Deutscher Gewerkschaftsbund

01.09.2011
Mindestlohn-Interview

Katrin Altpeter: Mindestlohn würde 5 Millionen Menschen helfen

Katrin Altpeter (SPD), Landesministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren in Baden-Württemberg

Katrin Altpeter (SPD), Landesministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren in Baden-Württemberg sozialministerium-bw.de

"Menschen, die Vollzeit arbeiten, müssen von ihrer Arbeit menschenwürdig leben können", fordert die baden-württembergische Arbeits- und Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD). In einem Beitrag für mindestlohn.de erläutert die Ministerin, warum sich die grün-rote Koalition in Baden-Württemberg auf Bundes- wie auch auf Landesebene für eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro einsetzt.

Frage: Im Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg wurde festgelegt, dass sich die Koalitionsparteien BÜNDNIS 90/Die Grünen und SPD auf Bundesebene für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und branchenspezifische Mindestlöhne einsetzen. Was sind die Gründe?

Katrin Altpeter: Eine gesetzliche Mindestlohnregelung wirkt der vermehrten Zunahme von Niedriglöhnen in Deutschland, die soziale Ungerechtigkeiten schaffen, entgegen. Niedrigstlöhne im Erwerbsleben bedeutet zudem oftmals Armut im Alter, da keine ausreichende Altersversorgung aufgebaut werden kann. Diese Entwicklung kann ein gesetzlicher Mindestlohn entscheidend positiv verändern.

20 von 27 der EU-Mitgliedstaaten haben inzwischen einen gesetzlichen Mindestlohn. Auch sprechen sich verschiedene Gremien, wie etwa unlängst der Deutsche Juristentag 2010, für einen gesetzlichen Mindestlohn aus. Dass sich die Bundesregierung hier nach wie vor gegen einen gesetzlichen Mindestlohn sträubt, ist für mich nicht nachvollziehbar. Flankierend zu einem gesetzlichen Mindestlohn sind die branchenspezifischen Mindestlohnregelungen, die über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz bereits für wichtige Branchen bestehen, zu erhalten und für weitere Branchen auszubauen. Branchenspezifischen Besonderheiten muss Rechnung getragen und den Gefahren des Lohndumpings sowie einem unfairen Wettbewerb effektiv begegnet werden.

Welche Auswirkungen hätte die Einführung einer Lohnuntergrenze von 8,50 Euro auf das Bundesland Baden-Württemberg?

Katrin Altpeter: Menschen, die Vollzeit arbeiten, müssen von ihrer Arbeit menschenwürdig leben können. Wir müssen sicherstellen, dass über eine Vollzeitbeschäftigung ein Existenz sicherndes und eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichendes Arbeitsein-kommen erzielt werden kann. Dazu brauchen wir die Einführung dieser Lohnuntergrenze als einen wichtigen Beitrag, um die Würde der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu achten und Armut zu bekämpfen. Ohne einen gesetzlichen Mindestlohn würde sich der Niedriglohnsektor in Baden-Württemberg weiter ausweiten. Das hätte zur Folge, dass immer weniger Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer von ihrer Arbeit leben könnten und ergänzende Sozialleistungen beziehen müssten. Nach einer aktuellen Studie der Prognos AG im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erzielen 15,8 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland einen Stundenlohn von 8,50 Euro oder darunter. In Baden-Württemberg ist der Anteil mit knapp 10 Prozent deutlich niedriger, aber immer noch zu hoch. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde würde sich die Einkommenssituation von fünf Millionen Menschen in Deutschland deutlich verbessern. Durch die daraus resultierenden staatlichen Mehreinnahmen in Form von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen sind darüber hinaus insgesamt positive fiskalische Effekte zu erwarten.

Der Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg sieht auch eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro für die öffentliche Auftragsvergabe vor. Warum ist dies aus Ihrer Sicht notwendig?

Katrin Altpeter: Weil wir einen generellen Mindestlohn für richtig halten, wollen wir da, wo wir auf Landesebene selbst handeln können, nämlich bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, mit gutem Beispiel vorangehen. Wir wollen einen fairen Wettbewerb sichern und keinen Verdrängungswettbewerb, der dazu führt, dass einzelne Unternehmen Ausschreibungen der öffentlichen Hand sozusagen auf dem Rücken ihrer Beschäftigten gewinnen können, weil sie ihnen nur Billiglöhne bezahlen. Insoweit ist es aus meiner Sicht legitim und wichtig, dass
die Bieter hier im Vergabeverfahren ihre Lohnkalkulationen auch transparent machen und sich an gewisse Mindeststandards halten, die eine faire Bezahlung der Beschäftigten gewährleistet.

Befürchten Sie durch die Lohnuntergrenze eine Verteuerung der öffentlichen Auftragsvergabe?

Katrin Altpeter: Bei der Auftragsvergabe der öffentlichen Hand ist der vertraglich zu zahlende Preis das Ergebnis des durch die Ausschreibung erzeugten Wettbewerbs. Das Ausschreibungsergebnis hängt wesentlich von den Gesamtumständen des Einzelfalls ab; dabei geht es häufig um eine Vielzahl von Faktoren. Die geplante Regelung kann zu Mehrkosten für die öffentlichen Auftraggeber führen. Ob und in welchem Umfang es tatsächlich dazu kommt, bleibt aber abzuwarten. Und zur Gesamtbetrachtung gehört ebenso, dass die öffentliche Hand andererseits auch entlastet wird, nämlich durch Einsparungen bei Transferzahlungen sowie höhere Steuereinnahmen und Sozialabgaben. Somit gehen wir davon aus, dass es insgesamt zu keiner höheren Belastung kommt.

Immer mehr Bundesländer haben mittlerweile Lohnuntergrenzen festgelegt, wie Rheinland-Pfalz 8,50 Euro, Berlin 7,50 Euro und Bremen 8,50 Euro. Sind Sie der Ansicht, jedes Bundesland sollte zwingend bei der öffentlichen Auftragsvergabe eine Lohnuntergrenze vorsehen?

Katrin Altpeter: Ein vergaberechtlicher Mindestlohn per Landesgesetz ist eigentlich nur eine ergänzende Lösung. Idealer wäre ein genereller Mindestlohn für alle, der nicht nur für den Vergabebereich, sondern im Rahmen jeder wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens eingreift und die Beschäftigten vor Lohndumping schützt. Einen gesetzlichen Mindestlohn müsste allerdings der Bundesgesetzgeber beschließen. Bisher haben wir einen gesetzlichen Mindestlohn aber leider nicht, er ist bisher trotz vielfältiger Bemühungen am Widerstand der Bundesregierung gescheitert. Gerade vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht zu begrüßen, wenn sich alle Länder unserer Sichtweise anschließen würden, die landesrechtlichen Möglichkeiten zu nutzen und eine Lohnuntergrenze bei der öffentlichen Auftragsvergabe vorsehen würden.


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