Deutscher Gewerkschaftsbund

24.04.2020
Kriegsende 1945

Neubeginn ohne Stunde Null

Wiederaufbau der Gewerkschaften

Schon vor Ende des zweiten Weltkrieges 1945 werden mit Erlaubnis der Alliierten wieder Gewerkschaften gegründet. Der Historiker und Gewerkschafter Gunter Lange blickt 75 Jahre nach Kriegsende auf die gewerkschaftlichen Neugründungen in Ost und West zurück.

Mainelke Arbeiter

DGB/Simone M. Neumann

 Am 24. März 1945 verhandelt das Berliner Kammergericht gegen Richard Weller und neun weitere Arbeiter des AEG-Werks in Berlin-Wedding; sie waren Ende Februar von der Gestapo verhaftet worden. Wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilen die NS-Richter sieben der Angeklagten zum Tode. Die Widerständler aus der Arbeiterbewegung werden am 13. April 1945 im Gefängnis Plötzensee binnen neunzig Minuten enthauptet. Die NS-Terrorjustiz steht kurz vor ihrem Ende, denn drei Tage später überquert die Rote Armee die Oder und beginnt, Berlin einzukreisen.

75 Jahre Kriegsende: Erste gewerkschaftliche Neugründung in Aachen

Bereits am 18. März 1945, gut eine Woche vor dieser Gerichtsverhandlung, haben 80 Frauen und Männer in Aachen, das vor dem Jahreswechsel 1944/45 von amerikanischen und britischen Truppen befreit worden war, in den Räumen der Handwerkskammer den „Freien Deutschen Gewerkschaftsbund“ gegründet. Die Aachener Nachrichten titeln darauf: „Ein großer Tag für die deutschen Arbeiter.“ Matthias Wilms, Anna Braun-Sittarz und ihre Mitstreiter aus der sozialdemokratischen, kommunistischen und christlichen Arbeiterbewegung hatten sich monatelang auf diesen Tag vorbereitet. Sie nahmen zum Jahresbeginn Kontakt zum amerikanischen Stadtkommandanten John Bradford auf, der schließlich am 14. März die Gewerkschaftsgründung bewilligte. Schon am 1. April 1945 beziehen die Gewerkschafter ein Büro in der Adalbertstraße. Wenige Wochen später folgen weitere Neugründungen im Rheinland.

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Mai 1945: Gewerkschaftsgründung in Hamburg

Am 3. Mai 1945 nehmen britische Truppen in Hamburg das Rathaus der Hansestadt ein. Bereits am 5. Mai knüpfen 20 Gewerkschafter aus der Weimarer Ära Kontakte zueinander und verabreden eine gewerkschaftliche Neugründung. In der britischen Militäradministration treffen sie am 7. Mai 1945 auf den Labour-Offizier Captain Paddy W. Dwyer, in seiner englischen Heimat ein Gewerkschaftssekretär. Er macht den deutschen Emissären klar, die Alliierten lassen keine politischen Parteien zu, aber es könnten Gewerkschaften gegründet werden. Gewerkschafter um den Sozialdemokraten Hellmut Kalbitzer nehmen dies erfreut zur Kenntnis und planen bereits für die nächsten Tage eine Gründungsversammlung für eine sozialistische Gewerkschaft. Mit dem Segen von Dwyer treffen am 14. Mai 1945 im Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof 40 Frauen und Männer zusammen. Es besteht Einigkeit darüber, dass die ideologischen Streitigkeiten in der deutschen Arbeiterbewegung überwunden werden müssten. Die Gewerkschafter beschließen die Gründung der Sozialistischen Freien Gewerkschaft (SFG), wählen einen Vollzugsausschuss, den einstigen Bürgerschaftsabgeordneten Adolph Schönfelder (SPD) zum Vorsitzenden; dem fünfköpfigen Vorstand gehört auch Kalbitzer an.

„Hamburger Modell“ Vorbild für britische Besatzungszone

Die Ausrichtung auf eine Einheitsgewerkschaft erfährt unterschiedliche Interpretation. Kalbitzer sieht in der SFG eher einen Ersatz für eine sozialistische Partei, sein Vorstandskollege Franz Spliedt (SPD) orientiert die SFG eher nach den Vorgaben der britischen Besatzungsbehörde als parteipolitisch neutrale Gewerkschaft. Nachdem die SFG kurz nach der Gründung Ausschüsse in den Stadtteilen gebildet hat, sehen die Briten in Hamburg ihr Versammlungsverbot unterlaufen, auch sehen sie in den politischen Beschlüssen der SFG eine Umgehung des Parteienverbots. Der Konflikt innerhalb der SFG und das Misstrauen der Militärbehörde führen zum Aus der SFG noch Mitte Juni 1945. Franz Spliedt kommt dem Verbot durch die Militärbehörde zuvor und teilt Captain Dwyer mit, dass die SFG nicht fortgeführt werde. Stattdessen werde es 13 Einzelgewerkschaften einschließlich einer Angestelltengewerkschaft unter einem Dachverband geben. So wird es auch realisiert; Spliedt wird Vorsitzender des Dachverbandes. Das Hamburger Modell sollte dann maßgebend für die britische Besatzungszone werden.

