Die EU-Kommission hat im Rahmen ihres Dienstleistungspakets vorgeschlagen, eine „Elektronische Europäische Dienstleistungskarte“ einzuführen, um es damit einfacher zu machen, über Staatsgrenzen hinweg Dienstleistungen anzubieten. Doch der Vorschlag läuft darauf hinaus, Märkte zu entfesseln indem nationale Regeln zum Schutz der Beschäftigten oder der Verbraucher schwerer durchgesetzt werden können.
Unternehmen, die in einem anderen EU-Land Dienstleistungen erbringen wollen, müssen heute die dort geltenden Regulierungen zum Verbraucherschutz, zum Gewerberecht oder zum Schutz der Beschäftigten einhalten. Damit sie mit der fremden Bürokratie besser zurechtkommen, gibt es seit über zehn Jahren sogenannte „Einheitliche Ansprechpartner“ – staatliche Stellen, die die ausländischen Unternehmen unterstützen sollen, die örtlichen Vorschriften zum Beschäftigten- oder zum Verbraucherschutz einzuhalten. Das Verfahren hat sich insoweit bewährt, als es dafür sorgt, dass alle im Land angebotenen Dienstleistungen denselben Regeln unterliegen, die vom zuständigen Staat festgelegt und deren Einhaltung von den Behörden dieses Staates überprüft werden.
Doch die EU-Kommission will nun ein neues Verfahren einführen, das die Regeln des Beschäftigten- und Verbraucherschutzes auszuhöhlen droht: Eine neue Dienstleistungskarte soll Unternehmen erlauben, ohne weitere Genehmigung oder Anmeldung in einem anderen EU-Land Dienstleistungen anzubieten. Diese soll zunächst für Bau- und sehr viele Unternehmensdienstleistungen eingeführt werden.
Die Dienstleistungskarte wird aber nicht im Zielland (für das sie gelten soll) beantragt, sondern bei einer Behörde im Herkunftsland des Dienstleistungsunternehmens. Die Behörde im Herkunftsland soll dann mit dem Zielland klären, ob die Dienstleistungskarte ausgestellt werden kann. Das Zielland wird aber in seinen Möglichkeiten, seine bestehenden Vorschriften für die eigenen Märkte durchzusetzen, massiv geschwächt:
DGB/Dmitry Kalinovsky/123rf.com
Die EU-Kommission hat die Absicht, ein Verfahren einzuführen, das möglichst immer zur Ausstellung der Dienstleistungskarte führt. Die Beteiligung der Behörden des Herkunftslandes am Marktzugang im Zielland wäre ein Schritt Richtung Herkunftslandprinzip. Den zuständigen Behörden im Zielland der Dienstleistung soll es so schwer wie möglich gemacht werden, Regelungen des Beschäftigten- oder Verbraucherschutzes oder des Gewerberechts durchzusetzen. Dazu kommt, dass die Karte unbefristet gelten soll und nur in Ausnahmefällen wieder entzogen werden kann.
Einige Beispiele verdeutlichen mögliche Folgen der Dienstleistungskarte:
Die Dienstleistungskarte erschwert also die Durchsetzung von geltendem Recht, von sozialen und verbraucherschützenden Regulierungen. Wettbewerb ist aber nur dann fair, wenn Regulierungen nicht nur vom Staat für alle Marktteilnehmer gesetzt, sondern auch bei allen gleich wirksam überwacht werden.
Wie falsch der eingeschlagene Weg ist, erkennt man, wenn man diese Vorschläge der EU-Kommission mit den wirklichen Problemen Europas vergleicht. Die europäische Integration steckt in der Krise. Nationalistische Parteien, die sich gegen die EU wenden, finden in vielen europäischen Ländern immer mehr Zulauf. Die Krise des Euroraums ist immer noch nicht überwunden, die Arbeitslosigkeit ist in vielen Ländern hoch, die Kürzungspolitik hat soziale Strukturen zerstört, die Armut vergrößert und die Konjunktur abgewürgt. Europa leidet unter einem Mangel an Investitionen in die Infrastruktur, in die sozialen Dienstleistungen und in die Menschen.
Doch statt diese Missstände zu beheben will die EU-Kommission den Binnenmarkt weiter deregulieren und die Durchsetzung von geltenden Beschäftigten- und Verbraucherrechten erschweren. Wenn wir den Erfolg des europäischen Projekts wollen, dann muss die EU aktiv für soziale Rechte, für einen wirksamen Beschäftigten- und Verbraucherschutz, für eine gute öffentliche Infrastruktur und soziale Dienstleistungen eintreten. Die vorgeschlagene Dienstleistungskarte ist der falsche Weg, wenn es darum gehen soll ein soziales Europa zu schaffen.