Deutscher Gewerkschaftsbund

14.11.2018

Italien, EU, Regierung und Gewerkschaften – (k)ein Verhältnis?

Italien hat seine Regierung wieder! Seit 1.Juni 2018 regiert eine Koalition zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung (MoVimento 5 Stelle, M5s) und der Lega Nord. Ihr gemeinsamer Nenner ist das jeweilige Selbstbewusstsein. „Siamo giovani e belli“ – Wir sind jung und schön – so der Leitspruch von M5s. Das Bündnis der Anti-Establishment-Partei M5s und der rechtspopulistischen Lega Nord ist ein Novum: Erstmals könnte ein EU-Gründerstaat auf Distanz zur Staatengemeinschaft gehen.

Bei der Wahl am 4. März 2018 erhielt die M5s 32% der Stimmen, die Lega Nord 17%. Der Koalitionsvertrag mit dem Titel „Vertrag für die Regierung des Wandels“ macht klar: Beide Parteien zählen sich nicht zum Establishment und sehen sich als Garant für den Richtungswechsel.

Italien/Italienische Flagge auf Holz

DGB/pockygallery/123RF.com

Das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Regierungen

Die drei großen Gewerkschaftsdachverbände Italiens sind CGIL, CISL und UIL, alle zusammen mit insgesamt 11 bis 12 Millionen Mitgliedern bei rund 22,3 Millionen unselbständig Beschäftigten. Das Wahlergebnis 2018, das zur Ablösung der Regierung der sozialdemokratischen „Partito Democratico“ unter Matteo Renzi führte, wird von der CGIL, der größten Gewerkschaft, als Beweis für die Entfernung der traditionellen Parteien von den Bürgerinnen und Bürgern gewertet. Als „rottamatore“ (= „Verschrotter“) der alten Eliten lehnte Renzi eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ab. Er trieb die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes mit dem „Jobs Act“ seit 2014 voran, der vor allem prekäre Arbeitsverhältnisse legalisierte.

Von vielen Mitgliedern der CGIL wird M5s als neue Linke Italiens eingestuft. 10% ihrer Mitglieder wählte die Lega Nord, 33% entschieden sich nicht für die PD, sondern für M5s, die der zunehmenden Verelendung durch Altersarmut, prekäre Arbeitsverhältnisse und Jugendarbeitslosigkeit den Kampf ansagte. Instrumente dafür sind Steuererleichterungen für Familien und den Mittelstand, ein Bürgereinkommen in Höhe von € 780 pro Monat und Person, die Reform der Renten für alle zur Bekämpfung der Altersarmut sowie eine BürgerInnenpension oberhalb der Armutsgrenze.

Der gewerkschaftlichen Sympathie schlägt jedoch Misstrauen seitens M5s entgegen: Die Bewegung sieht die Gewerkschaften als Teil des linken Establishments.

Das Gewicht des Alters

Während es M5s gelang, die typischen „Arbeiter“, ebenso wie die Jugend in prekären Arbeitsverhältnissen zu mobilisieren, stehen alle drei Gewerkschaften vor dem Problem des „Gewichts der Rentnerinnen und Rentner“. Die Mitgliedschaft der Personen unter 35 Jahren beläuft sich bei CGIL auf 19%, bei der CISL auf 16%, die UIL zeigt ein ähnliches Bild.

Das spiegelt sich in der politischen Ordnung wieder: Italien ist ein Sozialstaat für die Alten. Mehr als 70% der Sozialausgaben zielen auf Personen über 55 Jahre ab. Das Konzept der direkten Demokratie und der digitalen Mobilisierung von M5s erreicht hingegen sowohl die „Abgehängten“ auf regionaler Ebene, als auch die neuen „Arbeiterinnen und Arbeiter“ der „Gig-Ökonomie“, der digitalisierten Welt.

