Deutscher Gewerkschaftsbund

25.09.2014
Bund-Länder-Finanzen

Stefan Körzell: Starke Schultern müssen endlich wieder mehr tragen

Marode Straßen, bröckelnde Schulen: Mit den derzeitigen Einnahmen können Bund und Länder die Infrastruktur nicht mehr instand halten. Dafür brauchen wir höhere Steuereinnahmen, meint DGB-Vorstand Stefan Körzell in der Frankfurter Rundschau. Das müsse bei den Verhandlungen zur Finanzordnung von Bund und Ländern berücksichtigt werden – zum Beispiel durch eine Wiederbelebung der Vermögensteuer.

Stefan Körzell

Stefan Körzell ist Mitglied im Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand. DGB

Jeder der Auto fährt, kennt die Schlaglöcher in den Straßen und die gesperrten Brücken. Jeder der seine Kinder morgens zur Schule bringt, sieht den weggebröckelten Putz am Schulgebäude. Das sind nur zwei Beispiele für den Mangel in diesem Land. Klar ist, dem Staat fehlt das Geld, um seine Aufgaben zu erfüllen. Und genau darum geht es, wenn dieser Tage zwei zentrale Zukunftsfragen die öffentliche Debatte prägen.

Die eine Zukunftsfrage sind die längst überfälligen Investitionen, die Bund, Länder, Kommunen leisten müssen – das sagen nicht nur Gewerkschaften, das steht in mehreren unabhängigen, und alarmierenden Gutachten. Dem gegenüber steht, dass in Kürze maßgebliche Regeln für die föderale Finanzierung auslaufen – also die Regeln, die man für diese Investitionen braucht: das betrifft die Verteilung der Umsatzsteuer und den Länderfinanzausgleich; zeitgleich wird die Schuldenbremse ab 2020 den Bundesländern jegliche strukturelle Neuverschuldung verbieten. Ebenso endet der Solidarpakt II, mit dem die ostdeutschen Länder gefördert werden. Schließlich läuft auch die Förderperiode der EU-Strukturfonds aus, womit die Fördermittel für strukturschwache Regionen zurückgehen dürften. Der 31. Dezember 2019 droht also im wörtlichen Sinne zur Deadline zu werden, falls keine akzeptablen Anschlusslösungen gefunden wurden.

Schlagloch

Die Straßen voller Schlaglöcher, die Brücken marode: Nur um die Verkehrsinfrastruktur instand zu halten müssen Bund und Länder pro Jahr mindestens sieben Milliarden Euro investieren. Elena Klink/BestSabel

Beide Themen – die fehlenden Investitionen und die Bund-Länder-Finanzen – sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Beides wird aber diskutiert, als handelte es sich um weit auseinanderliegende Parallelwelten. Die Neuordnung der Finanzen ist jedoch kein Selbstzweck und gehört zusammen mit der Frage nach dem Finanzbedarf geklärt.

Der 31. Dezember 2019 droht im wörtlichen Sinne zur Deadline für die föderale Finanzierung zu werden

Schließlich gilt das im Grundgesetz verankerte Leitprinzip, nach dem Bund und Länder gleichermaßen Anspruch darauf haben, dass ihre notwendigen Ausgaben gedeckt sind. Also gilt es zunächst, die notwendigen Aufgaben der verschiedenen staatlichen Ebenen zu bestimmen: Was muss staatlich finanziert werden? Was muss zuerst gemacht werden, was hat noch Zeit? Erst dann gewinnen wir eine Vorstellung davon, was Bund, Länder und Kommunen künftig leisten müssen und wie dafür die föderalen Finanzbeziehungen zu gestalten sind.

