Deutscher Gewerkschaftsbund

01.03.2012
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Ingrid Sehrbrock: Hochschulen müssen offener werden

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Chancengleichheit, bessere Arbeitsbedingungen und Hochschulautonomie fordert DGB-Vizevorsitzende Ingrid Sehrbrock. Die Ökonomisierung bedrohe die demokratische Hochschule. Wenn die Uni zum Dienstleister werde, leide die Bildung.

Von Ingrid Sehrbrock

Wer die hochschulpolitischen Reden und Schriften der vergangenen Jahre liest, stößt immer wieder auf die gleichen Textbausteine: Die Hochschulen müssten endlich vom staatlichen Gängelband befreit werden. Wettbewerb, Exzellenz, effizientes Management sollen die vorherrschenden Prinzipien werden. Hochschulen müssten endlich wie Unternehmen handeln. Qualität wird vor allem am erfolgreichen Einwerben von Drittmitteln gemessen.

Ingrid Sehrbrock, Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Porträt sitzend

Ingrid Sehrbrock, Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB

Wenn aber Forschende und Lehrenden zu kleinen Ich-AGs werden, wenn das Einwerben von Drittmitteln zum Gradmesser wissenschaftlicher Qualität wird, wenn sich Parlamente und Regierungen aus diesem Marktgeschehen nahezu komplett verabschieden sollen: Dann wird – ausgerechnet im Namen der Freiheit – die Wissenschaftsfreiheit den Zwängen des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs unterworfen.

Die Folgen dieses Paradigmenwechsels haben wir gesehen: Befeuert von Studien, die nicht selten von Arbeitgeber-Verbänden und einzelnen Konzernen finanziert wurden, haben Wirtschaftswissenschaftler eine Politik des Lohnverzichts, der Deregulierung von Arbeitsmärkten und Finanzmärkten, eine Zerschlagung der solidarischen Renten- und Krankenversicherung propagiert. Politiker verschiedener Parteien und Regierungen haben diese Rezepte als alternativlos verkauft. In Zeiten der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise haben wir erlebt, wohin dieses Denken führen kann.

Gewerkschaftliche Bildungspolitik ist geleitet von dem Gedanken der Chancengleichheit, von der Umsetzung des Menschenrechts auf Bildung.

All diese Entwicklungen zeigen die Notwendigkeit und die Chancen des gewerkschaftlichen Engagements in der Hochschulpolitik. Dieses Engagement hat vor allem drei Gründe:

  • Gewerkschaftliche Bildungspolitik ist geleitet von dem Gedanken der Chancengleichheit, von der Umsetzung des Menschenrechts auf Bildung. Gute Bildung und Bildungsabschlüsse entscheiden eben auch über die Berufsperspektiven und damit über die Lebensperspektiven der Menschen.
  • Es geht uns um den Arbeitsplatz Hochschule: Wer wenn nicht die DGB-Gewerkschaften soll sich um die Arbeitsbedingungen der mehr als 500.000 Kolleginnen und Kollegen an den Hochschulen kümmern – in Forschung, Lehre, Verwaltung, Technik und Management. Dies ist übrigens nicht nur im Interesse der Beschäftigten: Denn gute Lehre und gute Forschung wird es nur geben, wenn wir gute Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für das Personal an den Hochschulen haben.
  • Es geht uns um die Zukunft unserer Gesellschaft: Die Hochschulen haben mit ihrer Forschung und Lehre, mit Weiterbildung einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entwicklung der gesamten Gesellschaft. Für uns Gewerkschaften ist klar: Autonomie der Hochschulen gewährt die Freiheit der Wissenschaft zum Nutzen der Menschheit. Der gesellschaftliche Kern der Wissenschaftsfreiheit liegt in ihrem möglichen Beitrag zu einer humanen, sozial gerechten, friedlichen und demokratischen Welt. Das ist aber kein Automatismus.

Welche Alternativen bieten die Gewerkschaften? Ich denke, das Leitbild der Demokratischen und Sozialen Hochschule umreißt den Kern sehr genau.

