Deutscher Gewerkschaftsbund

17.08.2009
Mindestlohn-Interview

Neues aus dem Bus: Im Gespräch mit Frank-Walter Steinmeier (SPD)

Michael Sommer (DGB), Frank-Walter Steinmeier (SPD)

Michael Sommer (DGB), Frank-Walter Steinmeier (SPD) Thomas Imo/photothek.net

„Wer Vollzeit arbeitet, soll sich und seine Familie gut ernähren können,“ fordert SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit dem DGB-Bundesvorsitzenden Michael Sommer. „Deshalb“, so Steinmeier weiter, „kämpfen wir Sozialdemokraten für einen realistischen Mindestlohn für alle.“ Ein Ziel des vorgelegten Deutschlandplanes sei es, „Existenz sichernde, sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeit zu stärken.“

Frank-Walter Steinmeier ist Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl 2009. Seit November 2005 ist er Bundesaußenminister und seit November 2007 Vizekanzler.

Was halten Sie von der Forderung nach 7,50 EUR Mindestlohn?

Frank-Walter Steinmeier: Ich unterstütze eure Aktion voll und ganz. Es ist gut, dass ihr die Menschen auf das Problem hinweist, dass manche Arbeitnehmer in Deutschland unanständig niedrige Löhne bekommen. Wer Vollzeit arbeitet, soll sich und seine Familie gut ernähren können. Deshalb kämpfen wir Sozialdemokraten für einen realistischen Mindestlohn für alle. 7,50 Euro sind die Richtmarke, die wir gesetzt haben. Eine Mindestlohn-Kommission wird die endgültige Zahl festlegen.

Was wollen Sie tun, um den Trend zu Niedriglöhnen zu stoppen?

Frank-Walter Steinmeier: Ich habe den Deutschland-Plan geschrieben, um zu zeigen, wo wir in den nächsten zehn Jahren Arbeitsplätze schaffen können. Und das sollen qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze sein. Wenn wir es schaffen, dass Deutschland der Ausrüster der Welt mit effizienten, umweltschonenden Technologien wird, dann entstehen Arbeitsplätze mit guter Bezahlung. Auch in der Gesundheitswirtschaft kommt es mir darauf an, dass beispielsweise Pflegekräfte gut ausgebildet sind und einen Lohn erhalten, der ihren harten Job angemessen vergütet. Zum zweiten müssen wir die Rolle der Gewerkschaften und der Flächentarifverträge stärken. In der Großen Koalition ist uns das für manche Branchen gelungen, oft gegen heftigen Widerstand der Union. Die SPD wird sich 2010 dafür einsetzen, dass alle Arbeitnehmer vor der Betriebsratswahl von ihrem Recht erfahren, einen Betriebsrat zu gründen. Außerdem wollen wir die Mitspracherechte von Betriebs- und Aufsichtsräten der Arbeitnehmerseite stärken, besonders bei Übernahmen durch Finanzinvestoren. Ich will, dass Gewerkschaften wieder eine stärkere Rolle in unserer sozialen Marktwirtschaft spielen.

Was muss die Politik unternehmen, damit Existenz sichernde Löhne gezahlt werden?

Frank-Walter Steinmeier: Wir haben das Thema Mindestlohn in Deutschland überhaupt erst auf die Tagesordnung gesetzt. Die CDU/CSU war beim Thema Mindestlöhne so störrisch wie eine Herde marokkanischer Ziegen. Aber wir haben sie in die richtige Richtung gezogen. Branche für Branche haben wir der Union abgerungen, dass weit über drei Millionen Menschen jetzt tarifliche Mindestlöhne haben: Altenpfleger, Wachleute, Müllwerker und viele andere.
Wir haben kein Instrument beiseite gelassen, auch wenn es kompliziert war, um Dumping-Löhne zu verhindern: Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz wurde ausgeweitet. Das Mindestarbeitsbedingungen-Gesetz erhielt eine neue Fassung. Auch hier: alles gegen den massiven Widerstand der CDU/CSU. Die SPD wird in den nächsten Jahren weitere Schritte auf diesem Weg gehen. Wir denken aber weiter: Wir wollen eine grundlegende Neuordnung des unteren Einkommensbereichs. Steuern und Sozialabgaben wollen wir mit anderen staatlichen Transferleistungen aufeinander abstimmen. Ziel ist es, Existenz sichernde, sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeit zu stärken. Für Minijobs wollen wir zurück zur Begrenzung auf 15 Wochenstunden. CDU/CSU und FDP bleiben auch jetzt bei ihrem Nein zum Mindestlohn. Mehr noch: Wenn Schwarzgelb kommt, dann geht es wieder rückwärts. Dann kommt das Lohndumping zurück.

