Deutscher Gewerkschaftsbund

01.12.2011
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Juso-Hochschulgruppen: "Einbindung der Studierenden unverzichtbar"

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Statusgruppen aufheben, feste Studiengänge aufheben, und Lernenden auch die Möglichkeit des Rollentauschs anbieten - dies fordert die Juso-Hochschulgruppe, der Studentenverband der SPD. Diese Ansatzpunkte "für eine echte Vision von Hochschule und Studium [...] können einem betriebswirtschaftlichen Umbau der Hochschulen etwas entgegensetzen."

Aktivisten fertigen Transparente an

DGB-Aktion zum Thema demokratische und soziale Hochschule vor der Humboldt-Universität Berlin DGB/Simone M. Neumann

Von der Juso-Hochschulgruppe (Studentenverband der SPD und der Jusos)

Der Bildungsstreik der vergangenen Jahre hat zweierlei offenbart: Eine weit verbreitete Kritik am Zustand der Hochschulen einerseits, und andererseits eine gewisse Orientierungslosigkeit bei der Frage, wie denn eine alternative Hochschule aussehen sollte. Während Hoch­schulleitungen, Bund und Länder sich über die Zuständigkeiten nicht einig wurden, vertraten die Studierenden ihre zweifellos richtigen Forderungen nach Abschaffung der Studiengebüh­ren, höheren finanziellen Ressourcen und Überarbeitung der Studienpläne. Doch eine um­fassende alternative Vorstellung von Hochschulen und deren Verankerung und Aufgaben in der Gesellschaft war kaum präsent. Ein Beispiel für diese Diagnose mag die in allen Lagern kontrovers diskutierte Frage sein, ob man angesichts der Probleme im Hochschulbereich zu den alten Studienabschlüssen zurückkehren müsse oder nicht. Im zehnten Jahr des Bo­logna-Prozesses, der gemeinhin als die umfassendste Hochschulreform seit Jahrzehnten betrachtet wird, scheint aber eine andere Frage viel eher von Interesse: Warum konnten die Chancen, die der Bologna-Prozess für die Neuausrichtung wissenschaftlichen Lehrens und Lernens geboten hat und weiterhin bietet, von progressiven Kräften an den Hochschulen so wenig genutzt werden?

Die Antwort auf diese Frage wird man zweifellos ebenfalls kontrovers diskutieren können und mit Sicherheit haben fehlende Demokratie an den Hochschulen und ein neoliberaler Zeitgeist ihren Teil dazu beigetragen, doch scheint es auch wichtig den jeweils eigenen Verband selbstkritisch nach seiner Rolle zu befragen. Die Tatsache, dass die „entfesselte Hochschule“ des CHE einen solchen Einfluss generieren konnte und die steigende Zahl von grundsätzlichen Beschlüssen bei vielen Hochschulakteuren lassen zumindest vermuten, dass die großen Fragen in Bezug auf Hochschule und Studium zu lange in den Hintergrund getreten waren.

Die Idee von autonomen Hochschulen, wie sie vor langer Zeit von progressiven Kräften in der Hochschulpolitik entwickelt worden ist, stellt Anforderungen an alle gesellschaftlichen Kräfte. Mit dem Verzicht auf Detailvorgaben durch Gesetze und Verordnungen sind sie in der Pflicht, sich um die Gestaltung von Hochschulen und Studium bemühen und dafür ein überzeugendes Konzept vorlegen – eine Tatsache, die vielleicht in den letzten Jahren aus dem Blick geraten ist.

Hiervon ausgehend haben die Juso-Hochschulgruppen einen Prozess gestartet, der unter dem Titel „Studium der Zukunft“ aus studentischer Sicht die Frage nach Visionen für Hochschule und Studium stellen soll. Aktuell wird im Verband ein Entwurf von 13 Thesen disku­tiert, die unsere Vorstellungen der Zukunft von Hochschule und Studium beschreiben. Von diesen Thesen sollen im Folgenden drei näher erläutert werden.

Statusgruppen aufheben

Eine echte Demokratisierung von Hochschulen kann nur anhand des Prinzips „one man/one woman – one vote“ erfolgen. Die Entscheidungen, die an einer Hochschule gefällt werden, sind politische. Die Positionierung zu diesen verläuft nicht anhand von vermeintlichen Statusunterschieden, sondern entlang von generellen Überzeugungen über das Wissenschafts- und Hochschulsystem. Eine Einteilung in Statusgruppen ist deshalb konstruiert und muss überwunden werden.

Aufhebung von festen Studiengängen

Studierende als selbstständig wahrzunehmen heißt, ihnen die Entscheidung dessen, was sie studieren, zu übertragen. Zudem werden neue Erkenntnisse vor allem durch die manchmal auch unkonventionelle Verknüpfung von Wissenschaftsbereichen produziert. Beides führt zu der Vorstellung, dass sich Studierende ihr Studium zwar nach inhaltlichen Vorgaben aber aus selbst gewählten Bereichen zusammenstellen.

Gleichzeitigkeit von Lernen und Lehren

Die Einteilung in Lernende und Lehrende ist tückisch. Die Qualifizierung von Lehrenden ist genauso wichtig, wie Lernenden die Möglichkeit einzuräumen, in die Rolle des Lehrenden zu schlüpfen. Lehren und Lernen sind Prozesse die gleichzeitig ablaufen und von denen sich die Mitglieder einer Hochschule nicht freisprechen können. Ein Begegnen der Hochschulmitglieder auf Augenhöhe fordert, dass Studierende selbstverantwortlich lehren können, wie Lehrende sich fortwährend weiterqualifizieren müssen. Diese Symbiose stellt die wirkliche Einheit von Lehre und Forschung dar.

Diese drei Punkte sind Ansatzpunkte für eine echte Vision von Hochschule und Studium in der Zukunft. Sie können zum einen dem betriebswirtschaftlichen Umbau der Hochschulen etwas entgegensetzen, als auch dabei helfen die Chancen nutzen, die der Bologna-Prozess im Hinblick auf eine qualitative Studienreform bietet, an der er aber bis jetzt gescheitert ist.

Dennoch sind Leitbilder wiederum nur ein erster Schritt auf dem Weg zu konkreten Verbesserungen. Für die Umsetzung jenseits der Einflussnahme des politischen Systems ist eine breite und starke Allianz aus progressiven Kräften, Gewerkschaften, Studierendenverbän­den, Parteien aber auch nicht organisierten Mitgliedern der Hochschulen erforderlich, um die Gestaltungsspielräume an den Hochschulen zu erkämpfen und in Konsequenz auch zu nut­zen. Ein Leitbild ist nur so wirkungsvoll wie die Basis der Diskutierenden breit ist. Die starke Einbindung der Studierenden ist dafür unverzichtbar.


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