Deutscher Gewerkschaftsbund

26.10.2018

"Das Internet ist zum Tatort geworden"

einblick November 2018

Ende November treffen die Delegierten der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zu ihrem 26. Ordentlichen Bundeskongress in Berlin zusammen. Der GdP-Vorsitzende Oliver Malchow, der sich zur Wiederwahl stellt, spricht im Interview über die Herausforderungen der nächsten Jahre und die Polizeiarbeit 4.0.

Deutsches Polizeiauto in einer Innenstadt

Colourbox.de

Du bist seit 2013 GdP-Vorsitzender – was hat sich in dieser Zeit verändert?

Die Politik hat in den letzten Jahren falsch eingeschätzt, wie sich die Sicherheitslage und damit die Herausforderungen für die Polizei verändert haben. Dauereinsätze wie beim G20-Gipfel in Hamburg und am Hambacher Forst, terroristische Bedrohungen, umstrittene Staatsbesuche, Großdemonstrationen in Sachsen und zahlreiche Veranstaltungen landauf, landab, lassen meine Kolleginnen und Kollegen nicht mehr aus den Stiefeln kommen. Für unerwartete Ereignisse stehen kaum noch ausgeruhte Kräfte zur Verfügung. Zugleich erleben wir eine immer höhere Gewaltbereitschaft, auch gegenüber Polizeikräften.

Was erleben die Kolleginnen und Kollegen in ihrem Berufsalltag?

Den Kolleginnen und Kollegen schlägt im Alltag viel Aggressivität und Respektlosigkeit entgegen. Seit 2013 sind laut der jährlichen Polizeilichen Kriminalstatistik insgesamt mehr als 332 000 versuchte und vollendete Straftaten gegen Polizeivollzugsbeamte in Deutschland registriert worden. Das sind statistisch rund 180 pro Tag, mit steigender Tendenz. Das Unrechtsbewusstsein vieler Bürger tendiert gen Null, selbst wenn sie gravierende Verfehlungen begangen haben.

GdP-Vorsitzender Oliver Malchow

GdP-Bundesvorstand

Oliver Malchow, 55, ist seit 2013 GdP-Vorsitzender. Der Kriminaloberrat begann seine Polizeikarriere 1983. Seit 1985 ist er GdP-Mitglied. Von 1997 bis 2013 war er GdP-Landesbezirksvorsitzender Schleswig-Holstein.

Was unternehmt ihr gegen diese Entwicklungen?

Die Gewerkschaft der Polizei hat über sieben Jahre darum gekämpft, dass der Gesetzgeber der wachsenden Gewalt gegen Einsatzkräfte ein deutliches Zeichen entgegensetzt. Schließlich hat der Bundestag einen Strafrechtsparagrafen zum besseren Schutz von Polizistinnen und Polizisten beschlossen. Diese Entscheidung war mehr als überfällig. Wohin soll sich eine Gesellschaft entwickeln, wenn künftig das Faustrecht regiert? Das Gewaltmonopol des Staates hat vorherige Formen der Konfliktbeseitigung wie Fehde und Blutrache abgelöst. Es schützt die Bürgerinnen und Bürger vor Übergriffen anderer und ist die Grundlage für ein möglichst angstfreies Sozialleben.

Wie sieht es mit der Personalsituation bei der Polizei aus?

Deutschland braucht mindestens 20 000 zusätzliche Polizeibeamte für Bund, Länder und das Bundeskriminalamt, um auf Dauer den Anforderungen und neuen Aufgaben Herr zu werden. Allein 2016 leisteten die Kolleginnen und Kollegen bundesweit 22 Millionen Stunden Mehrarbeit. In Stellen umgerechnet bedeutete dies 13 000. Hätten wir die, wären aber lediglich die Überstunden abgedeckt. Seit 2000 wurden bundesweit 16 000 Stellen abgebaut und bis 2021 scheiden rund 44 000 Kolleginnen und Kollegen aus Altersgründen aus – die können nicht über Nacht ersetzt werden. Im Koalitionsvertrag steht, dass insgesamt 15 000 Polizistinnen und Polizisten für Bund und Länder eingestellt werden sollen. Zweifel daran sind mehr als angebracht, denn nirgendwo ist verbrieft, wie und wann diese zusätzlichen Kolleginnen und Kollegen kommen sollen.

Grafik GdP Mitgliederzahlen

Die GdP ist die mitgliederstärkste Polizeigewerkschaft in Deutschland. Sie wurde 1950 gegründet und ist seit 1978 Mitglied des DGB. In den letzten Jahren konnte sie kontinuierlich neue Mitglieder hinzugewinnen. DGB/einblick

Wie verändert die Digitalisierung die Polizeiarbeit?

Die Polizei sieht sich mit völlig neuen Herausforderungen konfrontiert. Das Internet ist zum Tatort geworden. Täter und Opfer sitzen oft tausende Kilometer voneinander entfernt. Die Ermittlungen sind enorm schwierig. In fast allen Kriminalitätsbereichen spielen Datenträger bei der Beweiserhebung eine große Rolle. Diese Datenträger stapeln sich in Terrabyte-Dimensionen. Man bräuchte eine Armee von Sachbearbeitern, um sie auszuwerten. Es kann nicht sein, dass manchmal beschlagnahmte Computer unverrichteter Dinge zurückgegeben werden müssen, weil eine Auswertung nicht fristgerecht geleistet werden konnte.

Was erwartest Du künftig von der Politik?

Einsatzlagen und Kriminalität entwickeln sich vor dem Hintergrund geänderter gesellschaftlicher, technischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen rasend schnell weiter. Die Politik muss dafür sorgen, dass die Polizei personell, rechtlich und technisch auf Augenhöhe mit dieser Entwicklung bleibt. Da gibt es bereits jetzt viele Defizite, wie zum Beispiel die fehlende Vorratsdatenspeicherung. Dringend notwendig ist auch die Harmonisierung der polizeilichen IT-Landschaft nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene.

Du kandidierst erneut für den GdP-Vorsitz – was hast Du dir vorgenommen?

Ich habe mein Idealbild von der bürgernahen, zivilen Polizei und werde mich auch weiter dafür einsetzen. Meine Kolleginnen und Kollegen bestehen aus Fleisch und Blut. Sie werden auch künftig Erfahrung, Fachwissen, Instinkt, Empathie, Durchsetzungsvermögen und ein robustes Nervenkostüm benötigen. Vor diesem Hintergrund geht es mir darum, dass ihre Arbeitsbedingungen human bleiben, sie gut geschützt sind und angemessen bezahlt werden. Dazu ist eine starke Gewerkschaft der Polizei nötig. In den vergangenen Jahren konnten wir regelmäßig unsere Mitgliederzahlen steigern. Mehr als 187 000 Kolleginnen und Kollegen sind wir derzeit. Ich habe mir vorgenommen, dass wir auch weiterhin so erfolgreich sind, damit wir in einer stärkeren Position sind und unser hohes Ansehen in der Politik und beim Bürger weiter festigen können.


GdP-Bundeskongress

Alle vier Jahre kommt das oberste Wahlgremium der GdP zusammen – der Bundeskongress. Die 254 Delegierten werden in den Landesbezirken gewählt. Auf dem Kongress beschließen sie die zentralen inhaltlichen Positionen, Leitlinien und Forderungen der GdP – und wählen den Geschäftsführenden Bundesvorstand.


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