Deutscher Gewerkschaftsbund

05.08.2009

Neues aus dem Bus: Im Gespräch mit Werner Dreibus (Die Linke)

Werner Dreibus (Die Linke), Reinhard Dombre (DGB)

Werner Dreibus (Die Linke) und Reinhard Dombre (DGB) (r.) WWW.SCHOELZEL.NET

"Wenn man das Wort „sozial“ wirklich ernst nimmt, haben Niedriglöhne keine Berechtigung", so der Bundestagsabgeordnete Werner Dreibus (Die Linke) im Businterview. Niedriglöhne seien unsozial, erklärt Dreibus, "denn sie verwehren den Menschen die Teilhabe am sozialen Leben". Die Einführung eines Mindestlohnes stehe deswegen für die Politik an erster Stelle, damit Existenz sichernde Löhne gezahlt würden.

Werner Dreibus ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Gewerkschaftspolitischer Sprecher der Partei Die Linke im Bundestag.

Wie finden Sie die Idee mit der Forderung nach 7,50 EUR auf dem Bus, in dem wir fahren?

Werner Dreibus: Hervorragend! Der gesetzliche Mindestlohn ist dringend notwendig. Das kann man gar nicht oft genug sagen und mit solchen Aktionen auch zeigen.

Was sind die Gründe für die enorme Ausweitung des Niedriglohnsektors in Deutschland, der mittlerweile 22 % aller Beschäftigungsverhältnisse umfasst?

Werner Dreibus: Die Hartz-Gesetze. SPD und Grüne haben mit Zustimmung von Union und FDP dem Lohndumping den Weg bereitet. Leiharbeiter dürfen schlechter bezahlt werden als ihre fest angestellten Kolleginnen und Kollegen. Die Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung hebelt den Kündigungsschutz aus und macht die Beschäftigten erpressbar. Ebenso die Mini-Jobs, mit denen Untenehmen gute in schlecht bezahlte Arbeitsplätze umwandeln. Schließlich die Kürzung des Arbeitslosgeldes I und Hartz IV. Damit werden die Menschen gefügig gemacht, jeden noch so schlecht bezalten Job anzunehmen.

Welche Auffassung vertreten Sie, wie dieser Entwicklung begegnet werden kann?

Werner Dreibus: Wir müssen Gute Arbeit fördern. Dass bedeutet: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in der Leiharbeit, Beschränkung befristeter Beschäftigtung auf sachlich begründete Fälle, Umwandlung von Mini-Jobs in reguläre Beschäftigungsverhältnisse, Verlängerung des Arbeitslosengeldes I und Anhebung von Hartz IV. Auch die Zumutbarkeitskriterien für die Annahme von Arbeitsangeboten, die wir schon einmal hatten, müssen wieder eingeführt werden.

Was muss die Politik unternehmen, damit Existenz sichernde Löhne gezahlt werden?

Werner Dreibus: An erster Stelle steht natürlich der gesetzliche Mindestlohn. Er ist die rote Linie für Lohndumping, die nicht überschritten werden darf. Selbstverständlich müssen auch tarifliche Vereinbarungen gestärkt werden. Die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit muss vereinfacht werden. Die Arbeitgeberverbände dürfen hier kein Vetorecht mehr haben.

Welche Position vertritt Die Linke im Hinblick auf die Bundestagswahl 2009 bzgl. Existenz sichernder Mindestlöhne?

Werner Dreibus: Wir sind klar: Wir wollen den gesetzlichen Mindestlohn für alle Beschäftigten einführen. In der kommenden Legislaturperiode soll er auf 10 Euro steigen. Darüber hinaus sollen von den Tarifparteien Branchenmindestlöhne festgelegt werden können, sofern sie höher sind als der gesetzliche Mindestlohn.

Verstoßen Niedriglöhne gegen die Garantie des Grundgesetzes, die Würde des Menschen sei unantastbar?

Werner Dreibus: Ja, das ist so. Und alle im Bundestag vertretenen Parteien, außer die LINKE, haben das sehenden Auges in Kauf genommen. Erklärtes Ziel der Hartz-Gesetze war die Ausweitung des Niedriglohnsektors. Angeblich wollte man damit mehr Menschen in Beschäftigung bringen, aber es wurden nur immer mehr Menschen mit Hungerlöhnen. Bis heute sind diese Parteien nicht zu grundsätzlichen Korrekturen bereit. Das ist eine Schande.

Ist die soziale Marktwirtschaft mit Niedriglöhnen vereinbar?

Werner Dreibus: Nein. Wenn man das Wort „sozial“ wirklich ernst nimmt, haben Niedriglöhne keine Berechtigung. Denn sie verwehren den Menschen die Teilhabe am sozialen Leben, sie sind unsozial.

Würde die soziale Marktwirtschaft durch flächendeckende Lohnuntergrenzen unsozial?

