Deutscher Gewerkschaftsbund

28.10.2020
Newsletter Europa und Internationales

Arbeitskraft auf Knopfdruck

von Roman Korman (DGB)

Arbeitsformen, die über digitale Plattformen organisiert, angeboten oder vermittelt werden, nehmen weltweit an Bedeutung zu. Es handelt sich hierbei nicht um eine neue Kultur des Teilens, wie der Begriff „Sharing-Economy“ suggerieren könnte, sondern um neue digitale Geschäftsmodelle. Die EU-Kommission möchte mit dem „Digital Services Act“ die Marktmacht der Plattformwirtschaft zähmen.

Symbolbild Skyline einer Großstadt

DGB/gongzstudio/123rf.com

Die Verbreitung der Plattformarbeit wird vor allem in Städten sichtbar, wenn Fahrerinnen und Fahrer für Lieferdienste Lebensmittel transportieren oder E-Scooter von sogenannten „Juicern“ aufgesammelt und aufgeladen werden. Sie findet aber auch unsichtbar statt, wenn Reinigungskräfte Privat- oder Geschäftsräume reinigen oder sogenannte „Crowdworker“ Arbeitsaufträge vor dem heimischen Laptop bearbeiten.

Grundsätzlich lässt sich Plattformarbeit also in zwei Kategorien einteilen: In der ortsungebundenen Plattformarbeit werden Arbeitsleistungen digital organisiert und auch digital erbracht (sogenanntes „Crowdworking“), in der ortsgebundenen Plattformarbeit werden Arbeitsaufträge zwar digital organisiert, jedoch physisch vor Ort erbracht – im Handwerk, im Gastgewerbe, bei der Personenbeförderung und Lieferdiensten oder in haushaltsnahen Dienstleistungen („Gigwork“). Plattformarbeit ist dabei längst kein Randphänomen mehr. Knapp 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Europa haben bereits Arbeitsleistungen über digitale Plattformen angeboten, knapp sechs Prozent arbeiten mindestens 10 Wochenstunden auf Plattformen und generieren darüber einen erheblichen Anteil ihres Einkommens.

Dabei zieht sich ein Grundproblem durch das Phänomen Plattformarbeit: Betreiber von Arbeitsplattformen negieren in der Regel ein Beschäftigungsverhältnis zu den auf den Plattformen Erwerbstätigen. Zunächst deklarieren sie sich über ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) weder als Arbeitgeber noch als Auftraggeber. Die Plattformbeschäftigten arbeiten somit häufig als Soloselbstständige, selbst wenn ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit deutlich eingeschränkt ist. Betreiber von Arbeitsplattformen entgehen durch die Ablehnung der Arbeitgebereigenschaft größtenteils nicht nur der Sozialabgabenpflicht, sondern umgehen auch Arbeits-, Sozial- und Mitbestimmungsrechte. Damit entstehen Wettbewerbsverzerrungen, die die Prekarisierungstendenzen weiter verstärken.

Gegenmacht formiert sich

Das Narrativ der Betreiber, laut dem Plattformen als neutrale Instanz nur zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vermitteln, gerät zunehmend unter Druck. Nationale und internationale Arbeitsgerichte beschäftigen sich mit der Frage, welche Beziehung zwischen Plattformbeschäftigten und der Plattform selbst besteht. Große Aufmerksamkeit erlangte dabei das in Kalifornien jüngst verabschiedete Arbeitsgesetz „Assembly Bill 5“. Moderne Formen der Kontrolle und Weisung sowie die Integration der Erwerbstätigen als Teil der regulären Geschäftstätigkeit gelten hier nunmehr als Merkmale abhängiger Beschäftigung. Zudem obliegt dem Arbeitgeber mit einer Beweislastumkehr die Nachweispflicht. Eine revolutionäre Entscheidung, denn sie stellt im Mutterland der Tech-Giganten das Geschäftsmodell der großen Lieferdienst- und Mobilitätsdienstleister fundamental auf den Kopf. In Deutschland steht der Fall eines „Crowdworkers“ nun vor dem Bundesarbeitsgericht, auch hier steht der Status der Beschäftigung im Fokus.

