Deutscher Gewerkschaftsbund

07.11.2022
Arbeitsmarkt: Zahl des Monats

Nur 38% der MINT-Fach-Absolventinnen arbeiten ein Jahr nach dem Studium in einem MINT-Beruf – bei den Männern sind es 50%

MINT umfasst die Gebiete Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Frauen entscheiden sich deutlich seltener für ein Studium im Bereich Elektrotechnik, Maschinenbau oder Informatik als ihre männlichen Kollegen. Im Vergleich der wirtschaftsstärksten Länder gehört Deutschland zu den Schlusslichtern, wenn es um den Frauenanteil unter den MINT-Absolvent*innen geht. Auch in nicht-akademischen MINT-Berufen sind Frauen unterrepräsentiert. Laut Bundesagentur für Arbeit herrscht zwar nicht generell ein Fachkräftemangel in MINT-Berufen, in vielen technischen Berufsfeldern aber schon. Daher wäre hier ein höherer Frauenanteil nicht nur eine große Chance für die Fachkräftesicherung, sondern böte auch Frauen bessere Aufstiegsmöglichkeiten.

Junge Frau im Labor

DGB/Simone M. Neumann

Die Spaltung des Arbeitsmarktes in frauen- und männerdominierte Berufe zeichnet sich schon in der Schule ab. 70 Prozent der Schülerinnen seien zwar an MINT-Themen interessiert, mehr als 40 Prozent fühlten sich aber mit einer weiterführenden Ausbildung in dem Bereich überfordert, so das Ergebnis einer aktuellen Umfrage der IU Internationalen Hochschule Erfurt. Denn nach Einschätzung der jungen Frauen seien sie durch den Schulunterricht nicht ausreichend auf die betreffenden Fächer vorbereitet und im späteren Berufsalltag fehlten zudem die weiblichen Vorbilder. Dies deckt sich mit den Ergebnissen älterer Studien, dass Schülerinnen ihre Fähigkeiten in MINT-Fächern allgemein geringer einschätzten als ihre männlichen Mitschüler und davon auch ihre Fächerwahl abhängig machten – selbst wenn ihre tatsächlichen Schulleistungen einer MINT-Karriere nicht im Wege stehen würden.

So verwundert es nicht, dass der Anteil junger Frauen, die sich für eine Berufsausbildung im MINT-Bereich entscheiden, bei nur etwa 9 Prozent liegt, für eine duale MINT-Ausbildung bei 11 Prozent. Ein zusätzliches Hindernis ist sowohl für Frauen als auch für Männer der Rückgang der gemeldeten Ausbildungsstellen, den die Bundesagentur für Arbeit auch in technischen Berufen verzeichnet.

Zwar streben mehr als 80 Prozent der weiblichen MINT-Auszubildenden einen technischen Beruf an, allerdings neben der Produktionstechnik (etwa 60 Prozent) vor allem in der Gesundheitstechnik (etwa 20 Prozent). IT-Berufe werden von Frauen weitaus seltener gewählt als naturwissenschaftliche Berufe – bei Männern ist es genau umgekehrt. Zehn Prozent der weiblichen MINT-Nachwuchskräfte wählen eine Ausbildung in den Berufsfeldern Mathematik und Naturwissenschaften. Diese Berufsfelder werden nur von 2,4 Prozent der männlichen MINT-Auszubildenden gewählt.

Allerdings sind nicht einmal zehn Prozent der MINT-Auszubildenden Frauen, unter den MINT-Fach-Studierenden sind immerhin ein Drittel Frauen (etwa 30 Prozent). Doch auch hier gibt es große Unterschiede, was das jeweilige Studienfach anbelangt: Die Naturwissenschaften sind auch bei MINT-Akademikerinnen am beliebtesten. Über alle Studienfächer hinweg sind rund die Hälfte aller neueingeschriebenen Student*innen Frauen; in Pharmazie und Biologie liegt der Anteil weiblicher Studierender sogar bei mehr als 60 Prozent, in Physik dagegen nur bei etwa 29 Prozent.

In den Ingenieurwissenschaften, in denen sich der Fachkräftemangel besonders bemerkbar macht, ist nur gut jede vierte Neueinschreibung an den Hochschulen und Universitäten von einer Frau. Dabei gibt es in den ingenieurwissenschaftlichen Studienfächern Architektur, Innenarchitektur und Raumplanung sogar mehr Frauen als Männer, im Vermessungs- und Bauingenieurwesen stellen Studentinnen immerhin noch knapp ein Drittel. In der Elektrotechnik oder der Verkehrstechnik/Nautik finden sich allerdings nur 16 Prozent bzw. knapp 14 Prozent Frauen.