Somit steht den italienischen Gewerkschaften eine Herkulesarbeit bevor: Sie müssen ein Sprachrohr zu einer Regierungspartei finden, die zwar ihre Anliegen zu vertreten scheint, die sie aber nicht als Bündnispartner sieht. Und sie müssen neue Mitglieder rekrutieren, in einer Gesellschaft geprägt von Strukturwandel und zunehmender Individualisierung des Arbeitsplatzes.

Abfuhr des italienischen Haushaltsplans

Am 23. Oktober 2018 hat die EU-Kommission den italienischen Haushaltsplan abgelehnt und wendet sich damit erstmals gegen ein Gründungsmitglied der Europäischen Union. Ähnlich wie bei den Brexit-Verhandlungen verhärten sich die Fronten, radikalisiert sich die Sprache: „Europas Feinde sind diejenigen, die abgeschottet im Bunker von Brüssel sitzen“, so Innenminister Matteo Salvini von der Lega Nord.

Italien hat nun drei Wochen Zeit, um einen neuen Haushaltsplan für 2019 vorzulegen. Weigert sich die Regierung, eine Kursänderung vorzunehmen, so kann die EU-Kommission die Einleitung eines Defizitverfahrens empfehlen. Der italienische Staat ist angesichts einer jährlichen Refinanzierung von Krediten über etwa 400 Milliarden Euro auf das Vertrauen der Finanzmärkte angewiesen. Seit kurzem hat die Ratingagentur Moody’s die Bewertung der italienischen Kreditwürdigkeit auf nur noch eine Stufe über „Ramsch“ abgestuft.

So einhellig das Wirtschafts-Establishment die Pläne der italienischen Regierung ablehnt, so populär sind sie in der Bevölkerung. Mehr als zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler der beiden Regierungsparteien hält explizit die Finanz- und Wirtschaftspolitik für gut. In diesem Ergebnis drückt sich die tiefe Verbitterung vieler Italienerinnen und Italiener mit dem bisher zwischen den Alt-Parteien (unter den Ministerpräsidenten Mario Monti, Enrico Letta und Matteo Renzi) und den Euro-Partnern abgestimmten Kurs in der Haushaltspolitik aus: Die öffentlichen Investitionen in Straßen, Schienen oder Schulen haben sich seit 2010 fast halbiert. Die Wirtschaft wuchs im Jahr 2017 um etwa 1,9% und damit so stark wie lange nicht. Das wirkte sich aber weder auf die Arbeitslosenquote noch auf die Einkommen der italienischen BürgerInnen aus.

Euroreform: Es steht Spitz auf Knopf

Ein Euro-Konfrontationskurs mit Strafen ist jedoch unwahrscheinlich. Er würde Italien nicht davon abhalten, mehr Geld auszugeben. Auch darf der Euro nicht gefährdet werden: Italien ist zu groß, um gerettet zu werden, und beide Seiten wissen das.

Seit geraumer Zeit fordern deshalb die Gewerkschaften dringlich eine Euro-Reform. Der erreichte Wohlstand hat vor allem in der Eurozone nicht zu einer Teilhabe aller geführt, sondern zu einer dramatischen Zunahme der Einkommens- und Vermögensungleichheit. Es gibt kein Sicherheitsnetz für asymmetrische Schocks. Das hat die Krise 2008 vor Augen geführt, die bis heute in den betroffenen Mitgliedstaaten, so auch Italien, andauert. Ohne die Einführung einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik ist Europa auch für die nächste Krise nicht gewappnet. Diese bedarf eines wirkungsvollen makroökonomischen Anpassungsmechanismus (s. Beitrag „Mit sozialem Gesicht und fiskalpolitisch geeinter Stimme).

Ein solcher Mechanismus würde nicht nur eine ökonomische Aufwärtskonvergenz der Eurozonen-Staaten bewirken. Er wäre auch eine wirksame Medizin zur Bekämpfung der Ursachen des Euroskeptizismus.

Susanne Wixforth, DGB-BVV


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