Deutscher Gewerkschaftsbund

Zahlen, Daten, Fakten

16.04.2019
Magazin für Beamtinnen und Beamte 4/2019 - Titelstory

NotfallsanitäterInnen im Einsatz: Immer auf dem Sprung

Sie kümmern sich um schwer Verletzte ebenso wie um Menschen mit Bauchschmerzen – Notfallsanitäter. Ein Beruf, der nicht nur medizinische Kenntnisse erfordert, sondern vor allem soziale Kompetenz und schnelles Handeln. Die Anforderungen sind hoch und die Zahl der Notrufe nimmt stetig zu.

Rettungsbahre mit Person im Anzug darauf; im Vordergrund: Hand und Uniform eines Rettungssanitäters

Colourbox.de

"Ich kann mir keinen anderen Beruf vorstellen"

Gleich beim ersten Einsatz an diesem Nachmittag wird es blutig. In einem Gebäude ist ein Mann die Treppe hinuntergefallen und gegen einen Schrank geprallt, die Augenbraue ist aufgeplatzt, Glas ist in der Wunde. Der Mann sitzt kreidebleich auf einem Hocker. Der Rettungsdienst hat sechs Minuten bis zum Unfallort gebraucht, jetzt schauen sich die Sanitäter Markus Herkendell und Florian Brunnert die Verletzung an. „Wie fühlen Sie sich? Können Sie auf dem Auge sehen?“, fragt Herkendell. Ja, sagt der Mann. Herkendell erklärt jeden weiteren Schritt, mit beruhigender Stimme. „Wir werden Sie jetzt verbinden, und dann ins Krankenhaus fahren.“ Kurz danach geht der Mann etwas wacklig mit den beiden zum Rettungswagen, zehn Minuten später ist er im Krankenhaus. Herkendell und Brunnert dokumentieren den Einsatz noch, aber sie werden ihn schnell vergessen haben – die beiden haben eine 24-Stunden-Schicht mit voraussichtlich etlichen Einsätzen vor sich. Wenn es ruhig bleibt, kommen sie nachts zu etwas Schlaf. Wenn nicht, dann nicht. Sie haben trotzdem gute Laune. „Ich kann mir keinen anderen Beruf vorstellen“, sagt Brunnert, 27, Feuerwehrmann und Rettungsassistent. „Ich wollte schon mit zwölf Jahren zur Feuerwehr“, sagt Herkendell, Feuerwehrmann und Notfallsanitäter.

Die beiden Beamten sind bei der Berufsfeuerwehr Dortmund beschäftigt, Wache 1, direkt am Hauptbahnhof. 70 Beschäftigte hat die Wache, 27 im Einsatz pro Schicht. Sie treffen in jeder Schicht erschrockene Verletzte, pöbelnde Betrunkene, hilflose Senioren oder verzweifelte Angehörige, sie kümmern sich um diffuse Bauchschmerzen ebenso wie um Todkranke, um das verängstigte Kind im Klettergerüst und um Brandopfer. Genau dafür, sagen die beiden Retter, lieben sie ihren Job: Die Abwechslung, den Kontakt zu Menschen, den Teamgeist beim Einsatz, die Möglichkeit zu helfen.

