Deutscher Gewerkschaftsbund

07.05.2019

Der keltische Tiger frisst seine Beschäftigten – Arbeitskampf in Irland 2019

Den Titel „Keltischer Tiger“ erwarb sich Irland in den neunziger Jahren, als die Wirtschaft des einstigen Armenhauses Europas im Rekordtempo wuchs: befeuert von Auslandsinvestitionen, angelockt von den niedrigen Steuern auf Gewinne. Die Finanzkrise traf das Land und seine Beschäftigten unvorbereitet und schwer. Die Rolle der ArbeitnehmerInnen im Rahmen der harten Strukturreformen war es, ihren Gürtel enger zu schnallen und sich mit Arbeit auf Abruf abzufinden. Prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse sind an der Tagesordnung, auch noch zehn Jahre nach der Krise.

im Wind wehende irische Flagge

DGB/dualta/123rf.com

Den Anstoß zum Erwachen des „keltischen Tigers“ gaben die Milliarden an EU-Subventionen, die in den 70er und 80er Jahren ins Land flossen. Durch sie konnte sich der irische Staat den Verzicht auf Steuereinnahmen erlauben: 12,5% Körperschaftssteuersatz, der niedrigste in der EU. Die jährliche Wachstumsrate lag zwischen sieben und zehn Prozent. Die Arbeitslosenquote fiel seit Mitte der 80er Jahre von 15 auf fünf Prozent.

Vom Vorzeigemodell zum Rettungsfall

Doch die Legende vom „Keltischen Tiger“ trug bereits den Keim ihrer Selbstzerstörung in sich. Entgegen der mythologischen Sichtweise einiger ÖkonomInnen und AnhängerInnen der Chicagoer Schule war das schwindelerregende Wachstum der irischen Wirtschaft nicht das Ergebnis einer Deregulierungs- und Privatisierungspolitik oder der Einkommensteuersenkungen für Privatpersonen. Ursache für die Prosperität war vielmehr die Politik der steuerlichen Entlastung der Unternehmen.

Die Kombination aus anhaltend niedrigen Zinsen und großzügiger Kreditvergabe der Banken machte es außerdem für die IrInnen attraktiv, sich ein Eigenheim auf Pump zu kaufen. Als die Immobilienblase 2008 platzte, führte das zur Überschuldung der Haushalte. Der Wert ihrer Häuser halbierte sich von einem Tag auf den anderen.

Plötzlich hatte der „Keltische Tiger“ seine Zähne verloren: Das kleine Land stützte seine unverhältnismäßig großen Banken mit 50 Milliarden Euro und bürgte für sie mit weiteren 350 Milliarden Euro, das entsprach der Wirtschaftsleistung von zwei Jahren. Das Haushaltsdefizit stieg auf elf Prozent, das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte. Das Ergebnis war ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf mehr als 15 Prozent.

Irland kam für zwei Jahre unter den EU-Rettungsschirm und setzte die verordneten Strukturreformen um.

Paradies des Kapitals – der Tiger ist wieder da…

Und tatsächlich wächst die Wirtschaft wieder überproportional:

Diagramm Wirtschaftswachstum 2008-2018 in Irland

Wirtschaftswachstum 2008-2018 Quelle: Statista 2019 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/14541/umfrage/wachstum-des-bruttoinlandsprodukts-bip-in-irland/ )

Die niedrige Körperschaftssteuer bewirkt aber primär nicht eine Erhöhung des Arbeitsangebots oder eine Produktionszunahme, sondern motiviert Unternehmen, ihre Profite durch hohe interne Transferpreise nach Irland zu verschieben bzw. Briefkastenfirmen in Irland zu gründen. Die guten Exportzahlen sind auch durch Tochterfirmen US-amerikanischer Konzerne wie etwa Google oder Apple bedingt, die von Irland aus ihre Europageschäfte steuern.

…auf Kosten seiner Beschäftigten

Aber wie steht es um die Beschäftigten und die Realwirtschaft? Nach der Finanzkrise mussten sie ihren Gürtel (noch) enger schnallen: Das von der Regierung 2011 verordnete Sparpaket belief sich auf 15 Milliarden Euro. Das beruhigte zwar die Märkte, trieb aber viele Beschäftigte in Existenznöte. Im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2007 hat die irische Wirtschaft immer noch rund 200.000 Jobs verloren, etwa jeden zehnten, und das Lohnniveau liegt unter dem von 2007.