Wir müssen die Hochschulen endlich für mehr Menschen ohne Abitur öffnen. Wenn aber wirklich alle Menschen ihre Begabungen entfalten sollen, müssen die Barrieren zwischen Hochschule und beruflicher Bildung beseitigt werden. Eine abgeschlossene Berufsausbildung muss den Zugang zur Hochschule grundsätzlich öffnen. Mehr noch, es reicht nicht aus, nur den Zugang zu regeln. Wenn wir mehr Menschen, die im Berufsleben stehen, an die Hochschulen bringen wollen, brauchen wir auch mehr berufsbegleitende Studiengänge, eine bessere und transparentere Anerkennung – und Anrechnung – beruflicher Leistungen und Kompetenzen, veränderte Curricula und eine bessere Studienförderung.

Gerade Menschen aus einkommensschwachen Familien müssen sich ein Studium auch leisten können. Junge Menschen schauen, ob das Geld für ein Studium auch wirklich reicht. Deshalb sind wir gegen Studiengebühren. Es zählt zu den erfreulichen Ereignissen, dass in jüngster Zeit eine Gebühren-Bastion nach der anderen fällt. Hessen und Nordrhein-Westfalen haben die Gebühren wieder abgeschafft. Hamburg und Baden-Württemberg werden nachziehen. Studiengebühren sind bundesweit ein Auslaufmodell. Dies ist auch ein gewerkschaftlicher Erfolg!

Der Wettbewerbsföderalismus ist gescheitert! Wir brauchen einen kooperativen Föderalismus, in dem der Bund eine stärkere Rolle bei der Finanzierung des Bildungssystems einnimmt.

In diesem Jahr feiern wir ein besonderes Jubiläum: 40 Jahre BAföG. Das Herzstück einer staatlichen Studienfinanzierung muss das BAföG sein. Es bietet den Studierenden einen klaren Rechtsanspruch, während sie beim Stipendium auf das Wohlwollen der Geldgeber angewiesen sind. Wir müssen das BAföG grundsätzlich weiterentwickeln. Der Darlehensanteil muss gesenkt und die Leistungen des Familienleistungsausgleichs als Sockel allen Studierenden direkt ausgezahlt werden.

Wir müssen feststellen, dass die Länder allein mit der Finanzierung eines zukunftsfähigen Bildungssystems überfordert sind. Wer im vergangenen Jahr die monatelange Hängepartie um eine kleine BAföG-Novelle verfolgt hat, musste erkennen – der Wettbewerbsföderalismus ist gescheitert! Wir brauchen einen Schub für einen kooperativen Föderalismus, in dem der Bund wieder eine stärkere Rolle auch bei der Finanzierung des Bildungssystems einnehmen muss.

Die Arbeitsbedingungen am Arbeitsplatz Hochschule sind beschämend.

Wenn unsere Hochschulen auch in Zukunft hervorragende Leistungen in Lehre und Forschung erbringen sollen, brauchen sie auch hoch qualifiziertes und motiviertes Personal. Doch die Bedingungen am Arbeitsplatz Hochschule sind beschämend. Auf einen unbefristeten wissenschaftlichen Angestellten kommen fast sieben befristete Wissenschaftler. Wenn Hochschulen auch künftig qualifizierte Arbeitskräfte in Forschung, Lehre, Verwaltung, Technik und Management. Gewinnen wollen, müssen sie den Arbeitsplatz Hochschule deutlich attraktiver gestalten.

Der Frust an den Hochschulen ist groß. Viele Studierende, Beschäftigte und Wissenschaftler sind unzufrieden mit unseren Hochschulen. Sie haben gesehen, dass Deregulierung und Liberalisierung zu schlechteren Arbeitsbedingungen, Chaos bei der Zulassung, weniger Demokratie an den Hochschulen führt.

Wir Gewerkschaften haben auch im Bildungssystem – und nicht nur dort – vor Marktradikalismus gewarnt. Die Entwicklung hat uns leider Recht gegeben. Auch deshalb können wir uns mit dem Leitbild Demokratische und Soziale Hochschule selbstbewusst der hochschulpolitischen Debatte stellen.


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