Niedrige Mieten in bester Lage – von Wiens Wohnungsmarkt können deutsche Mieterinnen und Mieter nur träumen. Das Geheimnis: Wien investiert jedes Jahr hunderte Millionen in den sozialen Wohnungsbau. Private Investoren gibt es kaum.
DGB/Kerstin Deppe
Zwei Zimmer, Wohnküche und Balkon, in einem schicken Neubau, nur 15 Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt. Kaltmiete, inklusive Betriebskosten: 367 Euro im Monat. Sogar einen Pool und ein Kino gibt es im Keller. Das Sonnwendviertel in Wien besteht aus 2.000 solchen, geförderten Mietwohnungen.
62 Prozent aller Wiener leben heute in einer Wohnung mit gedeckelter Miete. Die durchschnittliche Kaltmiete von Gemeindewohnungen, inklusive Betriebskosten, lag 2016 bei 6,50 Euro pro Quadratmeter. Etwas modernere Wohneinheiten kosten maximal 7,50 Euro. 220.000 Wohnungen gehören der Stadt Wien, an weiteren 200.000 Wohnungen ist sie beteiligt. Die kommunale Hausverwaltung Wiener Wohnen ist damit die größte Europas. Private Eigentumswohnungen sind dagegen eher die Seltenheit. So zahlten die Wiener 2017 durchschnittlich nur 9,60 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter– fast drei Mal weniger als die Bewohner von Paris.
Anspruch auf eine Gemeindewohnung hat jeder erwachsene Wiener, der weniger als 45.000 Euro netto im Jahr verdient und einen Bedarfsgrund nennt. Als bedürftig gelten zum Beispiel schon Paare, die aus zwei kleinen Wohnungen in eine größere Wohnung ziehen wollen. Die Hürden sind bewusst niedrig: „Die Sozialbaupolitik in Wien basiert auf der Zusage, dass Wohnen ein Menschenrecht ist.“, sagt Kathrin Gaal, Amtsführende Stadträtin für Wohnen in Wien. Drei Viertel aller Wiener erfüllen die Voraussetzung für eine geförderte Wohnung. So wohnen im Sonnwendviertel und den anderen Gemeindewohnungen Menschen aus allen Schichten und jeden Alters Tür an Tür. Keine Spur von Ghettos, keine Spur von Gentrifizierung. Hier lebt jeder mit jedem.
So wie in Aspern. Der Stadtteil im Nordosten Wiens ist eines der größten Stadtentwicklungsgebiete Europas und will der Prototyp für modernen und ökologischen Städtebau werden. Hier sollen einmal 20.000 Menschen in überwiegend geförderten Wohnungen wohnen. Die Idee: Leben und Arbeiten, Tür an Tür. In vielen Wohnhäusern befinden sich Einkaufsläden, Restaurants oder Werkstätten im Erdgeschoß. Bereits jetzt haben sich über 150 Unternehmen in Aspern niedergelassen. Es gibt große und kleine Betriebe, Start-ups, Traditionsunternehmen, Einzelhändler und Industriekonzerne. Spielplätze, eine Musikhochschule, Kindergärten, ein Ärztezentrum und viele Grünflächen sorgen für eine hohe Lebensqualität. In Mehrfamilienhäusern, am Ufer eines kleinen Sees, in der Mitte des Viertels, wohnen schon heute 5.000 Menschen.
Wie viele deutsche Großstädte kämpft auch Wien mit steigenden Mieten. In den vergangenen Jahren zog es immer mehr Menschen in die österreichische Hauptstadt. Doch anders als in Deutschland existieren in Wien institutionelle Strukturen, die den Wohnungsmarkt regulieren und vor privaten Investoren schützen. Der soziale Wohnungsbau ist Teil der Wiener Identität. Schon nach Ende des ersten Weltkriegs wurde Grundstein für die heutige Wohnungspolitik gelegt: Heimkehrende Soldaten und Kriegsflüchtlinge sorgten auch damals für eine schnell wachsende Stadtbevölkerung. Obdachlose gehörten zum Stadtbild. Die Stadt erkannte das Problem und baute zwischen 1923 und 1924 Gemeindewohnungen für 220.000 Menschen.
Seitdem hat die Stadt nichts verkauft. Im Gegenteil: Jedes Jahr gibt die Wiener Regierung 600 Millionen Euro für den Bau neuer Wohnungen aus. Das Geld kommt in gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. „In Wien ist es gesellschaftlich weitgehend akzeptiert, dass 0,5 Prozent vom Bruttolohn für die Wohnungsbauförderung abgezogen werden“, sagt Maximilian Fuhrmann, Referatsleiter für Wohnungs- und Verbraucherpolitik beim DGB. Auch deshalb sei das Wiener Modell nicht eins-zu-eins auf deutsche Städte wie Berlin übertragbar, so Fuhrmann. „Wir können aber daraus lernen“.
Deutsche Kommunen sahen lange keinen Grund, neue Sozialwohnungen zu bauen. Im Gegenteil: Seit den 1980er Jahren haben sie einen großen Teil davon verkauft. Die Stadt Berlin beispielsweise hat 2003 beschlossen, den Bau neuer Sozialwohnungen nicht mehr zu fördern. In den Jahren danach wurden kaum neue Wohnungen in Mehrfamilienhäusern gebaut. 2006 waren es, laut einer Studie der österreichischen Arbeitskammer, in ganz Berlin nur 452.
Ein ähnliches Bild gibt es in den 77 anderen deutschen Großstädten. Dort fehlen heute fast 2 Millionen bedarfsgerechte Wohnungen. Steigende Mieten und Ghettoisierung sind die Folge. Alteingesessene werden in die Randbezirke gedrängt, während die Innenstädte den Reichen gehören. Die Zahl der Obdachlosen steigt bundesweit. Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen wird zu einer Schlüsselaufgabe für die deutsche Politik, um das Vertrauen der Menschen zurück zu gewinnen.
Während Deutschland noch über den richtigen Weg diskutiert, baut Wien fleißig weiter. Allein im Sonnwendviertel sollen bis zum Sommer 2019 vier neue Wohnhäuser mit mehr als 100 Wohnungen entstehen. Mit niedriger Miete in bester Lage.