Gewerkschaften in Deutschland engagieren sich schon seit längerem in den Bereichen der Plattformarbeit. In der IG Metall und ver.di können Selbstständige Mitglied werden und sich vernetzten. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat rund 30.000 Selbstständige in ihren Reihen, die sich in ihrer Gewerkschaft engagieren und deren kostenlose, kollegiale Beratung nutzen können.Die IG Metall hat die Plattform „Fair Crowd Work“ aufgebaut und gemeinsam mit internationalen Organisationen Anforderungen für sozial nachhaltige Arbeitsbedingungen auf digitalen Plattformen veröffentlicht – die Frankfurter Erklärung zu plattformbasierter Arbeit. Die Gewerkschaft NGG wiederum unterstützt die Initiative „Liefern am Limit“ von Essenskurieren.

Eine Frage des Status

Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung ist dabei der Status der Plattformbeschäftigten, denn bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass Arbeitsplattformen weit mehr sind als nur Vermittler zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer*in. Sie schaffen über ihre Software-Plattform nicht selten ein ausgeklügeltes Kontroll- und Steuerungssystem, in dem die Beschäftigten teils Vorgaben zu Inhalt, Durchführung, Zeit und – bei ortsgebundenen Tätigkeiten – auch Ort der Tätigkeit erhalten. Technische Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten können personenbezogene Weisungen im traditionellen Sinne nicht ersetzen, erfüllen aber dieselbe Funktion. Moderne Arbeits- und Kommunikationsmittel sowie algorithmische Steuerungsformen lösen hier die organisatorische Eingliederung in feste, betriebliche Arbeitsstrukturen mit persönlich erteilten Vorgaben ab. Dabei kann es keinen Unterschied für die Klassifizierung machen, ob Algorithmen oder Menschen Weisungen erteilen.

Zwischen Plattformbetreiber und Beschäftigten herrscht eine ausgeprägte Informations- und Machtasymmetrie. Die Plattformen sammeln unterschiedliche Leistungsparameter der Beschäftigten und überführen sie in ein Ranking- und Reputationssystem. Für die Beschäftigten selbst ist dabei nicht einsehbar, welche Daten erhoben und wie diese zueinander gewichtet werden. Diese Bewertungen haben den Stellenwert von Arbeitszeugnissen und entscheiden über Arbeitseinsätze und Verdienstmöglichkeiten. Die Plattformen selbst sind dabei geschlossene Ökosysteme, erworbene Reputationen können nicht auf andere Plattformen transferiert werden. Dieser sogenannte Lock-In-Effekt macht einen Plattformwechsel de facto unmöglich.

Forderungen der Gewerkschaften

Auch bei digital organisierter Arbeit sollten grundsätzlich nur diejenigen arbeits- und sozialrechtlich als Selbständige gelten, die im wirtschaftlichen Sinne auch wirklich unabhängig sind. Für die Anwendung des arbeitsrechtlichen Schutzes müssen die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit der Arbeitenden sowie ihre soziale Schutzbedürftigkeit ausschlaggebend sein. Um die Durchsetzung der Rechte von Plattformbeschäftigten zu erleichtern, sollte die Beweislastverteilung so geregelt werden, dass die Plattformbetreiber beweisen müssen, dass es sich um eine echte Selbständigkeit handelt. In diesem Zusammenhang ist auch Transparenz über die algorithmische Steuerung, Ranking- und Reputationssysteme sowie die Preisgestaltung erforderlich. Mit einer Darlegungspflicht darüber, wer wie viel auf Plattformen arbeitet, lässt sich die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit leichter feststellen. Studien zeigen, dass ein Großteil der Online-Arbeiten von etwa 10 Prozent aktiver Crowdworker ausgeführt wird. Auch sollte die Übertragbarkeit der jeweils erworbenen Reputation bei einem Wechsel auf eine andere Plattform ermöglicht werden, um Lock-In-Effekte zu verhindern.

Um der ausgeprägten Machtasymmetrie zu begegnen und den Beschäftigten kollektive Handlungsmöglichkeiten zu geben, braucht es ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften. Die deutsche Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union hat die Plattformwirtschaft auf ihre Agenda gesetzt und plant Anfang November eine Konferenz dazu. Die EU-Kommission möchte mit dem „Digital Services Act“ die Macht der Plattformen zähmen. Dabei dürfen die Rechte der Plattformbeschäftigten nicht auf der Strecke bleiben. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften werden sich weiterhin dafür einsetzen.


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