Deutscher Gewerkschaftsbund

E-Government

21.01.2021
BM - Magazin für Beamtinnen und Beamte 01/2021

Wie werden behördliche Fachanwendungen zu Problemlösern?

von Prof. Dr. Simon Nestler

Erfolgreiche Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook und Apple fokussieren sich schon seit Anfang des Jahrtausends auf Usability und User Experience (UUX), also Nutzerfreundlichkeit. Doch auch der Erfolg von Behörden hängt zunehmend von diesem Themenfeld ab: Denn nur wenn behördliche Fachanwendungen zu echten Problemlösern werden, wird Deutschland die digitale Transformation mit Bravour meistern. Dafür benötigen wir insbesondere eine klare, menschzentrierte Vision für das eGovernment.

Dieser Beitrag ist Titel im BM Ausgabe 01/2021 - dem Magazin für Beamtinnen und Beamte des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Das Apple-Prinzip

„Und, was machen Sie so?“ „Ich bin Professor für Mensch-Computer-Interaktion und beschäftige mich mit der UUX (Usability, User Experience, Barrierefreiheit, Softwareergonomie und Gebrauchstauglichkeit) von behördlichen Fachanwendungen.“ „User Experience? Kenne ich - das hat doch Apple erfunden.“

Wenngleich diese UUX-Lichtgestalt namens Apple gegenwärtig ein klein wenig entzaubert wird, so müssen wir dennoch zugeben: Apple hat sich durch eine Vielzahl von klugen Entscheidungen, insbesondere in den Bereichen Strategie und Marketing, eine hervorragende Reputation erarbeitet. Jeder möchte ein bisschen wie Apple sein - der kreative Freiberufler, der kleine Mittelständler und die große Landesbehörde. Aber wie ist Apple eigentlich? Manche würden sagen: Apple ist ein Unternehmen, das das „Look und Feel“ seiner Produkte in den Mittelpunkt stellt.

Doch Steve Jobs hat bereits sehr früh klargestellt: „It’s not just what it looks like and feels like. Design is how it works.“ Apple ist also letztendlich eine extrem erfolgreiche Design-Agentur, die funktionsfähige Lösungen schafft - anstatt ästhetischer Ornamente. Die Produkte sind nicht erfolgreich, weil sie schön aussehen. Sie sind erfolgreich, weil sie funktionieren. Zugegebenermaßen darf Apple durchaus auch stolz auf die Ästhetik seiner Produkte sein; aber im Themenfeld UUX gibt es für Apple dennoch klare Prioritäten: Erst die Gebrauchstauglichkeit, dann die User Experience.

Gebrauchstauglichkeit macht erfolgreich

Für Behörden stellen sich viele Fragen, beispielsweise: Warum braucht man Gebrauchstauglichkeit und wie erreicht man sie? Die Antwort auf die erste Frage ist offensichtlich: Gute Gebrauchstauglichkeit macht Unternehmen erfolgreich. Wenn wir auf die großen vier der Technologiebranche Google, Amazon, Facebook und Apple schauen, finden wir auch Antworten auf die zweite Frage: Gebrauchstauglichkeit fokussiert sich nicht nur auf die Technologie, sondern auf das soziotechnische Gesamtsystem.

So spielen beispielsweise bei Amazon nicht nur der Shop, die Webseite und die App eine wichtige Rolle. Das wichtigste für Amazon ist der Kunde - und dessen Zufriedenheit. Diese geradezu manische Fokussierung auf die Kundenzufriedenheit hat Amazon letztendlich so unglaublich erfolgreich gemacht. Amazon ist also menschzentriert; für deutsche Behörden taugt dieser Ansatz jedoch nur bedingt als Vorbild - da dieses Unternehmen stark differenziert: Die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen spielen aufgrund der Überhöhung der Kundenbedürfnisse leider nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.

BM Magazin für Beamtinnen und Beamte

DGB

Haben Sie Interesse am BM?

Zum Preis von 15,00 Euro  (inklusive Versand und Mwst.) informieren wir Sie mit dem BM ein ganzes Jahr lang über alles Wichtige im Öffentlichen Dienst und im Beamtenbereich des Bundes und der Länder. Die gedruckten Ausgaben erscheinen monatlich, im Juli/August und November/Dezember als Doppelausgaben.

