Das Unbehagen an der entfesselten Marktwirtschaft wird immer offensichtlicher. Vor allem im öffentlichen Sektor und im Wohnungsmarkt haben Privatisierungen das Angebot verschlechtert und die Preise steigen lassen. Der Staat muss wieder für mehr soziale Sicherheit und eine fairere Verteilung sorgen, fordert der DGB-klartext.
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Der Aufschrei war groß, als der Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation, Kevin Kühnert, kürzlich in einem Interview über die Kollektivierung von Unternehmen und die Rolle des Privaten nachdachte. Egal, ob man seine Ansichten im Detail teilt oder nicht – in jedem Fall ist es wichtig, diese Themen wieder öffentlich zu debattieren.
Dass insbesondere konservative Politiker und neoliberale Ökonomen Kühnert attackierten, kommt schließlich nicht von ungefähr: Auch sie spüren, dass die Unzufriedenheit mit der von ihnen propagierten entfesselten Marktwirtschaft wächst. In Berlin läuft zum Beispiel ein Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnungskonzerne. Ein Großteil der deutschen Bevölkerung ist laut Umfragen der Ansicht, dass es hierzulande ungerecht zugeht.
Diese Entwicklung ist auch darauf zurückzuführen, dass die von den Kühnert-Kritikern gern beschworene „Soziale Marktwirtschaft“ heute eine ganz andere ist als früher. Jahrzehnte neoliberaler Politik von Privatisierung und Deregulierung haben den Einfluss der öffentlichen Hand in der Wirtschaft zurückgedrängt und zum Teil Druck auf Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten gemacht. Unter dem Deckmantel von Schuldenbremsen und Programmen zum „Bürokratieabbau“ wurden die Handlungsspielräume des Staates zusätzlich beschränkt und diejenigen privater Kapitaleigentümer erweitert.
Die negativen Folgen dieser Politik sind vielfältig: Privatisierungen haben oft zu einer Verschlechterung des Angebots oder zu höheren Preisen geführt. In manchen Bereichen, wie der Wasserversorgung, musste deshalb später wieder rekommunalisiert werden. Die massenhafte Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände hat die aktuellen Mietpreisexplosionen mit befördert und dem Staat die Möglichkeiten des korrektiven Eingreifens genommen. Außerdem zeigen Untersuchungen, dass sich die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen auch negativ auf die Tarifbindung ausgewirkt hat.
Quelle: World Inequality Database
Mit der Öffnung neuer Bereiche für – oft internationalen – Wettbewerb ging auch einher, dass einige Unternehmen nicht mehr nach den eingespielten Regeln der Sozialen Marktwirtschaft spielen wollen. Manche versuchen, Betriebsräte zu verhindern, andere die Unternehmensmitbestimmung durch neue Rechtsformen zu umgehen. Insgesamt muss davon ausgegangen werden, dass die Durchsetzung neoliberaler Ideen soziale Unsicherheit und Ungleichheit deutlich befördert hat (siehe Grafik).
Es ist also höchste Zeit für eine Stärkung der Handlungsfähigkeit des Staates und der Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten. Die aktuelle Debatte muss dazu genutzt werden. Es braucht eine deutliche Ausweitung der öffentlichen Investitionen und auch der Personalausstattung im öffentlichen Dienst. Privatisierungen müssen gestoppt und, wenn nötig, umgekehrt werden.
Tarifbindung und Mitbestimmung müssen weiter gestärkt werden – auch, weil demokratische Mitbestimmung der Beschäftigten dazu beiträgt, Transformationsprozesse in der Wirtschaft zu meistern. Für letzteres braucht es auch eine aktive staatliche Industriepolitik. Nicht zuletzt muss der Staat wieder für mehr soziale Sicherheit und eine fairere Verteilung sorgen. Kurz: Es gibt viele Gründe die aktuelle Debatte weiterzuführen.