Ausbildung und Anforderungen

Die gut 100 kommunalen Berufsfeuerwehren in Deutschland sind nach dem Roten Kreuz der zweitgrößte Rettungsdienst. Rettung ist die zweite große Aufgabe neben dem Brandschutz. Immer beim Rettungsdienst dabei: Ein Notfallsanitäter. Er oder sie ist für die Erstversorgung zuständig, assistiert NotärztInnen, und überwacht den medizinischen Zustand der Kranken während des Transports. Den Beruf gibt es in dieser Form noch nicht lange. Bis 2014 teilte sich der Rettungsdienst in den Rettungssanitäter mit 520 Stunden praktischer und theoretischer Ausbildung, und die zweijährige Ausbildung zum Rettungsassistenten. 2014 wurde der Assistent abgelöst vom Notfallsanitäter, der eine dreijährige, und nun auch erstmals bezahlte Ausbildung mit rund 2.000 Stunden Theorie und Praxis durchläuft. Dazu gehören Stationen im Krankenhaus von der Intensivmedizin über Geburtshilfe bis zur Chirurgie. Der Notfallsanitäter ist damit die höchste nichtärztliche Qualifikation im Rettungsdienst. Erfahrene RettungsassistentInnen können sich noch bis 2020 mit einer Prüfung zum Notfallsanitäter weiterqualifizieren. Finanziell startet ein Notfallsanitäter bei der Dortmunder Feuerwehr als Beamter mit der Besoldungsgruppe A7, kann aber verhältnismäßig rasch in A9 aufsteigen. Bei anderen Durchführungsorganisationen kommt es auf den Dienstherrn bzw. den geltenden (Tarif-)Vertrag an – im besten Fall sind es rund 3.500 Euro brutto monatlich.

Die Anforderungen in dem Beruf sind hoch, nicht nur in der Ausbildung: Rund 1,8 Millionen Notfalleinsätze gab es 2016 bei den Berufsfeuerwehren laut Jahrbuch, bei rund 840.000 Anrufen rückten Rettungswagen aus. Allein im Dortmunder Raum waren es über 130.000 Fahrten, Tendenz steigend. Ob ein Rettungswagen, ein Krankentransport oder ein Notarzt gebraucht wird, entscheidet die Leitstelle der Feuerwehr – wird es der Rettungswagen, sitzen Herkendell und Brunnert innerhalb von 60 Sekunden im Auto, schalten die Ampel neben der Wache elektronisch auf grün und rasen mit Blaulicht los. Es gilt die Hilfsfrist vom Rettungsgesetz in Nordrhein-Westfalen – sie haben acht Minuten, um vor Ort zu sein. Einmal am Unfallort dürfen sie sich keine Anspannung anmerken lassen. NotfallsanitäterInnen müssen sozial kompetent sein, fähig, mit geschockten und hochgradig gestressten Menschen umzugehen. Und sie brauchen einen starken Teamgeist. Man muss sich auf andere verlassen können, auf die Leitstelle, die KollegInnen, und es als Team auf dem Wagen gut miteinander aushalten. „Das ist wie eine zweite Familie, wie gute Freunde“, sagt Brunnert. Nicht zuletzt ist die Arbeit auch körperlich anstrengend: Die Verletzten müssen mit der Trage manchmal mehrere Stockwerke hinuntergeholt werden, bei jedem Einsatz schleppen die SanitäterInnen schwere Geräte und Koffer mit.

Rettungssanitäter im Inneren eines Krankenwagens; im Vordergrund ein neon-gelber Koffer mit der schwarzen Aufschrift "Kindernotfall"

DGB/Simone M. Neumann

Und auch, wenn sich für vieles Routine einschleicht mit den Jahren, manche Einsätze gehen unter die Haut: Wenn jemand stirbt, Kinder betroffen sind oder gleich viele Menschen schwer verletzt sind. Rund 30 Prozent der Feuerwehrleute leiden nach solchen schweren Einsätzen unter den Folgen, zählt die Berliner Stiftung „Hilfe für Helfer“ auf, die sich um psychosoziale Prävention und Nachsorge für solche Fälle kümmert. „Es gibt Einsätze, die vergisst man nie mehr. Im Guten wie im Schlechten“, bestätigt Herkendell, der seit über 20 Jahren bei der Feuerwehr ist. Angesichts der Belastungen können Feuerwehrleute in vielen Bundesländern bereits mit Anfang 60 in Pension gehen.

