Mit unserem Vorsitzenden Reiner Hoffmann haben wir alte Maiplakate angesehen und uns über die Tradition des Tags der Arbeit, Solidarität und Frieden unterhalten.
DGB
Nach den letzten Jahren ist das schon ein gutes Gefühl. Die Pandemie hat uns zum ersten Mai 2020 kalt erwischt. Erst wenige Wochen vorher haben wir uns entschieden, die ganze Veranstaltung in den digitalen Raum zu verlegen. Dann ist unter hohem Zeitdruck und mit ganz viel Kreativität und Engagement ein Programm entstanden, das bundesweit ausgestrahlt wurde. Das war eine Premiere.
An einer 1.-Mai-Demonstration habe ich 1971 zum ersten Mal teilgenommen. Ich war Teenager, ich wollte raus auf die Straße und demonstrieren. Aber die ganze Veranstaltung fand nicht unter freiem Himmel, sondern in einem Opernhaus statt. Da war ich schier entsetzt. Viele Jahre später sollte ich eine meiner ersten Mai-Reden in Wuppertal halten. Ich habe natürlich zugesagt, aber auch diese Verastaltung war wieder drinnen, diesmal im Schauspielhaus.
Stimmt, wenn wir uns die Plakate anschauen, fällt auf, dass sich viele unserer Themen wiederholen. Das wundert aber auch nicht. Wir haben immer schon optimistisch und engagiert in die Zukunft geschaut. Bei aller Anstrengung und allen Schwierigkeiten um uns herum eint uns Gewerkschaften der Wille, die Zukunft positiv zu gestalten. Und das ist topaktuell.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg auf die Ukraine hat uns alle überrascht und zutiefst bestürzt. Ja, das Thema ist leider voll zurück. Und es war auch nie ganz weg. Gewerkschaften haben sich immer als Friedensbewegung verstanden. Auch wenn wir 74 Jahre lang meinten, in Frieden zu leben, ist das ja ein Irrtum. Wir hatten und haben sehr viele militärische Auseinandersetzungen auf der Welt. Die finden bloß nicht vor unserer Haustür statt und deshalb werden sie bei uns vielleicht weniger wahrgenommen. Aber das Motto: „Frieden schaffen ohne Waffen“ war immer ein zentrales gewerkschaftliches Ziel. Das hat nicht zuletzt mit der Zerschlagung der Gewerkschaften während des Faschismus zu tun.
Das ist sicher ein großer Erfolg. Es ist aber auch Ausdruck einer gewissen Schwäche, dass wir überhaupt einen Mindestlohn brauchen. Mir wäre lieber, wir könnten ihn abschaffen. Denn mit einer Tarifbindung von 90 Prozent würden wir keinen mehr brauchen – oder, wenn überhaupt, dann nur noch für wenige Menschen. Die Frage, ob der Mindestlohn nicht auch eine Gefahr für die Tarifbindung darstellen könnte, haben wir heiß diskutiert. Der Mindestlohn ist immer nur die zweitbeste Lösung. Es ist gut, dass er im Oktober auf zwölf Euro angehoben wird. Wir brauchen aber auch wieder eine deutlich höhere Tarifbindung.
Die Aufgabe von Gewerkschaften als Emanzipationsbewegung ist es, für Gute Arbeit, Bildung und Fortschritt zu sorgen. Und da haben wir in unserer Geschichte richtig viele Erfolge gefeiert – besonders in Zeiten großer Veränderungen. Wenn ich mir ansehe, wie sich die Gig-Economy entwickelt, dann sehe ich die Chance für Gewerkschaften, solche Beschäftigungsverhältnisse einzuhegen, denn sie sind komplett entgrenzt. Menschen haben in Zeiten des Umbruchs ein starkes Sicherheitsbedürfnis. Und Sicherheit zu schaffen war immer schon die Aufgabe von Gewerkschaften. Im diesjährigen Mai-Motto findet sich das wieder. „Zukunft gestalten“ heißt auch Sicherheit zu garantieren.
Ja klar! Die Veränderungen in unserer Arbeitswelt, aber auch die Fragilität von Frieden zeigen, dass Menschen Solidarität und Zusammenhalt heute wieder anders erleben. Das wissen wir auch aus der Pandemie. Diese Solidaritätserfahrungen können aber nur dann zu echten Veränderungen führen, wenn die Menschen sich organisieren. Diese Bereitschaft zum kollektiven Handeln ist gerade in Krisenzeiten eine große Chance für Gewerkschaften. Dann wird nämlich erlebbar, dass unsere Errungenschaften nicht selbstverständlich sind, sondern immer wieder erkämpft werden müssen.
Wir haben gerade mit all unseren Gewerkschaften ein Dialogprojekt auf den Weg gebracht, bei dem wir die Menschen auf der Straße ansprechen. Normalerweise erreichen wir die Menschen im Betrieb. Aber in den ganzen kleinteiligen Strukturen geht das natürlich nur schwer, und die Pandemie hat den persönlichen Kontakt auch stark begrenzt. Deswegen gehen wir dorthin, wo wir die Menschen treffen können, die wir nur schwer oder gar nicht am Arbeitsplatz erreichen können. Auf die Frage „Warum bist du noch nicht in der Gewerkschaft?“ sagen ganz viele Menschen: „Ich bin noch nie gefragt worden.“ Das wollen wir jetzt machen, nicht nur im Betrieb, auch vor Ort.
Frankfurter!