Die Lohnquote, ein wichtiger Indikator für die funktionale Einkommensverteilung, fiel auf 40% des BIP (2016) im Vergleich zu 53% im Jahr 2008. Die Produktivitätssteigerung von rund 34% seit 2010, durch Senkung der Löhne und Lohnstückkosten um rund 17% erreicht. Die Hans-Böckler-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass die wirtschaftliche Erholung durch niedriges Lohnwachstum erreicht wurde.

David Gibney von der irischen Gewerkschaft „Trade Union Mandate“ fasst das so zusammen: „Irische Beschäftigte generieren riesige Einnahmen, bekommen aber nur einen winzigen Anteil davon als Lohn. Im Gegensatz dazu stecken sich die Superreichen einen unangemessen großen Anteil in ihre Taschen. Diese Differenz ist der Grund, weshalb die Wirtschaft Traumzahlen erreicht, das Gefühl der Prosperität bei den Beschäftigten aber ausbleibt.“

Quelle: CSO, IRS, OECD, World Bank

Neue Geißel der Arbeitnehmerschaft – Der Null-Stundenvertrag

Der Ausschluss der Beschäftigten von der Teilhabe an Produktivität und Wachstum basiert in Irland auf drei Säulen:

  • Freiwillige industrielle Beziehungen und fehlende Betriebsratsstrukturen;
  • Kein gesetzlicher Rahmen für die Sozialpartnerschaft und
  • Nullstundenverträge, also Arbeit auf Abruf.

Null-Stundenverträge werden von Arbeitgebern nicht nur als Flexibilisierungsinstrument und zur Verlagerung des unternehmerischen Risikos auf die Beschäftigten, sondern auch als Kontrollinstrument eingesetzt: Kontrolle nicht nur über den Arbeitseinsatz der Beschäftigten, sondern über ihre Lebensumstände, ob sie sich organisieren, an welchem Tag, in welcher Nacht und zu welcher Uhrzeit sie arbeiten. Eine totale Individualisierung und damit Schwächung des Einzelnen ist das Ergebnis.

Früchte des Arbeitskampfes – Irland und Europa

Nach vielen Streiks, die „Trade Union Mandate“ vor allem bei der größten irischen Handelskette Dunnes organisierte, ist es gelungen, im neuen „Employment Act“ (seit 1.3.2019 in Kraft) das Verbot von Null-Stundenverträgen für beinahe alle Bereiche durchzusetzen.

Auch können Beschäftigte in Anstellung einen „Vertrag mit gesicherten Stunden“ beantragen. Der Arbeitgeber muss dem innerhalb von vier Wochen Folge leisten oder erklären, warum er dies nicht tut. Dem Beschäftigten steht ein Berufungsrecht offen.

Der Generalsekretär von „Trade Union Mandate“ erklärt das neue System: In der Regel haben Beschäftigte bei Dunnes 15-Stundenverträge, die meisten arbeiten aber das ganze Jahr über 40 Stunden in der Woche. Nach der neuen Regel können sie einen neuen Mindeststundenvertrag entsprechend dem Durchschnitt der Arbeitsstunden der letzten 12 Monate verlangen, in diesem Fall also einen 36- Stundenvertrag. Damit erlangen die Beschäftigten mehr Sicherheit bezüglich ihres Einkommens und können auch eine Hypothek oder einen Kredit erhalten.

Dieser neue Schutzrahmen für ArbeitnehmerInnen ist in Irland ein Meilenstein. Er nimmt einiges vorweg, was gerade in der reformierten EU-Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen geregelt wurde. Diese ist für europäische Gewerkschaften ein wichtiger Ausgangspunkt, um weitere Verbesserungen der Rechte der Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen zu erreichen – in ganz Europa sind es bereits 40%. Die Richtlinie bietet auch Schutz gegen das Geschäftsmodell mancher Mitgliedstaaten, ihre Beschäftigten durch niedrige Lohn- und Lohnnebenkosten zu einem günstigen „Kostenfaktor“ in der europäischen Produktionskette zu machen.

Beides, nationaler Arbeitskampf und ein harmonisierter EU-Mindestarbeitsrechtsbestand sind wesentliche Voraussetzung, um das Modell von Mitgliedstaaten und Unternehmen, Beschäftigte gegeneinander auszuspielen, erfolgreich zu beenden. Und ein wichtiges Zeichen, dass die Europäische Union ihre Beschäftigten vor unfairem Wettbewerb schützt.

Susanne Wixforth, DGB; David Gibney, Trade Union Mandate


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