Interesse? Dann bestellen Sie das BM ganz unkompliziert unter www.dgb.de/beamtenmagazin

Vision für die Zukunft des eGovernment

Eine deutsche Vision für das eGovernment sollte daher in der Lage sein, diese Lücke zu schließen. Wir sollten uns nicht nur an den internationalen Vorreitern orientieren, sondern die Konzepte konsequent zu Ende denken. Konkret bedeutet das: Jegliche technologische Innovation in deutschen Behörden sollte stets vom Menschen aus konzipiert und gedacht werden.

Die digitalen, öffentlichen Dienstleistungen sollten alle involvierten Personengruppen auf gleichberechtige Weise berücksichtigen: Auf der einen Seite die Bedürfnisse der BürgerInnen (die online zur Verfügung gestellte Verwaltungsdienstleistungen nutzen) und auf der anderen Seite die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen (die mithilfe von Fachanwendungen für das ordnungsgemäße Funktionieren der öffentlichen Verwaltung sorgen). Die Abstimmung zwischen Bedürfnis und Lösung muss dabei situativ erfolgen; beispielsweise in Form eines adaptiven Lebenslagenmodells - statt eines statischen und technologiezentrierten Dienstleistungskompasses.

Dieses Umdenken hätte ganz praktische Implikationen für die Behörde: Eine Fachabteilung würde nicht länger Software, also technische Lösungen, beschaffen. Stattdessen wäre die Fachabteilung ein Kompetenzzentrum für die Probleme der MitarbeiterInnen und BürgerInnen. Statt schlechte Software besser zu machen, würden schlecht oder ungelöste Probleme besser gelöst. Die Fachabteilung würde schrittweise Expertise zu den Blind Spots der Digitalisierung sammeln: Insbesondere zu all den Excel Sheets, unterstützenden Dokumenten, internen Dateiablagen und vielem mehr - die parallel zu den offiziellen Fachanwendungen notwendig sind, um die Systeme in der Praxis überhaupt nutzen zu können.

Die Blind Spots von behördlichen Fachanwendungen

Natürlich gibt es dabei einen Haken: Die Identifikation und Analyse dieser Blind Spots ist leider alles andere als trivial. Fachabteilungen benötigen hier in der Regel - insbesondere am Anfang - Unterstützung durch ExpertInnen. Deren UUX Gutachten legen offen, wie die MitarbeiterInnen in der Praxis wirklich mit der Software arbeiten. Aktuell fehlt dieses Verständnis dafür sowohl bei den Dienstleistern als auch bei den Fachabteilungen. Häufig sind es die Personalratsmitglieder, die dieses Thema erfolgreich in den Fokus rücken.

Der Qualitätsanspruch an das behördliche Handeln gilt selbstverständlich auch für die verwendeten Fachanwendungen. Durch UUX Gutachten entsteht innerhalb der Behörde sehr schnell eine intrinsische Motivation, den MitarbeiterInnen und BürgerInnen die bestmögliche Software zu bieten. Das Pareto-Prinzip ist dabei auch im Themenfeld UUX sehr wirkungsvoll: Zwanzig Prozent der Probleme beeinflussen achtzig Prozent der MitarbeiterInnen besonders negativ. Achtzig Prozent der Probleme treten hingegen nur bei zwanzig Prozent der MitarbeiterInnen auf. Wenngleich die Kundenzufriedenheit in manchen behördlichen Aufgabenfeldern eine problematische Metrik ist, so führt der Paradigmenwechsel dennoch zu einer positiven Veränderung der Behördenkultur.

UUX macht Behörden effektiv und effizient

UUX ist mehr als ein Kulturwandel. Behörden müssen im Zuge der digitalen Transformation ihre Effektivität und Effizienz verbessern: Der gesellschaftliche Wandel, die wachsende Komplexität und die steigende Arbeitslast stellen Behörden vor Herausforderungen, die sich nur noch mit maximal gebrauchstauglicher Software ohne negative Auswirkungen für die MitarbeiterInnen bewältigen lassen. Die Einführung von neuer Software darf nicht länger zu einer zusätzlichen Belastung der betroffenen Abteilungen führen. Nur Gebrauchstauglichkeit kann dazu beitragen, dass behördliche Fachanwendungen auch wirklich das tun, wozu sie eingeführt werden: MitarbeiterInnen entlasten.

