steigt.

Beispiel: Die Inflation, also das durchschnittliche Preisniveau, steigt in einem Jahr um zwei Prozent an. ArbeitnehmerInnen, die im selben Jahr ebenfalls zwei Prozent Einkommenssteigerungen erzielen, haben unterm Strich nicht mehr Reallohn. An ihrer wirtschaftlichen Situation hat sich nichts geändert, ihre Kaufkraft ist konstant. Dennoch kann wegen des progressiven Steuertarifs und des nominal gestiegenen Einkommens die durchschnittliche Steuerbelastung steigen – unterm Strich würden sie also benachteiligt.

„Dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sprunghaft höher besteuert werden, wenn sie zum Beispiel durch Überstunden oder Prämien mehr Geld bekommen, ist nicht gerecht“, kritisiert DGB-Vorsitzender Michael Sommer die in den derzeitigen Einkommensteuerregelungen angelegte so genannte kalte Progression.

Kalte Progression: „Auf Dauer nicht hinzunehmen“

Diese für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nachteilige Regelung will der DGB ändern. „Auf Dauer ist es nicht hinzunehmen, dass es durch den Teil der Einkommens- und Lohnerhöhungen, der nur die Inflation ausgleicht, trotz unveränderter Leistungsfähigkeit zu einem Anstieg der Durchschnittsbelastung kommt“, sagt Reiner Hoffmann, für Steuerpolitik zuständiges DGB-Vorstandsmitglied.

Änderungen bei der Einkommensteuer müssen aber aus Sicht des DGB gegenfinanziert sein. „Der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßt grundsätzlich Änderungen im Einkommensteuerrecht, die zu einer spürbaren Erhöhung der verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmerhaushalte führen, ohne den fiskalischen Handlungsspielraum der öffentlichen Hand zu bedrohen“, so Reiner Hoffmann.

Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Reiner Hoffmann, DGB-Vorsitzender DGB/Simone M. Neumann

Reiner Hoffmann: Kalte Progression "auf Dauer nicht hinzunehmen"

Die so genannte kalte Progression ist seit Langem im Fokus steuerpolitischer Debatten. Was sagt der DGB zum Thema? Reiner Hoffmann, DGB-Vorstandsmitglied, im Interview.

Warum ist es wichtig die kalte Progression anzugehen?

Reiner Hoffmann: Auf Dauer ist es nicht hinzunehmen, dass es durch den Teil der Einkommens- und Lohnerhöhungen, der nur die Inflation ausgleicht, trotz unveränderter Leistungsfähigkeit zu einem Anstieg der Durchschnittsbelastung kommt. Dagegen etwas zu unternehmen ist auch im Interesse der Gewerkschaften. Wegen des steilen Anstieges in der ersten Tarifzone des Grenzsteuersatzes oberhalb des Grundfreibetrags sind die Einkommensbezieher bei der Einkommenssteuer aber unterschiedlich stark von diesem Effekt betroffen. Deshalb ist für uns ein reines Verschieben der Grenzsteuersätze nach rechts, ein so genannter Tarif auf Rädern, nicht die optimale Lösung. Eine strukturelle Änderung des Tarifverlaufs hat für uns Vorrang. Konkret heißt das: Den Tarifverlauf abflachen und ihn dadurch nicht mehr so schnell ansteigen lassen. Ein abgeflachter Tarifverlauf käme nämlich Beziehern niedriger Einkommen stärker zu Gute, würde zugleich aber auch eine geringere Steuerbelastung für die Bezieher von mittleren Einkommen mit sich bringen.

Warum setzt der DGB das Thema „kalte Progression“ jetzt auf die Agenda?

Das tun wir nicht erst jetzt. Das Thema ist für die Gewerkschaften kein neues. Unsere zentrale Botschaft ist: Wir wollen das Problem der kalten Progression strukturell durch einen gerechteren Verlauf des Einkommensteuertarifs entschärfen. Ein reines Verschieben der Grenzsätze nach hinten, wie sie unter der abgewählten schwarz-gelben Bundesregierung zur Debatte stand, leistet das nicht. Sie würde keine Rücksicht auf diejenigen nehmen, die von der kalten Progression stärker betroffen sind – nämlich die unteren Einkommen.

Wie sehen die steuerpolitischen Forderungen des DGB grundsätzlich aus?

Wir begrüßen Änderungen im Einkommensteuerrecht, die zu einer spürbaren Erhöhung der verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmerhaushalte führen, ohne den fiskalischen Handlungsspielraum der öffentlichen Hand zu bedrohen. Dabei sollte stets der Grundsatz der Steuergerechtigkeit gewahrt bleiben. Unter Beachtung der Freibeträge sollten Spitzeneinkommen stärker und niedrigere Einkommen geringer besteuert werden. Dies kann auch dazu beitragen, dass sich die binnenwirtschaftlichen Wachstumskräfte stärker entfalten, indem die zusätzliche Kaufkraft bei jenen Einkommensgruppen freigesetzt wird, die ihr Einkommen nahezu vollständig für Konsum ausgeben. Auf der Einnahmeseite sagen wir ganz klar: Die wirklich Reichen und Vermögenden müssen verstärkt zur Finanzierung des Staates herangezogen werden. Denn die öffentliche Hand hat ein Einnahmenproblem. Zur gerechten Besteuerung von Einkommen und zur Einnahmensicherung gehört auch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes. Diejenigen, die es sich leisten können, müssen über eine angemessene Erbschaftssteuer oder die Wiedereinführung der Vermögensteuer ihren Beitrag für die öffentliche Infrastruktur, für gute Straßen, Schwimmbäder und gut funktionierende Schulen leisten. Dass Kapitaleinkünfte nur pauschal mit 25 Prozent Abgeltungssteuer belegt werden, halten wir für falsch. Außerdem fordern wir wirksame Maßnahmen zur Eindämmung von Steuerhinterziehung und -umgehung.


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DGB-Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zum Abbau der kalten Progression

Dokument ist vom Typ application/pdf.

Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung von Union und FDP von 2012 sollte verhindert werden, dass Lohnerhöhungen, die lediglich die Inflation ausgleichen, den Durchschnittssteuersatz erhöhen. Der DGB kritisiert in seiner Stellungnahme, dass der Entwurf an der kalten Progression für niedrige Einkommen im Grundsatz nichts ändere und sehr hohe Einkommen dadurch sogar entlastet würden.