Deutscher Gewerkschaftsbund

28.06.2019
Abschluss der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“

„Wir müssen zentrale Herausforderungen jetzt angehen, sonst verlieren wir den sozialen Zusammenhalt!“

Drei Fragen an Stefan Körzell

In wenigen Wochen wird der Abschlussbericht der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ vorliegen. Bisher ist wenig über die Arbeit der Kommission bekannt, die Gewerkschaften bleiben außen vor. Warum wir gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland brauchen und was die zentralen Herausforderungen sind, beantwortet DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell.

Portrait Stefan Körzell

DGB/Simone M. Neumann

Warum beschäftigt sich die Bundesregierung mit dem Thema gleichwertige Lebensverhältnisse und was können wir von der Kommission erwarten?

Körzell: Wir erleben auch rund 30 Jahre nach der Wende eine starke Unwucht bei den Lebenschancen. Ob ich gute Arbeitsbedingungen, eine gut erreichbare Kita oder Arztpraxis habe, hängt sehr davon ab, wo ich wohne. Aber nicht nur viele ländliche Gebiete im Osten sind benachteiligt, auch im Norden oder im Ruhrgebiet gibt es abgehängte Regionen, mit unterschiedlichsten Problemlagen. Neben den Einkommen und Bildungsabschlüssen der Eltern entscheidet zunehmend auch der Wohnort über die Chancen, ein gutes Leben zu führen. Das darf nicht sein! Deshalb ist es richtig und wichtig, dass sich die Bundesregierung mit dem Thema befasst. Allerdings wird die Diskussion der Kommission nicht öffentlich und transparent geführt. Zudem wurden wir als Sozialpartner nicht eingebunden, und das obwohl wir fest in den Regionen verankert sind. Es ist zu befürchten, dass der Abschlussbericht viele Lippenbekenntnisse enthält und wichtige Entscheidungen vertagt werden. Wir müssen zentrale Herausforderungen jetzt angehen, sonst verlieren wir den sozialen Zusammenhalt!

Was sind diese zentralen Herausforderungen?

Körzell: Zum einen betrifft dies die Bereitstellung einer angemessenen öffentlichen Daseinsvorsorge, also beispielsweise Bahnstrecken, Krankenhäuser oder Berufsschulen. Bei der zukünftigen Förderung strukturschwacher Regionen darf es zudem nicht um Himmelsrichtungen gehen, vielmehr müssen wir die Bedarfe aller benachteiligten Regionen in den Blick nehmen! Zentral ist, dass die Städte und Gemeinden auch handlungsfähig sind. Dazu müssen sie aber auch Geld in die Hand nehmen können. Viele Kommunen sind jedoch wegen neuer Zuständigkeiten, hoher Sozialausgaben, oder durch den Strukturwandel so durch die Schuldentilgung gelähmt, dass sie wichtige Aufgaben und Investitionen nicht mehr erfüllen können. Schwimmbäder machen zu, Schulen verfallen. Da verlieren die Menschen – zurecht – das Vertrauen in den Staat. Das Problem von überschuldeten Kommunen ist dabei keines, was ausschließlich das Ruhrgebiet trifft, ganz im Gegenteil. Nahezu alle Bundesländer sind betroffen, insbesondere westdeutsche Flächenländer wie NRW, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Aber auch Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt müssen ihre Haushalte regelmäßig „überziehen“. Deshalb brauchen wir zunächst einen bundesweiten kommunalen Altschuldentilgungsfonds. Der DGB in NRW hat ein solches Modell bereits in einem Brief an die Landesregierung gefordert.

Wie funktioniert ein Altschuldentilgungsfonds?

Körzell: Als gemeinsame Einrichtung von Bund, Ländern und Gemeinden kann ein Altschuldentilgungsfonds zunächst Kredite von überschuldeten Kommunen zusammenfassen und zurückzahlen. Das kann ein solcher Fonds deshalb, da er auf dem Kapitalmarkt bessere Konditionen für eine Kreditaufnahme möglich machen kann, als einzelne Gemeinden. Das bedeutet aber nicht, dass der Fonds einfach zahlt und die Kommunen dann schuldenfrei wären. Alle politischen Ebenen, also Bund, Länder und Kommunen, müssen sich bei der Rückzahlung beteiligen. Die Entschuldung ist dabei kein Selbstzweck – finanzielle Handlungsspielräume der Kommunen kommen den Bürgerinnen und Bürgern, Beschäftigten, sowie dem Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse zugute. Ein Altschuldentilgungsfonds allein löst die Defizite bei der Versorgung mit öffentlichen Gütern jedoch nicht – bröckelt die Einnahmebasis der Gemeinden, verpufft der finanzielle Spielraum bereits nach wenigen Jahren. Wir müssen daher zusätzlich Besserverdienende stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens, auch auf kommunaler Ebene, beteiligen. Denn im Zweifel können die sich Bildung, Gesundheit und Sicherheit erkaufen, während alle anderen auf der Strecke bleiben. Dazu brauchen wir eine Reform der Erbschafts- und Vermögenssteuer genauso, wie die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer hin zu einer Gemeindewirtschaftssteuer, die auch Freiberufler mit einbezieht. Wir fordern die Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse daher auf, den finanziellen Handlungsspielraum der Kommunen zu erhöhen, da dies der Schlüssel für gleichwertige Lebensverhältnisse ist!


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