Vor kurzem hat die Bundesregierung die Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie veröffentlicht. Sie legt dar, mit welchen Mitteln die Regierung zur Erreichung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen auf nationaler und internationaler Ebene beitragen will. Wie bewertet der DGB die Nachhaltigkeitsstrategie? Werden Gute Arbeit und Beschäftigung berücksichtigt? Ist die Strategie ambitioniert genug? DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell beantwortet die wichtigsten Fragen.
Vereinten Nationen
Stefan Körzell: Der Bezugspunkt der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sind die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die neben ökologischen und ökonomischen Herausforderungen, vor allem soziale Missstände adressieren. Durch diesen breiten Ansatz werden viele Themen und Probleme angesprochen, die für den DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften von zentraler Bedeutung sind, wie die soziale Ungleichheit, die Rolle von Guter Arbeit, ungleiche Lebensverhältnisse, Geschlechtergerechtigkeit oder die Notwendigkeit von effektiven Klimaschutzmaßnahmen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, denn Nachhaltigkeit hat sowohl ökologische als auch soziale Dimensionen.
Allerdings gibt es auch einiges zu kritisieren. Die beschriebenen Maßnahmen der Bundesregierung greifen an vielen Stellen zu kurz. Besonders deutlich wird das bei den Ausführungen zur Verringerung der sozialen Ungleichheit. Zwar werden zu Recht die Einführungen des Mindestlohns oder der Grundrente als Erfolge genannt, dennoch zeigt die stetige Zunahme der Einkommens- und Vermögensungleichheit, dass die aktuellen Maßnahmen nicht ausreichen. Deswegen fordert der DGB schon lange eine Stärkung der Tarifbindung, etwa dadurch dass öffentliche Aufträge nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden können. Zudem brauchen wir endlich einen armutsfesten Mindestlohn von mindestens 12 Euro. Und wir brauchen mehr Steuergerechtigkeit durch eine stärkere Besteuerung von Vermögen, Erbschaften und Finanztransaktionen.
Stefan Körzell: Die Förderung von Guter Arbeit gehört zu dem achten Nachhaltigkeitsziel und wird dementsprechend auch in der Strategie aufgegriffen. Besonders erfreulich ist, dass dort der Zusammenhang zwischen nachhaltigem Wirtschaftswachstum auf der einen Seite und Guter Arbeit, fairem Einkommen und sicheren Arbeitsplätzen auf der anderen Seite angesprochen wird. Strategische Maßnahmen zur Förderung von Guter Arbeit kommen allerdings zu kurz. Dabei ist die Relevanz von tarifgebundenen Arbeitsplätzen in der Transformation von herausragender Bedeutung. Denn geht der notwendige Wandel unserer Wirtschaftsstrukturen nicht mit dem Erhalt und Aufbau von guten Arbeitsplätzen einher, wird die Transformation als Bedrohung empfunden und erzeugt Widerstand.
Irritiert hat mich, dass die Erwerbstätigenquote als einziger Indikator zur Erfassung von Guter Arbeit aufgeführt wird. Sie gibt lediglich Auskunft über den prozentualen Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung. Um tatsächlich Aussagen über die Qualität von Arbeitsplätzen zu treffen, sollten der Anteil an Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen, gesetzlich verankerte Mitbestimmungsrechte und der Anteil an prekär Beschäftigten als Indikatoren mitaufgenommen werden. Eine geschlechterdifferenzierte Darstellung wäre ebenfalls wichtig, um zu verdeutlichen, dass Frauen öfter in Teilzeit oder prekär beschäftigt sind.
Stefan Körzell: Die Strategie wird ihrem Anspruch, die 17 Nachhaltigkeitsziele bis 2030 zu erreichen, nicht gerecht. Die beschriebenen Maßnahmen greifen zu kurz und werden nicht ausreichen. In den nächsten zehn Jahren müssen wir den Klimaschutz massiv voranbringen, Zukunftsperspektiven für die Beschäftigten entwickeln und gleichzeitig soziale Schieflagen korrigieren. Dafür braucht es einen grundlegenden Politikwechsel. Aus gewerkschaftlicher Sicht brauchen wir dafür auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene eine Investitionsoffensive in die Transformation, die mit Beschäftigungssicherung, Guter Arbeit und einem umfangreichen Netz an sozialen Sicherungen einhergeht. So könnten wir dem Grundsatz der Agenda 2030, niemanden zurückzulassen („Leave no one behind“), tatsächlich gerecht werden.