Zahl der Notrufe steigt

Hinzu kommt, dass die Zahl der Notrufe bundesweit steigt, und damit der Druck. Mindestens 5 Prozent mehr Anrufe sagen unisono die ExpertInnen. In Dortmund hat die Kommune die Zahl der Rettungswagen in den letzten Jahren mit 33 deswegen fast verdoppelt. Gründe für die steigende Notrufzahl gibt es viele, sagt André Lüddecke, Sprecher der Feuerwehr Dortmund: Weil in einer alternden Gesellschaft nun mal öfter medizinische Hilfe gebraucht wird. Weil die Fahrten zu und zwischen spezialisierten Krankenhäusern länger sind und zunehmen. Und weil die Fehlalarme zunehmen. „Wer uns ruft, weil er einen Herzinfarkt vermutet, tut das Richtige“, sagt Herkendell. „Aber manche glauben, wenn sie mit dem Rettungsdienst zum Krankenhaus kommen, geht es schneller. Das stimmt nicht.“ Es gebe immer öfter „sinnlose Einsätze“, die Menschen seien „hilfloser und dickfelliger“. Mal fehlten Ohrentropfen, oder die im Internet recherchierten Symptome lasen sich lebensbedrohend, waren es aber nicht. „Im schlimmsten Fall wird auch noch geschimpft und gepöbelt.“ Für die SanitäterInnen, ausgebildet für Fälle wie Schlaganfall und Herzinfarkt, kann das frustrierend sein.

Die Arbeitszeiten sind lang

Die Arbeitszeiten für NotfallsanitäterInnen sind lang, zumindest bei der Feuerwehr. Inklusive Überstunden und Bereitschaft sind 48 Stunden in der Woche die Regel, es können auch mal mehr werden. Beim 24-Stunden-Schichtdienst sind zwar Pausen eingeplant, und in der Wache 1 kocht und isst die jeweilige Abendschicht möglichst gemeinsam. Aber das Verhaltenskorsett für die Mannschaft ist stramm. Weil niemand weiß, wann der nächste Notruf hereinkommt, wie schwer der Notfall ist, wie viele betroffen sind, wird alles Berechenbare straff organisiert. Läutet der Alarm, können die Geräte in der Küche per Notknopf komplett ausgeschaltet werden – dann werden die Spaghetti eben kalt. Pause ist, wenn Pause vorgesehen wurde, sonst nicht. Wenn ein Wagen, wie jede Woche, vom jeweiligen Schichtdienst ausgeräumt und bis in alle Winkel desinfiziert wird, steht das im Plan. Das geht nicht zwischendurch.

Beruf mit hohen Voraussetzungen

Trotz aller Widrigkeiten ziehen Rettungsdienste und Feuerwehr immer noch Interessierte an. Rund 600 Personen bewarben sich zuletzt auf 24 Stellen, sagt Lüddecke. Allerdings sind die Voraussetzungen bei der Feuerwehr besonders hoch: Ein Schulabschluss, eine abgeschlossene handwerkliche Berufsausbildung, Rechtschreibung und Rechnen, Sport- und Schwimmabzeichen, Fitness, soziale Kompetenzen – nach dem Auswahlverfahren bleiben gerade genug übrig, um die Stellen zu besetzen. NotfallsanitäterInnen müssen bei der Feuerwehr erst die übliche Laufbahn absolvieren. „Mit allen Ausbildungen – Handwerksberuf, Feuerwehr, Notfallsanitäter – kommen acht Jahre zusammen“, so Lüddecke. Für die Besoldung, die sie dann erhalten, ist das eine lange Zeit. Auch deswegen kämpft die Feuerwehr mit Nachwuchssorgen. Bei den anderen Rettungsorganisationen reicht die Ausbildung zum Notfallsanitäter. Herkendell und Brunnert schätzen aber genau das, den Wechsel zwischen Feuerwehreinsätzen und Rettungsdienst. Am Abend werden sie auf die Löschfahrzeuge wechseln. Noch aber sitzen sie im Rettungswagen. Beim vierten Einsatz an diesem Nachmittag ist ein älterer Herr gestürzt, auf den Kopf gefallen und kurz ohnmächtig gewesen. Die beiden Sanitäter fragen ihn nach Vorerkrankungen und Medikamenten, legen vorsichtig eine Halskrause an und heben ihn auf die Trage. Sie bringen ihn ins Unfallkrankenhaus. Auf der Rückfahrt wird es eilig: Andere Rettungswagen kommen ihnen mit Blaulicht schon entgegen. Keine Pause vorgesehen.


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