Die Umverteilungspolitik der Kohl–Regierung geht auch in den Neunzigerjahren weiter, für die Gewerkschaften wird sie zur ständigen Herausforderung. Gleichzeitig wächst in der Bevölkerung die Angst vor Arbeitsplatzverlust und Armut. Die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle–Neumann prägt den Begriff der „Gerechtigkeitslücke“, die sich in Deutschland immer stärker öffnet.
DGB
Der deutsche Sozialstaat ist seit Beginn der neunziger Jahre zunehmend größeren Herausforderungen ausgesetzt. Dazu zählen die Globalisierung der Wirtschaft und die enormen Kosten des so genannten Aufbaus Ost sowie die zunehmende Aufweichung der Flächentarifverträge.
Länder und Kommunen beginnen mit der Deregulierung und Privatisierung der Infrastruktur. Nicht zuletzt entwickeln die Betriebe Rationalisierungsstrategien, die im Zuge der mikroelektronischen Revolution immer häufiger auch den Dienstleistungssektor betreffen.
Während das deutsche Volkseinkommen zwischen 1980 und 1995 real um ein Drittel anstieg, wuchsen die Nettoreallöhne in Westdeutschland im gleichen Zeitraum um weniger als ein Prozent. Ganz anders die Vermögenseinkommen, also Einkünfte aus Mieten und Pachten, Zinsen, Dividenden und Unternehmensgewinnen. Diese nahmen um 95 Prozent zu – Steuern und Inflation sind dabei bereits berücksichtigt.
Immer mehr Menschen spürten, wie sich eine wachsende „Gerechtigkeitslücke“ auftat, wie es die der Regierung Kohl durchaus nahestehende Demoskopin Elisabeth Noelle–Neumann ausdrückte. Diese Gerechtigkeitslücke zu schließen, gehört zu den wichtigsten gewerkschaftlichen Aufgaben.