Ist die soziale Marktwirtschaft mit Niedriglöhnen vereinbar?

Frank-Walter Steinmeier: Sie ist nicht vereinbar mit unanständig niedrigen Löhnen, von denen Arbeitnehmer nicht leben können. Sittenwidrige Löhne sind verboten. Es gilt, dieses Verbot praktisch durchzusetzen. Wir können den Menschen nicht predigen, dass sie sich anstrengen sollen, wenn sich ihre Leistung nicht auszahlt. Das vergessen die Marktliberalen immer wieder, wenn sie einerseits von Leistung reden, aber andererseits Mindestlöhne als Teufelswerk verdammen. Es ist kein stabiler Ordnungsrahmen für die Marktwirtschaft, wenn Arbeitgeber darum konkurrieren, wer die Lohnkosten immer weiter drücken kann. Das ist unlauterer Wettbewerb. Unser Konzept schafft verlässliche Regeln für einen fairen Arbeitsmarkt. Wir brauchen zwei kräftige Säulen in der Wirtschaft: einen starken Export und eine starke Binnennachfrage. Das zweite gibt es nur bei anständiger Entlohnung.

Kann der deutsche Arbeitsmarkt angesichts der bevorstehenden Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU ab Mai 2011 auf verbindliche Lohnuntergrenzen verzichten?

Frank-Walter Steinmeier: Das ist ein weiteres Argument für einen gesetzlichen Mindestlohn, den der Staat auch durchsetzt. Wir werden uns aber auch auf europäischer Ebene weiter für bessere soziale Standards und mehr betriebliche Mitbestimmung einsetzen.

Sollte es für die Zeitarbeit auch einen Mindestlohn geben?

Frank-Walter Steinmeier: Olaf Scholz hat dafür einen konkreten Gesetzentwurf vorgelegt, den die Unions-Minister ablehnen. Wenn es nach uns geht, könnten wir das Gesetz morgen oder nächste Woche verabschieden, noch vor der Bundestagswahl. Sonst machen wir es gleich nach der Wahl – in einer SPD-geführten Bundesregierung!

Berücksichtigt die Politik bei ihren Konjunkturprogrammen die tatsächlich Bedürftigen, z.B. Niedriglohnbeschäftigte?

Frank-Walter Steinmeier: Beim Konjunkturprogramm habe ich darauf geachtet, dass Geringverdiener besonders profitieren. Wir haben den steuerlichen Grundfreibetrag zum 1. Januar 2009 um 170 auf 7834 Euro erhöht. Wir haben den Eingangssteuersatz von 15 auf 14 Prozent gesenkt. Auch die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung haben wir gesenkt. Im April haben wir einen Kinderbonus von 100 Euro pro Kind ausgezahlt. Und die Verlängerung der maximalen Kurzarbeit von zwölf auf 18 Monate schützt zukunftsfähige Arbeitsplätze. Das sind nur einige der Maßnahmen.

Es werden Rettungsschirme für die Wirtschaft gespannt. Sind Lohnuntergrenzen nicht auch Rettungsschirme für die Betroffenen?

Frank-Walter Steinmeier: Natürlich sind sie das. Darum müssen ja auch für alle gelten. Aber die SPD kämpft nicht nur für Mindestlöhne. Wir wollen anständige Tariflöhne für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.


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