Eine Chance für Bildungsaufsteiger*innen

Dabei stellen gerade MINT-Berufe und insbesondere Ingenieurwissenschaften durch ihre überdurchschnittliche Lohnhöhe eine Chance für den sozialen Aufstieg durch Bildung dar. Laut MINT-Frühjahrsreport 2022 des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) sind unter den Akademiker*innen knapp 64 Prozent der Ingenieur*innen und gut 61 Prozent der Naturwissenschaftler*innen Bildungsaufsteiger*innen. Diese Quote wird nur noch von den Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaftler*innen leicht übertroffen (rund 67 Prozent).

Der Großteil aller MINT-Beschäftigten waren laut Bundesagentur für Arbeit 2018 Fachkräfte mit einer dualen oder schulischen Berufsausbildung (knapp 60 Prozent). Knapp 25 Prozent der MINTler*innen war beschäftigt in der Kategorie Spezialist*in im mittleren Qualifikationssegment mit einem Abschluss als Meister, Techniker oder Bachelor. Knapp 18 Prozent übten als hochqualifizierte Expert*innen eine MINT-Tätigkeit aus, für die eine mindestens vierjährige Hochschulausbildung oder vergleichbare Kompetenzen vorausgesetzt werden.

Allerdings arbeiten nur 38 Prozent der weiblichen MINT-Fach-Studierenden ein Jahr nach dem Studienabschluss in einem MINT-Beruf – verglichen mit 50 Prozent ihrer männlichen Kollegen. In den ersten fünf Jahren nach dem Studium vergrößert sich diese Differenz noch, weil dann immerhin 56 Prozent der MINT-Fach-Absolventinnen eine MINT-Tätigkeit ausüben, unter den Männern sind es dann sogar 70 Prozent (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) 2022).

Im Jahr 2021 fällt der nur langsam steigende Frauenanteil in MINT-Berufen mit gerade einmal 17 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sehr gering aus gegenüber 46 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen insgesamt (Statistik der Bundesagentur für Arbeit). Dies spiegelt auch der Frauenanteil von ebenfalls 17 Prozent im Bereich Informatik wider. In den Berufsfeldern Mathematik und Naturwissenschaften stellen Frauen allerdings bei den Fachkräften und Spezialist*innen die Hälfte und bei den Expert*innen sogar 52 Prozent (siehe Erklärung der Qualifizierungskategorien oben im Text). Bemerkenswert ist auch der Bereich Technik: Dort gibt es unter den Fachkräften und Spezialist*innen 13 Prozent Frauen, unter den Expert*innen 19 Prozent – doch bei den Expert*innen im Alter unter 35 Jahren liegt der Frauenanteil erheblich höher, nämlich bei 27 Prozent. Eine Erklärung dafür, dass der Frauenanteil in technischen Berufen im Alter ab 35 Jahren merklich sinkt, kann eine Unverträglichkeit des Berufs mit der Familienplanung sein.

Viele Studien haben gezeigt, dass die Arbeitsbedingungen und die Unternehmenskultur entscheidend sind, wenn junge Frauen einen MINT-Beruf wählen – nicht nur für den erfolgreichen (Aus-)Bildungsabschluss, sondern auch für die Verweildauer von Frauen im erlernten Beruf. Deshalb forderte der deutsche Frauenrat schon 2018 von der Bundesregierung, eine Studie in Auftrag zu geben, die untersucht, wie viele Frauen und Männer nach ihrem Berufseintritt in einen technischen Beruf nach einem bestimmten Zeitraum noch in diesem Beruf arbeiten oder in eine andere Branche gewechselt sind. Zudem solle untersucht werden, welche Gründe Frauen veranlassen, einen technischen Beruf zu verlassen. Bis heute gibt es dazu in Deutschland keine Studie.

Ausbildung und Arbeitsplätze für Frauen attraktiver gestalten

Laut der Bundesagentur für Arbeit korreliert die Teilzeitarbeit mit dem Frauenanteil. Dies lässt sich mit der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familienplanung durch Teilzeitarbeit erklären. Während 45 Prozent der Frauen insgesamt im Jahr 2018 in Teilzeit arbeiteten, lag der Anteil der Teilzeitbeschäftigung bei Frauen in MINT-Berufen bei nur etwa 28 Prozent. Unter den Männern in MINT-Berufen haben sogar nur knapp 5 Prozent in Teilzeit gearbeitet. Im Durchschnitt liegt der Anteil der Teilzeitbeschäftigung in MINT-Berufen mit 8,5 Prozent weit unter dem Durchschnitt von 25,7 Prozent in allen Berufen insgesamt. Dies unterstreicht, wie entscheidend Arbeitsbedingungen für den Frauenanteil sein können.

