Deutscher Gewerkschaftsbund

26.09.2018

Brasiliens Regierung betreibt vehement Sozialabbau

einblick Oktober 2018

In Brasilien wird am 7. Oktober ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Elke Hannack, DGB-Vize und Vorsitzende des DGB-Bildungswerks, hat das Land kürzlich bereist und berichtet im Interview über die schwierige politische Situation.

Teilnehmer bei einer Demo in Sao Paulo, Brasilien

DGB/Aurelio Scetta/123rf.com

Brasilien befindet sich seit Jahren in einer politischen Krise. Wie schätzt Du die Lage dort aktuell ein?

Hannack: Es herrscht eine große Unsicherheit. Seit dem Amtsenthebungsverfahren gegen die demokratisch gewählte Präsidentin Dilma Rousseff 2016 hat sich die Krise deutlich verschärft. Das Land hat noch weit mehr als wir ein Problem mit dem Rechtspopulismus und dem Rechtsnationalismus – und natürlich mit der allgegenwärtigen Korruption. Im Grunde kann man von keinem dort in der Politik sagen, er habe ehrlich und loyal gegenüber Staat und Bürgern seine Aufgaben erfüllt. Das gilt leider auch für etliche Vertreter der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die immerhin in ihrer Regierungszeit versucht hat, die größten sozialen Probleme des Landes anzugehen. Lula und Rousseff können Erfolge vorweisen und haben die soziale Ungleichheit deutlich verringert.

Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes

DGB/Simone M. Neumann

Elke Hannack, 57, ist seit 1. Juni 2013 stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Im Mai 2018 wurde sie von den Delegierten des DGB-Bundeskongresses im Amt bestätigt. Beim DGB-Bundesvorstand ist sie verantwortlich für die Ressorts Frauen-, Gleichstellungs- und Familienpolitik, Öffentlicher Dienst und Beamtenpolitik sowie Jugend- und Bildungspolitik. Sie ist Vorsitzende des DGB-Bildungswerks.

Das ist mit der aktuellen Regierung alles in Frage gestellt. Und die Aussichten sind eher düster.

Ja, die Regierung betreibt einen vehementen Sozialabbau, sie schwächt die Arbeitnehmerrechte und den Einfluss der Gewerkschaften. Zudem ist der Mindestlohn herabgesetzt worden. Viele Menschen arbeiten ohnehin für noch weniger Geld und leben in äußerst prekären Verhältnissen. Wie die Menschen und Gewerkschaften damit umgehen, davon habe ich mir ein Bild gemacht.  Die Gewerkschaften in Brasilien betrachten das als Wertschätzung.

Wie positionieren sich denn die Gewerkschaften derzeit dort?

Zumindest einer der Dachverbände, die CUT (Central Única dos Trabalhadores), hat versucht unabhängig eine sozialdemokratische Politik zu vertreten. Das Problem ist allerdings, dass die Gewerkschaften in Brasilien eben Richtungsgewerkschaften sind. Das heißt: Sie sind einer politischen Richtung, einer Partei verpflichtet. Und nur in dieser Partei haben sie Gesprächspartner, zu keiner anderen. Ich glaube, dass in der heutigen Zeit Gewerkschaften zu allen Parteien, außer den rechtsnationalen und rechtspopulistischen, Kontakte pflegen müssen.

Die Gewerkschaften in Deutschland arbeiten als Einheitsgewerkschaften ja so. Was kann der DGB trotz der strukturellen Unterschiede tun, um deren Arbeit zu unterstützen?

Politisch mit Blick auf eine Partei können wir sie nicht unterstützen, aber wir können es sehr wohl mit Blick auf ihren Kampf gegen den Sozialabbau. Da gibt es gute und enge Kontakte. Wir tauschen uns etwa auch intensiv aus über die Betriebsrats- und Personalratsstrukturen. Die KollegInnnen kennen diese Formen der Mitbestimmung nicht und finden sie sehr interessant. In Brasilien muss die Gewerkschaft in jeden Betrieb extra gehen, um dort etwas für die MitarbeiterInnen zu erreichen. Das ist sehr aufwändig. Der CUT hat immerhin 7,5 Millionen Mitglieder, alle Gewerkschaften zusammen etwa 25 Millionen.

Das DGB-Bildungswerk hat in Brasilien einige Projekte, die auch Ziel Deiner Reise waren. Was genau passiert dort?

Wir haben uns einige Projekte angeschaut und mit den Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes gesprochen, die darin involviert sind. Sie haben etwa einen Erfahrungsbericht gegeben über ein sehr interessantes Projekt, bei dem es um die Diskriminierung von LSBT geht, also die Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen in Lateinamerika. Wie viele Projekte ist auch das nicht auf Brasilien begrenzt. Dieses Projekt ist wirklich eine Herausforderung. In São Paulo werden zum Beispiel jedes Jahr weit über 300 schwule Männer, oft Schwarze erschossen. Gewerkschaften müssen zudem mit Repressalien rechnen, wenn sie ein solches Projekt unterstützen. Trotzdem engagieren sie sich für mehr Diversität und machen dadurch Gesellschaftspolitik. Das ist sehr mutig.

Welche weiteren Themen waren den KollegInnen bei eurem Besuch wichtig?

Ein wichtiger Punkt war die Jugendarbeitslosigkeit. Sie lag vergangenes Jahr bei 26 Prozent. Es gab daher ein großes Interesse, mehr über die duale Ausbildung zu erfahren. Noch ausführlicher haben wir über die Digitalisierung gesprochen. Wie können Gewerkschaften hier mitgestalten? Das ist in Brasilien ebenso eine Schlüsselfrage wie bei uns, auch wenn die Industrieproduktion etwas rückläufig ist. Zum Beispiel in der Automobilbranche. Da gibt es eine gute Zusammenarbeit zwischen brasilianischen Gewerkschaftern mit Daimler-Betriebsräten. Hier können wir gegenseitig voneinander lernen. Solche Kooperationen und Projekte werden wir fortsetzen, wie auch immer die politische Lage sich in Brasilien entwickeln mag.


Hintergrund: Politische Situation in Brasilien

Der in Korruptionsaffären verwickelte rechtskonservative Amts-inhaber Michel Temer tritt nicht mehr zur Wahl an. Staatsanwälte fordern Ermittlungen gegen ihn wegen des Verdachts auf Korruption und Geldwäsche. Brasiliens immer noch beliebter Ex-Staatschef Lula da Silva sitzt nach seiner Verurteilung wegen Korruption und Geldwäsche bereits im Gefängnis und wird bei der Präsidentschaftswahl nicht antreten. Der Prozess ist rechtsstaatlich zweifelhaft und wird vielfach kritisiert.

Davon könnte der Rechtspopulist Jair Bolsonaro profitieren, der für die Sozialliberalen (PSL) antritt. Er ist nicht nur bekannt für seine Homophobie, die Verklärung der Militärdiktatur und Vorurteile gegenüber Schwarzen, sondern auch für seine neoliberalen Vorstellungen von Wirtschaftspolitik, die zulasten der ArbeitnehmerInnen in Brasilien ginge.


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