Aber schon jetzt ist klar, dass das vorhandene Geld nicht reichen wird. Über 300 Milliarden Euro müssen aufgewendet werden, um den Investitionsstau der öffentlichen Hand aufzulösen, wie das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) errechnet hat. Allein um die Verkehrsinfrastruktur auf Stand zu halten, müssen nach Erkenntnissen der parteiübergreifend zusammengesetzten Daehre-Kommission für die nächsten Jahre mindestens 7 Milliarden Euro investiert werden – pro Jahr. Dass solche Aufgaben maßgeblich von der öffentlichen Hand gestemmt werden sollten, ist nach Jahrzehnten der Privatisierung heute weitgehend wieder gesellschaftlicher Konsens. So hat der Bundesrechnungshof vielen Fällen der sogenannten Öffentlich Privaten Partnerschaft attestiert, dass durch sie die Staatshaushalte nicht entlastet wurden. Vielmehr gibt es heute ein bemerkenswertes Einvernehmen darüber, dass die notwendigen Investitionen nur mit gewaltigen Anstrengungen aller staatlichen Ebenen zu finanzieren sind –  mit Einschnitten an anderer Stelle wären sie nicht zu stemmen.

300 Milliarden sind nötig, um den Investitionsstau der öffentlichen Hand aufzulösen

Es führt kein Weg daran vorbei: Wir brauchen nachhaltig höhere Steuereinnahmen. Zwar hat die Diskussion darüber seit der Bundestagswahl Schwung verloren, doch ist es Selbstbetrug, ihr angesichts dessen, was erforderlich ist - zumal in Zeiten der Schuldenbremse - weiter aus dem Weg zu gehen. Selbst sehr optimistische Konjunkturprognosen lassen nicht solche zusätzlichen Mittel erwarten, wie sie gebraucht werden, um den Investitionsstau aufzulösen. Von den wichtigen Zukunftsaufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge bis hin zur Energiewende ganz zu schweigen. Für den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften steht fest, dass die Wiederbelebung der Vermögensteuer und eine weniger umgehungsanfällige Erbschaftsteuer dabei hohe Bedeutung haben. Die starken Schultern müssen endlich wieder mehr tragen. Die Erosion der Steuerbasis in den letzten Jahrzehnten ist schließlich darauf zurückzuführen, dass hohe Vermögen und Gewinne besonders großzügig verschont wurden. Da beide Steuern allein den Ländern zustehen, würden diese erheblichen Handlungsspielraum gewinnen ohne den Bund zu belasten – bessere Erfolgsaussichten also für einen besseren Länderfinanzausgleich.

Es führt kein Weg daran vorbei: Wir brauchen nachhaltig höhere Steuereinnahmen.

Wenn auf die Schuldenbremse im Grundgesetz nicht verzichtet werden soll, dann muss auch eine aufgabenangemessene Steuererhebung Verfassungsrang erhalten. Sonst wird unser Land auf einen systematischen Schrumpfkurs gesteuert.

Eine Integration des Soli-Zuschlages in die Einkommen- und Körperschaftsteuer kann die Probleme jedenfalls nicht lösen. Sie ginge zu Lasten des Bundes und würde die relativ finanzkräftigen Länder nur in geringem Maße entlasten. Die Finanzkraftunterschiede zwischen den Ländern und das Gezerre um den Länderfinanzausgleich wären in der Folge sogar noch größer. Das kann niemand wollen. Wenn weiter wesentliche Aspekte gesellschaftlich notwendigen Handlungsbedarfs unberücksichtigt bleiben, laufen Bund und Länder Gefahr, nach dem Prinzip „rechte Tasche, linke Tasche“ im besten Falle nur zu einer anderen Verteilung des Mangels zu gelangen. Im schlechtesten Falle droht ein Scheitern. Beides würde die solidarische bundesstaatliche Ordnung schwächen und kontraproduktive Fliehkräfte provozieren. Aktuelle Entwicklungen in Schottland, Katalonien und anderenorts mahnen uns, dies nicht zu unterschätzen.

Frankfurter Rundschau, 25. September 2014


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Alles neu ab 2020? Gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland

DGB-Position: Initiative Strukturpolitik 2020 plus

Dokument ist vom Typ application/pdf.

Der DGB-Forderungskatalog für eine innovative Strukturpolitik. Ende 2019 laufen der Solidarpakt II und der Länderfinanzausgleich aus. Die künftige Förderung muss nach regionaler Bedürftigkeit erfolgen, nicht nach Himmelsrichtungen. Wir müssen der Prämisse folgen, strukturschwache und vom Strukturwandel betroffene Regionen in Westdeutschland stärker als bisher einzubeziehen.