Der wichtigste Grund für die Schülerinnen in der IU-Umfrage, trotz Interesse keine MINT-Fächer studieren zu wollen, sind finanzielle Bedenken, aufgrund der hohen Studienbelastung keinem Nebenjob nachgehen und sich so das Studium finanzieren zu können. Auch hier spiegelt sich wie eingangs beschrieben wider, dass sich junge Frauen in der Regel weniger zutrauen als ihre männlichen Altersgenossen dies tun.

Weitere ausschlaggebende Gründe, die junge Frauen von der MINT-Studienwahl abhalten, sind der Umfrage zufolge Befürchtungen, dass andere Menschen eine solche Studienfachwahl nicht verstehen oder sich sogar darüber lustig machen könnten bis hin zu der Annahme, dass die Eltern mit dem Studienfach nicht einverstanden wären. Diese Ergebnisse untermauern die Selbstkonzepttheorie, die besagt, dass Menschen einen Beruf wählen, der zu ihrem Selbstkonzept passt. MINT-Berufe scheinen nach wie vor nicht zum Selbstbild oder dem Bild des Umfeldes vieler Frauen in Deutschland zu passen.

Der DGB fordert, Stereotype sichtbar zu machen und abzubauen

Da MINT-Fächer insbesondere für Bildungsaufsteiger*innen interessant sind, könnten entsprechende Unterstützungs-/Förderprogramme eine weitere Chance sowohl für junge Frauen als auch für die Fachkräftesicherung bieten.

  • Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert deshalb vom Gesetzgeber und von bildungspolitischen Akteur*innen auf Bundesebene, sich einzusetzen für eine umfassende Berufsorientierung, die eine Aufklärung über Beschäftigungssicherheit, Einkommenschancen und Aufstiegsmöglichkeiten einschließt und frei ist von Rollenklischees.
  • Von den Gesetzgebern auf Landesebene fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund, das MINT-Interesse von Mädchen und jungen Frauen in Kindertagesstätten und Schulen stärker zu fördern. Denn es ist wichtig, bei den Zuschreibungen von Geschlechterrollen und damit sowohl beim Selbst- als auch beim Fremdbild von Frauen früh anzusetzen: Stereotype müssen bereits in der Kita- und Schulzeit hinterfragt werden, sodass die Berufsorientierung geschlechtersensibel ausgerichtet werden kann. Das bedeutet einerseits, das MINT-Interesse von Mädchen und jungen Frauen in der schulischen Ausbildung zu stärken und durch gezielte Ansprache junge Frauen für zukunftsträchtige MINT-Berufe im dualen Ausbildungssystem und im akademischen Bereich zu gewinnen. Andererseits müssen auch Jungen und junge Männer in ihrer individuellen Lebensplanung fernab von Geschlechterstereotypen unterstützt und in ihrem Interesse für weiblich dominierte Fürsorgeberufe gefördert werden.
  • Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert von Arbeitgebern, die Ausbildungsbedingungen in MINT-Berufen daraufhin zu überprüfen, ob sie sich für junge Frauen und Männer unterschiedlich darstellen, um einen diskriminierungsfreien Umgang mit weiblichen und männlichen Auszubildenden sicherzustellen. Der DGB fordert zudem eine gezielte und sachkundige Ansprache zur Gewinnung junger Frauen für (zukunftssichere) MINT-Berufe sowohl im akademischen als auch im nicht-akademischen Bereich. Dabei muss auch der Ablauf von Bewerbungsverfahren vom ersten Motivationsschreiben bis zur Einstellung geschlechterdifferenzierend gestaltet werden.
  • Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert von den Betrieben, sich noch stärker für die Belange weiblicher Auszubildender einzusetzen und sie bei ihrer beruflichen Entwicklung gezielt zu unterstützen. Denn Frauen verdienen hierzulande durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer. Umfragen zufolge ist diese „Gender Pay Gap“ in MINT-Berufen teils geringer bei etwa zehn Prozent, in Technik-Berufen teils aber noch größer, nämlich bei 25 Prozent. Das muss sich dringend ändern. Aus dem D21-Digital-Index geht zudem hervor, dass Frauen über alle soziodemografischen Merkmale hinweg seltener Zugang zu digitalen Technologien haben, diese seltener nutzen, weniger über sie wissen und ihnen gegenüber weniger offen sind als Männer. Dies führt zur „Digital Gender Gap“, die sich im Zuge der Transformation noch vergrößern kann und wertvolles Potential ungenutzt lässt sowohl für die betroffenen Frauen als auch für die Fachkräftestrategie und die Wirtschaft als Ganzes.

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