Deutscher Gewerkschaftsbund

06.08.2010
Mindestlohn-Interview

Die KiK-Story: Ausbeutung der Näherinnen ist Teil des Systems

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Die Sendung „Die Kik-Story“ des Norddeutschen Rundfunks (NDR) hat deutschlandweit für Empörung über die Ausbeutungspraktiken des Textildiscounters KiK gesorgt. Die Redaktion Mindestlohn sprach mit Sabine Puls, die als Redakteurin des NDR für die Sendung recherchiert hat. 

Sie haben den Beitrag des NDR zum Texildiscounter Kik recherchiert. Haben Sie solche Ergebnisse für möglich gehalten?

Sabine Puls: KiK war bereits durch Negativschlagzeilen aufgefallen, etwa durch Lohndumpingprozesse und durch das Ausspähen seiner Mitarbeiter über die Auskunftei Creditreform. Hinzu kam die Kritik des Aktionsnetzwerkes „Kampagne für saubere Kleidung“ an den Arbeitsbedingungen der Näherinnen in Bangladesch. Das waren sozusagen die Grundpfeiler unserer Recherche.

Mein Kollege Kristopher Sell und ich arbeiten für das investigative NDR Reportageformat „Panorama – die Reporter“ und haben in diesem Rahmen im vergangenen Winter mit der Recherche begonnen. Es war insgesamt sehr schwierig, fast unmöglich, an KiK Mitarbeiter heranzukommen. Als es dann glückte, waren die Ergebnisse erschütternd, bisweilen auch erschreckend: Die Mitarbeiter, mit denen wir sprechen konnten, haben über Jahre mit ihrem Einsatz ein Geschäftsmodell am Laufen gehalten und zum Blühen gebracht, in dem sie als Menschen offenbar wenig zählten. Sie wurden schlecht bezahlt, unter Druck gesetzt und mussten regelmäßig entwürdigende Taschen- und Spätkontrollen über sich ergehen lassen. Aushilfen erhielten offenbar jahrelang keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das hat KiK nach unseren Informationen erst vor kurzem geändert. Der Profit geht KiK meiner Einschätzung nach über Alles. Teilweise nimmt das absurde Züge an, zum Beispiel wenn man hört, dass die Mitarbeiter ihren Müll mit nach Hause nehmen müssen, weil KiK damit Müllgebühren spart. Als wir dann auch noch herausbekommen haben, dass KiK offenbar jahrelang Mitarbeiter über die Auskunftei Creditreform ausspähen ließ, mit dem Ziel, sich von ihnen bei Überschuldung zu trennen, waren wir fassungslos. Auch, weil KiK dieses System von Ausbeutung und Bespitzelung offenbar jahrelang unbehelligt durchführen konnte. Da ist man schon schockiert, dass so etwas in Deutschland möglich ist.

Die Arbeitsbedingungen in Bangladesh sind extrem belastend. Welche Veränderungen erwarten die Näherinnen vor Ort?

Sabine Puls: Ich sehe kaum Chancen dafür, dass sich die Arbeitsbedingungen in Bangladesh grundlegend ändern. Die großen Abnehmer wie Wal Mart, H & M oder auch KiK diktieren die Preise. Nur wenige TextilarbeiterInnen sind gewerkschaftlich organisiert. Die Gewerkschaften sind klein und schwach. Zahlreiche Parlamentsabgeordnete sind Eigentümer von Textilfabriken, sind also Teil jenes Systems, das auf Ausbeutung der Näherinnen und Näher basiert.

Die Arbeitsbedingungen in den deutschen Kik-Filialen sind in Ihrem Beitrag sowohl körperlich als auch psychisch belastend dargestellt worden. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass mit der Geschäftsleitung Verbesserungen erreicht werden können?

Sabine Puls: Wir haben KiK durch unsere Berichterstattung offenkundig in die Defensive gebracht. KiK hat unserer Redaktion gegenüber eingeräumt, Fehler gemacht zu haben, die man außerordentlich bedauere. Außerdem haben die Geschäftsführung von KiK und der Mutterkonzern Tengelmann für die Zukunft Besserung gelobt, was die Kommunikationsstrategie angeht. Ob da nun wirklich auch Taten folgen und was diese Ankündigungen konkret für die Mitarbeiter bedeuten, werden wir sehen. Zweifel sind angebracht. Schon in der Vergangenheit hat KiK verbal „Fehler“ eingestanden, ohne dass sich letztlich etwas besserte. So berichtet der Arbeitsforscher Khorshed Alam auf Bangladesch, führende Vertreter von KiK seien vor etwa zwei Jahren bei ihm gewesen, hätten seine Kritik akzeptiert und Besserung gelobt. Seitdem habe sich aber so gut wie nichts geändert. Wir behalten das Thema KiK auf jeden Fall im Blick. Im Übrigen haben sich mehrere Mitarbeiter bei uns gemeldet, die noch bei KiK sind – wir haben also auch weiterhin Gelegenheit zu überprüfen, ob KiK sich wirklich bessert.

Wie ist die Reaktion auf ihren Beitrag in der Öffentlichkeit, und was müsste in Deutschland passieren, damit sich sowohl bei den Arbeitsbedingungen in Bangladesh als auch hier in Deutschland etwas zum Besseren ändert?

Sabine Puls: Wir werden hier regelrecht überflutet von Zuschauerpost und Anrufen. Die KiK-Story hinterlässt bei den meisten Zuschauern zuerst Betroffenheit und dann Empörung. Ich denke, dass diese Empörung wichtig ist, denn sie zeigt, dass wir die Zuschauer zum Nachdenken gebracht haben. Was daraus resultiert, wird man sehen. Das ist die eine Seite. Die andere Ebene ist sicherlich die Politische. Wir haben bei unseren Recherchen immer wieder gehört, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich ausgebeutet fühlen, dass ihre Arbeit bei Weitem nicht angemessen bezahlt wurde und wird. Ein Beispiel, das allerdings schon einige Zeit zurückliegt: Wenn jemand nach drei Jahren harter Arbeit in einer KiK Filiale eine Gehaltserhöhung von 4,50 Euro auf 4,75 Euro bekommt und die Personalabteilung ihm dann schreibt, er möge diese Gehaltserhöhung von 25 Cent als "Ansporn zur Leistungssteigerung" nehmen, dann ist das zynisch. Wir sind froh, diese Missstände aufgedeckt zu haben. Aber um sie zu ändern, bedarf es einer ausdauernden und ehrlichen politischen Diskussion. Und der Einsicht, dass billig manchmal ganz schön teuer ist.


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