Deutscher Gewerkschaftsbund

10.05.2019
Deutsch-Polnisches Gewerkschaftsforum

Zuckerbrot und Peitsche in Polen

In den letzten Jahren ist Polen in Europa vor allem durch die umstrittene Justizreformen aufgefallen. Weniger bekannt ist, dass die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Landes eine der erfolgreichsten in Europa ist. Innenpolitisch gelingt es der Regierungspartei PiS derzeit, die gute wirtschaftliche Entwicklung mit sozialpolitischen Maßnahmen zu begleiten. Im Vorfeld der Europawahlen war dies Thema beim diesjährigen deutsch-polnischen Gewerkschaftsforum.

Deutschland / Polen

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Das Deutsch-Polnische Gewerkschaftsforum von Friedrich-Ebert-Stiftung, DGB, OPZZ, Solidarnosc und FZZ fand vom 9.-10. April 2019 in Warschau statt. Neben dem traditionellen Austausch in einem ersten Panel über die aktuelle politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Polen und Deutschland stand das Forum dieses Jahr unter dem Zeichen der Wahlen zum Europäischen Parlament am 26. Mai 2019.

Die deutschen Teilnehmenden lernten, dass Polens wirtschaftliche Entwicklung in 2018 durchaus positiv verlaufen ist mit einem BIP-Wachstum von 5,1 Prozent. Die Beschäftigungsquote ist auf einen Rekordstand gestiegen, die Arbeitslosigkeit mit 5,7 Prozent im Landesdurchschnitt auf einen historischen Tiefstand nach der Wende 1990 gefallen. Die PiS-Regierung hat seit 2015 den Mindestlohn zwei Mal erhöht. Der monatliche Mindestlohn beträgt ab Anfang 2019 525 €/Monat brutto (2018: 490 €) bzw. 3,43 €/Stunde brutto (2018: 3,20 €). Dies entspricht rund 47 Prozent des Durchschnittlohns. Auch andere Kennziffern der polnischen Volkswirtschaft mögen positiv überraschen: der Außenhandelssaldo ist seit 2015 positiv, die Staatsschuldenquote (öffentliche Verschuldung gemessen am BIP) aufgrund des guten Wachstums auf 51 Prozent zurückgegangen.

Brummende Wirtschaft, volle Kassen, gute Sozialpolitik?

Im Bereich der Sozialpolitik hat die PiS-Regierung (Partei „Recht und Gerechtigkeit“) in den vergangenen Jahren den wohl größten Bruch mit dem Grundkonsens der Nachwendezeit vollzogen und eine aktive Sozialpolitik betrieben, die ökonomisch eine deutlich konjunkturbelebende Wirkung entfaltet hat. Wichtigster Aspekt war die Einführung eines Familien-Kindergeldes von ca. 120 € ab dem zweiten Kind im Jahr 2016. Davon profitieren 3,7 Millionen Kinder bzw. deren Eltern. Auch das Steuersystem wurde so reformiert, dass wohlhabende PolInnen mehr, sozial schwächere PolInnen aber weniger Steuern zahlen.

Die gute Wirtschaftslage verschafft Haushaltsspielräume, die von der PiS sozialpolitisch genutzt werden. So kündigte die Regierungspartei im Februar 2019 weitere sozialpolitische Maßnahmen im Wert von ca. 10 Mrd. € an, darunter eine dreizehnte Rentenauszahlung von ca. 256 € im Mai 2019, also kurz vor den Wahlen zum Europäischen Parlament.

Also alles gut? Nicht ganz. Wie ambivalent die polnische Regierung vorgeht, sieht man etwa beim landesweiten Lehrerstreik, der seit Anfang April der Regierung den bislang größten Arbeitskampf seit ihrem Amtsantritt bescherte. Die ZNP, die größte polnische Lehrergewerkschaft, fordert für das laufende Jahr eine Gehaltserhöhung von insgesamt 30 Prozent in zwei Schritten. Sie hatte den Streik seit Monaten vorbereitet, Plakate aufgehängt und sich mit einer Abstimmung in den Schulen einer breiten Unterstützung für den Streik versichert. In der Öffentlichkeit ist außerdem eine Debatte über den materiellen und sozialen Status von LehrerInnen entbrannt. Ein Einlenken der PiS-Regierung ist nicht abzusehen, im Gegenteil. Inzwischen hat die ZNP den Streik bis zum 1. September (traditionell der Schulbeginn in Polen) ausgesetzt.

Ambivalente Strategie der PiS

Wohltaten für die Unterstützenden einerseits und eine harte ablehnende Haltung gegen Abweichende andererseits scheint das bevorzugte Herrschaftsinstrument der PiS-Regierung zu sein. Nötigenfalls schaltet die Regierung den Rechtsstaat aus – weswegen die Europäische Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet hat.

In den Diskussionen kristallisierte sich eine durchaus facettenreiche Auffassung von der Rolle der Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft heraus: Während in Deutschland die Einheitsgewerkschaft Modell ist und der der DGB parteipolitisch unabhängig, als Akteur aber natürlich nicht unpolitisch ist, steht die Solidarnosc in Polen der Regierungspartei PiS nahe, hingegen OPZZ und FZZ sozialdemokratische Nähe aufweisen.

Vor allem der Umgang mit Populismus und Nationalismus beschäftigt mehr und mehr die polnischen und deutschen Gewerkschaften. Peter Scherrer, stellvertretender Generalsekretär des EGB, bereicherte die Debatte mit einem Referat zum Umgang von Gewerkschaften mit rechten Tendenzen in Betrieben. Für Gewerkschaften ist es lebenswichtig, sich mit Rechtsextremismus in Europa auseinanderzusetzen. In der Politik der rechten Parteien hat die Unabhängigkeit der Gewerkschaften keinen Platz. Es werden Grundwerte wie Gleichstellung der Geschlechter, freie Meinungs- und Willensbildung und internationale Zusammenarbeit, grenzüberschreitende Solidarität in Frage gestellt.

Um die eigenen Mitglieder zur Wahl zum Europäischen Parlament zu mobilisieren, aber auch um darüber hinaus ein Zeichen für ein soziales Europa zu setzen, unterzeichneten die Gewerkschaftsvorsitzende eine gemeinsame Erklärung:

Gemeinsame Erklärung von DGB, OPZZ, NSS “SOLIDARNOŚĆ”, FZZ (PDF, 496 kB)

Gemeinsame Erklärung von DGB, OPZZ, NSS “SOLIDARNOŚĆ”, FZZ vom deutsch-polnischen Gewerkschaftsforum am 9./10. April 2019 in Warschau: Für ein besseres Europa für Beschäftigte nach der Europawahl.


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