Checkliste: UUX Reifegrad von behördlichen Fachanwendungen


Die nachfolgende Checkliste hilft Interessensvertretungen und Behörden, Schritt für Schritt ihre eigene Strategie im Themenfeld UUX zu reflektieren und zu etablieren: Existiert bisher nur ein grundlegendes Verständnis für die Thematik oder werden bereits konkrete Maßnahmen umgesetzt? Setzt die Behörde primär auf die Expertise innerhalb der Fachabteilungen oder involviert sie auch die BenutzerInnen? Beschränken sich die Verantwortlichen auf die behördeninterne Perspektive oder wird gezielt externe UUX-Expertise eingebunden? Wird das Thema primär punktuell adressiert oder sind die Methoden, Prozesse und Verantwortlichkeiten bereits fester Bestandteil der Behördenkultur?

  1. Die Verantwortlichen für die Fachanwendung pflegen einen regelmäßigen Kontakt zu ihren MitarbeiterInnen.
  2. MitarbeiterInnen und Fachabteilung entwickeln gemeinsam die zentralen Anforderungen an die Fachanwendung.
  3. Fachanwendungen werden in regelmäßigen Abständen mit den MitarbeiterInnen in Bezug auf UUX getestet.
  4. Die Erfordernisse der MitarbeiterInnen werden in allen Projekten in standardisierter Form berücksichtigt.
  5. Innerhalb der für IT-Anwendungen verantwortlichen Fachabteilungen gibt es ein festes Budget für UUX.
  6. Die UUX der Fachanwendungen wird mithilfe von UUX Gutachten strukturiert und objektiv untersucht.
  7. Die Methoden der menschzentrierten Gestaltung kommen in allen Projektphasen zum Einsatz.
  8. Für alle in der Behörde genutzten Fachanwendungen sind UUX Verantwortliche definiert.
  9. Es gibt einen internen und externen Dialog und Austausch zu Fragestellungen im Themenfeld UUX.
  10. Die Behörde hat klare Standards für die Durchführung von UUX Maßnahmen definiert.
  11. Der Erfolg der verschiedenen UUX Methoden wird innerhalb der Behörde strukturiert analysiert.

Nach oben
  1. Digitale Verwaltungsangebote: Der moderne Staat lässt weiter auf sich warten
  2. Digitale Verwaltungsangebote: Deutschland scheitert an steigender Erwartungshaltung der Bürger:innen
  3. Ad-hoc-Digitalisierung, pandemiebedingt
  4. Wie werden behördliche Fachanwendungen zu Problemlösern?
  5. Deutschland gewinnt beim Thema eGovernment an Boden
  6. Digitalisierung der Justiz: Die E-Akte
  7. Klaus Vitt: "Es bedarf einer zeitgemäßen Cyber-Sicherheitsarchitektur"
  8. Bundesrechnungshof: 53 Millionen Euro für ungenutzte Technik
  9. Öffentlicher Dienst braucht mehr digitale Kompetenzen
  10. Daten gegen Lösegeld? Wie Kommunen sich vor Hackern schützen
  11. Recht auf Grundschulung "IT-Sicherheit" für öffentlich Beschäftigte
  12. Stellungnahme des DGB zum "Entwurf eines Gesetzes zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes"
  13. Reiner Hoffmann beim 4. Zukunftskongress „Staat & Verwaltung“
  14. Hannack: In der Behörde auf eigenes Fachpersonal setzen
  15. Elektronische öffentliche Dienste für die Bürgerinnen und Bürger – diskriminierungsfrei, mehrsprachig, bedarfsgerecht
  16. Digitalisierung: Erfahrung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst
  17. Digitalisierung selbst gemacht
  18. Stellungnahme zum Normenscreening der Bundesregierung
  19. Öffentliche Verwaltung: Mehr Wertschätzung bitte!
  20. DGB-Stellungnahme zum Bürokratieentlastungsgesetz (BT-Drucksache 18/4948)
  21. Fusion zum Bundesrechenzentrum: DGB drängt auf verbindliche Einbeziehung
  22. Stellungnahme zum Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Finanzen „Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“
  23. Digitale Verwaltung: Bürgerinteressen haben Priorität
  24. Vernetzt und transparent - Bundesverwaltung soll moderner werden
  25. Für Innovationen, Fortbildung, und Führungskräfteentwicklung in der Bundesverwaltung

