Deutscher Gewerkschaftsbund

05.04.2016

Studie: Kinderarmut in Westdeutschland wächst weiter

DGB fordert Aktionsprogramm

Die Zahlen sind alarmierend: Mehr als 1,66 Millionen Kinder waren im vergangenen Jahr in Deutschland von Hartz IV abhängig. Während im Osten die Armutsquote auf hohem Niveau nahezu stagniert, nimmt sie Westdeutschland weiter zu – trotz starker Konjunktur und geringer Arbeitslosigkeit. Der DGB fordert jetzt ein Sonderprogramm gegen Kinderarmut.

Kinder mit Kinderwagen

DGB/Simone M. Neumann

Die Arbeitslosigkeit ist niedrig wie nie zuvor im wiedervereinten Deutschland – seit 2005 sank die Arbeitslosenquote um über fünf Prozentpunkte. Beschäftigungsrate und Reallöhne sind 2015 gewachsen. Doch vor allem an Kinder aus armen Familien geht der Aufschwung vorbei, wie eine aktuelle Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Kinderarmut zeigt. So leben 14 Prozent aller Kinder in Westdeutschland in Hartz IV-Haushalten, Tendenz steigend. In Ostdeutschland waren 2015 sogar 22,4 Prozent der Kinder von Hartz IV abhängig. Damit stieg die Zahl der bedürftigten Familien mit Kindern gegenüber dem Vorjahr weiter an. Eine alarmierende Entwicklung. Denn durch den demografischen Wandels nimmt die Zahl der Kinder in Deutschland weiter ab - dennoch leben mehr Kinder in Armut.

Große regionale Unterschiede

Die Kinderarmut ist dabei regional sehr unterschiedlich verteilt. Besonders betroffen sind Ostdeutschland und die Stadtstaaten. Doch auch Teile von Nordrhein-Westfalen und das Saarland kämpfen mit hohen Armutsquoten Den traurigen Rekord halten Berlin und Bremen. Hier ist knapp ein Drittel der Kinder auf Hartz IV angewiesen. In Bundesländern wie Bayern und Baden-Württemberg blieb die Kinderarmut auf relativ niedrigem Niveau dagegen nahezu unverändert.

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit

Kinder (unter 15 Jahren) mit Hartz IV-Bezug

 Land

 September 2015

Veränderung gegenüber Vorjahr

Hilfequoten im September 2015

Veränderung gegenüber vorjahr in Prozent-punkten

Deutschland

1.661.001

24.178

15,5

0,2

Schleswig-Holstein

60.670

1.367

16,3

0,4

Hamburg

50.157

1.589

21,3

0,7

Niedersachsen

163.249

3.216

15,5

0,3

Bremen

27.206

1.736

32,8

2,1

NRW

460.409

15.100

19,5

0,6

Hessen

124.363

2.726

15,2

0,3

Rheinland-Pfalz

63.814

1.156

12,3

0,2

Baden-Württemberg

125.011

2.897

8,5

0,2

Bayern

122.485

2.227

7,2

0,1

Saarland

20.776

1.039

18,4

0,9

Westdeutschland

1.218.140

33.053

14,0

0,4

Berlin

148.821

1.753

32,5

0,4

Brandenburg

54.441

-2.137

18,0

-0,7

MecklenburgVorpommern

43.420

-1.524

22,4

-0,8

Sachsen

89.008

-4.315

17,6

-0,9

Sachsen-Anhalt

63.977

-1.478

25,1

-0,6

Thüringen

43.194

-1.174

16,7

-0,5

Ostdeutschland

442.861

-8.875

22,4

-0,4

Alleinerziehende besonders von Armut betroffen

Die Wahrscheinlichkeit von Hartz IV abhängig zu werden, steigt mit der Anzahl der Kinder, so die DGB-Studie. So bezieht jedes zehnte Paar mit Kinder Hartz IV, Alleinerziehende sind sogar zu fast 38 Prozent betroffen.

Der DGB schlägt ein ganzes Maßnahmenbündel gegen Kinderarmut vor:
  • Aktionsplan „Zukunft für Kinder". Bereits im September 2015 stellte der DGB gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) den Aktionsplan „Zukunft für Kinder – Perspektiven für Eltern im SGB II“ vor. Mit einem familienorientiertem Fallmanagement soll die Kinder- und Familienarmut bekämpft werden.
  • Höhere Hartz IV-Regelsätze - auch für Kinder. Die derzeitigen Regelsätze sind steuerpolitisch motiviert klein gerechnet und ermöglichen keine angemessene soziale Teilhabe von Kindern.
  • Ausbau der sozialen Sicherungssysteme. Der DGB setzt sich seit langem auch für eine Verbesserung der sozialen Sicherungssysteme wie Arbeitslosengeld, Kinderzuschlag und Wohngeld ein. Ziel ist es, Hartz-IV-Bedürftigkeit zu verhindern. Familien, in denen zumindest ein Elternteil Vollzeit arbeitet, sollten nicht auf Hartz IV angewiesen sein.
  • Familienlastenausgleich umgestalten. Kinderarmut lässt sich auch durch eine Umgestaltung des Familienlastenausgleichs bekämpfen. Bisher werden Besserverdienende über die steuerlichen Kinderfreibeträge deutlich stärker entlastet werden als das Gros der Haushalte, das auf Kindergeld angewiesen ist.
  • Bessere Bildungs- und Betreuungsangebote. Die soziale Infrastruktur sowie Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder und Jugendliche müssen ausgebaut werden. Dazu zählen Kindergärten und Schulen, aber auch die Angebote nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz.
Download: DGB-Studie zur Kinderarmut
arbeitsmarkt aktuell 3/2016: Steigende Armut trotz guter Wirtschaftslage - Problem Kinderarmut ungelöst (PDF, 210 kB)

Obwohl sich die Lage auf den Arbeitsmarkt entspannt hat, nimmt die Zahl der Armen in Deutschland weiter zu. Kinder sind dabei häufiger von Armut bedroht als Erwachsene. Der DGB fordert jetzt ein Sonderprogramm gegen Kinder- und Elternarmut im Hartz-IV-System.


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