Werner Dreibus: Das Gegenteil ist der Fall. Erst indem wir Dumpinglöhne unterbinden, erwirbt die Marktwirtschaft die Berechtigung, sich als sozial zu bezeichnen. Das kann durch die Tarifpolitik geschehen und – wenn diese allein nicht ausreicht – eben auch durch den gesetzlichen Mindestlohn.

20 von 27 EU-Staaten sichern Lohnuntergrenzen über Mindestlöhne. Sind die alle schlecht beraten?

Werner Dreibus: Im Gegenteil, Deutschland ist schlecht beraten. Die marktradikalen Gegner des Mindestlohns behaupten immer, wenn der Mindestlohn kommt, bricht der Kapitalismus in Deutschland zusammen. Ein Blick über die Grenze zu unseren europäischen Nachbarn würde sie eines Besseren belehren.

Kann der deutsche Arbeitsmarkt angesichts der bevorstehenden Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU ab Mai 2011 auf verbindliche Lohnuntergrenzen verzichten?

Werner Dreibus: Auf keinen Fall. Wichtig ist dabei: Der Mindestlohn würde nicht nur die inländischen Beschäftigten vor Lohndumping schützen sondern auch die ausländischen Kolleginnen und Kollegen. Wenn alle mindestens den Mindestlohn bekommen, können die Unternehmen die in- und ausländischen Beschäftigten nicht gegeneinander ausspielen.

Sollte es für die Zeitarbeit auch einen Mindestlohn geben?

Werner Dreibus: Ja, wie für alle anderen Branchen auch. Da die Zeiarbeit aber eine besondere Branche ist, weil ihre Beschäftigten in vielen anderen Branchen tätig sind, sollte darüber hinaus der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten. Die ausgeliehene Bandarbeiterin muss genauso viel verdienen wie ihr Kollege nebenan, der die gleiche Arbeit verichtet.

Berücksichtigt die Politik bei ihren Konjunkturprogrammen die tatsächlich Bedürftigen, z.B. Niedriglohnbeschäftigte?

Werner Dreibus: Nein, das kann ich nicht sehen. Nehmen wir die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter. Seit beginn der Krise hat fast ein Viertel von ihnen den Arbeitsplatz verloren. Die Regierung tut dennoch nichts für sie. Oder was ist mit den Verkäuferinnen bei Lidl, den Putzfrauen in den Hotels oder den Wachschützern privater Unternehmen. Diese Menschen verdienen genauso wenig wie zuvor. Und wenn sie ihre Arbeit verlieren landen die allermeisten von ihnen spätestens nach einem Jahr in Hartz IV. Das weiß die Regierung und sie tut dennoch nichts.

Es werden Rettungsschirme für die Wirtschaft gespannt. Sind Lohnuntergrenzen nicht auch Rettungsschirme für die Betroffenen?

Werner Dreibus: Ja, das sind sie. Aber es gehört politischer Wille dazu, diese Rettungsschirme auch aufzuspannen. Die LINKE hat im Bundestag mehrfach Anträge zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns gestellt, zu Verlängerung des Arbeitslosegeldes I, zur Erhöhung von Hartz IV und zur Eindämmung prekärer Beschäftigung. Alle anderen Parteien haben diese Anträge abgelehnt, selbst vor wenigen Wochen noch. Einige dieser Parteien schreiben unsere Forderungen jetzt in ihre Wahlprogramme. Das ist nicht aufrichtig. Und gegenüber den Menschen, die unter unwürdigen Bedingungen arbeiten müssen, ist das nicht fair.

Wir danken Werner Dreibus für das Gespräch.


Nach oben

Finde deine Gewerkschaft

Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter halten Fahnen hoch: Grafik
DGB
Rechtsschutz, tarifliche Leistungen wie mehr Urlaubstage und Weihnachtsgeld, Unterstützung bei Tarifkonflikten und Weiterbildung – dies sind 4 von 8 guten Gründen Mitglied in einer DGB-Gewerkschaft zu werden.
weiterlesen …

Der DGB-Tarifticker

Ge­werk­schaf­ten: Ak­tu­el­le Ta­rif­ver­hand­lun­gen und Streiks
Gewerkschafter*innen auf Demonstration für besseren Tarif
DGB/Hans-Christian Plambeck
Aktuelle Meldungen zu Tarifverhandlungen, Tariferfolgen und Streiks der acht Mitgliedsgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
weiterlesen …

RSS-Feeds

RSS-Feeds: Un­se­re In­hal­te – schnell und ak­tu­ell
RSS-Feed-Symbol im Hintergrund, im Vordergrund eine Frau, die auf ihr Handy schaut
DGB
Der DGB-Bundesvorstand bietet seine aktuellen Meldungen, Pressemitteilungen, Tarifmeldungen der DGB-Gewerkschaften sowie die Inhalte des DGB-Infoservices einblick auch als RSS-Feeds.
weiterlesen …

Direkt zu deiner Gewerkschaft

Zu den DGB-Gewerkschaften

DGB