 

 

Aufruf Gründung ADGB/FDGB Aachen, März 1945

Überwindung der Richtungsgewerkschaften

In den Monaten April und Mai folgen auch in Frankfurt/M, Stuttgart und an vielen anderen Städten örtliche Gründungen von Gewerkschaften, jeweils mit dem Segen, aber auch Auflagen der Besatzungsbehörden. Programmatischer Grundtenor ist die Überwindung des Prinzips der Richtungsgewerkschaften in der Weimarer Republik und der ideologischen Spaltung der Arbeiterparteien. Ein Konsens, der sich bald als brüchig erweist.

Nicht einmal drei Wochen sind nach der Hinrichtung der sieben Arbeiter in Berlin vergangen, als am 2. Mai 1945 der Berliner Wehrmachtskommandant Helmuth Weidling vor der Roten Armee kapituliert. Mit der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde am 8. Mai 1945 durch Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel in Berlin-Karlshorst ist Deutschland vom Faschismus befreit, aber unter der Regie der vier Alliierten.

Berliner Gewerkschaften 1945: Modelle in Ost und West

Schon in den ersten Mai-Tagen leben in Berlin bislang verborgene Kontakte zwischen Gewerkschaftern aus der Ära der Weimarer Republik auf. Man trifft sich in durch Kriegsschäden ramponierten Privatwohnungen oder Geschäftsräumen, etwa beim einstigen Sekretär des Allgemeinen freien Angestelltenbundes (AfA), Erich Gniffke in Schöneberg. Am 16. Mai 1945 kommen bei Karl Germer in der Kantstraße 125 vor allem sozialdemokratisch orientierte Gewerkschafter des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) und des AfA-Bundes zusammen, Hermann Schlimme (ADGB) und Bernhard Göring (AfA); Ernst Lemmer von den Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaftern kommt später hinzu. Ein Gründerkreis etabliert sich. Er ist sich einig, die neuen Gewerkschaften sollten unabhängig von Parteien sein. Auch sollen in einer neuen Gewerkschaftsbewegung die alten Konflikte zwischen SPD und KPD überwunden werden. Anfang Juni suchen KPD-Funktionäre um Roman Chwalek, vor 1933 in der revolutionären Gewerkschaftsopposition tätig, den Kontakt zu Schlimme und Göring. Man will kooperieren. Der Gründerkreis umfasst nun acht Mitglieder, davon jeweils drei aus der SPD und KPD und zwei aus der CDU; er nennt sich „vorbereitender Gewerkschaftsausschuss“ und trifft sich im Neuen Stadthaus in der Parochialstraße.

Sowjetische Besatzungszone: FDGB-Gründung 1946

Mit dem Befehl Nr. 2 der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland vom 10. Juni 1945 hat Marschall G.K. Schukow für seine Besatzungszone die Zulassung von antifaschistischen Parteien und Gewerkschaften verfügt. Der vorbereitende Ausschuss veröffentlicht am 15. Juni einen Aufruf zur Gewerkschaftsgründung, beruft eine Versammlung für den 17. Juni im Stadthaus ein und erhält starken Zuspruch, auch für weitere Vorbereitungen zur Gründung eines Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) in Groß-Berlin mit 18 Fachverbänden. Im Juli beschließt der Ausschuss einen Satzungsentwurf für einen künftigen FDGB. Er nimmt für sich in Anspruch, für Groß-Berlin und für die Regionen der Sowjetisch Besetzten Zone zu sprechen, aber dort kommt es im Sommer 1945 unabhängig von Berlin selbst zu Gründungen eines FDGB. Erst zwei Delegiertenkonferenzen im Februar 1946 lassen den FDGB dann auch formal entstehen, einen FDGB Groß-Berlin und einen FDGB Zone. Der Konsens zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, sie hatten sich zuvor auf eine paritätische Besetzung der Gewerkschaftsgremien verständigt, ist von kurzer Dauer. Im FDGB in Berlin beginnt ein mehrjähriger Konflikt. Der Wiederaufbau der Gewerkschaften in Deutschland ist reich an Mut und Entschlossenheit, aber auch an Konflikten.

 


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