Weitere Themen

So­zi­al­part­ner: Ge­mein­sam für bes­se­re Bil­dungs­chan­cen
Portrait zwei fröhliche Grundschulerinnen
DGB/Dmitriy Shironosov/123rf.com
Der DGB und die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fordern deutlich höhere Investitionen im Bildungsbereich. In einer gemeinsamen Stellungnahme setzen sie sich zudem für eine wirksame Strategie entlang der gesamten Bildungskette unter Einbindung der Sozialpartner ein.
Zur Pressemeldung

49-Eu­ro-Ticket reicht für Ver­kehrs­wen­de nicht aus
Grafiken von Bus und Bahn
DGB
Die Energiepreiskrise erhöht den Druck, endlich eine Verkehrswende umzusetzen, die sozial und ökologisch gerecht ist. Wichtig dafür ist ein gut ausgebauter und bezahlbarer öffentlicher Nahverkehr. Das entlastet nicht nur unseren Geldbeutel in der Inflation, sondern ist auch gut fürs Klima.
weiterlesen …

Ener­gie­preis­pau­scha­le: Al­les, was Sie jetzt wis­sen müs­sen
Eine Hand hält Euro-Geldscheine
DGB/Vladyslav Starozhylov/123RF.com
Von der Energiepreispauschale (EPP) 2022 profitierten alle Arbeitnehmer*innen. Das Geld wurde 2022 vom Arbeitgeber als Zuschuss zum Gehalt ausgezahlt, bei Selbstständigen wurde stattdessen die Steuer-Vorauszahlung gesenkt. Für Studierende gibt es 200 Euro ab März 2023! Wir beantworten Ihre Fragen rund um den Bonus.
weiterlesen …

Wohn­geld­rech­ner und In­fos rund ums neue Wohn­geld
Hellgrüne Icons von einem Hochhaus und einem Einfamilienhaus auf petrolfarbenem Hintergrund
DGB
Viele Menschen können kaum noch ihre Miete zahlen, obwohl sie ein regelmäßiges einkommen haben. Das neue Wohngeld Plus soll Abhilfe schaffen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
zur Webseite …

Was ist ein Ta­rif­ver­trag?
Demonstration: eine Gewerkschafterin hält das Logo der NGG in der Hand, in der Hintergrund rote IG-Metall-Fahnen
DGB/Hans-Christian Plambeck
Ein Tarifvertrag ist ein Vertrag zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften – er regelt Rechte und Pflichten von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgebern. Dazu gehören Arbeitsbedingungen wie Löhne, Arbeitszeit und Urlaub. Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen.
weiterlesen …

Was ha­ben Ge­werk­schaf­ten in der Kri­se für dich er­reicht?
Foto mit Farbfläche und echtgerecht-Logo. Auf dem Foto ist die DGB-Fahne im Vordergrund und viele Gewerkschaftsmitglieder demonstrierend im Hintergrund zu sehen.
DGB/Christian Plambeck
Die Welt ist im Krisen-Dauermodus: Energiekrise, Klimakrise, ein Krieg in Europa, hohe Inflation und die Auswirkungen der Corona-Pandemie bereiten allen Menschen Sorgen. Gewerkschaften stehen auf der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Welche Erfolge haben wir erreicht? Was bringt unser Einsatz in der Krise konkret für dich?
weiterlesen …

ein­blick - DGB-In­fo­ser­vice kos­ten­los abon­nie­ren
einblick DGB-Infoservice hier abonnieren
DGB/einblick
Mehr online, neues Layout und schnellere Infos – mit einem überarbeiteten Konzept bietet der DGB-Infoservice einblick seinen Leserinnen und Lesern umfassende News aus DGB und Gewerkschaften. Hier können Sie den wöchentlichen E-Mail-Newsletter einblick abonnieren.
zur Webseite …