Deutscher Gewerkschaftsbund

25.08.2009
Mindestlohn-Interview

Neues aus dem Bus: Im Gespräch mit Olaf Scholz (SPD)

Olaf Scholz (SPD), Claus Matecki (DGB)

Olaf Scholz (SPD), Claus Matecki (DGB) WWW.SCHOELZEL.NET

„Mindestlöhne werden helfen, die soziale Schere wieder etwas zu schließen.“, betonte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) im Gespräch mit Claus Matecki, Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes. Es müsse klar sein, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für Ihre Anstrengungen auch Anerkennung bekämen, „nicht zuletzt durch einen anständigen Lohn“, so Scholz weiter. „Wenn wir damit das Versprechen, dass Anstrengung sich auszahlt, wieder überall zur Realität machen, dann bringt das soziale Gerechtigkeit und stärkt die soziale Marktwirtschaft.“

Olaf Scholz ist SPD-Bundestagsabgeordneter und seit November 2007 Bundesminister für Arbeit und Soziales. Zuvor war er Generalsekretär der SPD und erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. 

Wie finden Sie die Idee mit der Forderung nach 7,50 EUR auf dem Bus, in dem wir fahren?

Olaf Scholz: Das ist eine ganz wichtige Forderung. Denn dass Arbeit ordentlich bezahlt wird, ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für den Wert der Produkte und Dienstleistungen „Made in Germany“. Wir werden unseren Wohlstand und unseren Erfolg als Exportweltmeister in Zukunft nur sichern können, wenn wir die Einstellung unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten, dass sie ihre Arbeit nicht nur als Job sehen, sondern mit Fleiß, Einsatz und Ehrgeiz bei der Sache sind. Das werden wir nur schaffen, wenn klar ist, dass man für seine Anstrengung auch Anerkennung bekommt – nicht zuletzt durch einen anständigen Lohn. Ich denke, 7,50 Euro sind da zurzeit eine sinnvolle Orientierungsmarke.

Was sind die Gründe für die enorme Ausweitung des Niedriglohnsektors in Deutschland, der mittlerweile 22 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse umfasst?

Olaf Scholz: Stärkerer internationaler Wettbewerbsdruck, zurückgehende Tarifbindung und zum Teil offenkundiger Missbrauch gesetzlicher Regelungen wie in der Leiharbeit haben diesen Bereich leider deutlich anwachsen lassen. Ohne Mindestlöhne geht es nicht mehr.

Welche Position vertritt die SPD im Hinblick auf die Bundestagswahl 2009 bzgl. Existenz sichernder Mindestlöhne?

Olaf Scholz: Wir haben in der Großen Koalition gegen den Willen der Union eine Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes durchgesetzt, und ich bin zuversichtlich, dass wir bis Jahresende in vielen neuen Branchen Mindestlöhne haben werden. Damit haben wir dann die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Mindestlöhne geschützt werden, vervielfacht. Mit dem neu gefassten Mindestarbeitsbedingungengesetz haben wir jetzt auch die Möglichkeit, dort Mindestlöhne voranzutreiben, wo die Sozialpartner dazu aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage sind. Am 15. September soll sich das neue Gremium konstituieren. Unser Ziel bleibt aber ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn. Eine Mindestlohnkommission soll die Grenze festsetzen, unter die Löhne nicht fallen dürfen.

Verstoßen Niedriglöhne gegen die Garantie des Grundgesetzes, die Würde des Menschen sei unantastbar?

Olaf Scholz: Das ist ja wohl eher eine rhetorische Frage, oder? Ich sage es mal so: Wenn der Papst in seiner jüngsten Enzyklika Niedriglöhne als „Verletzung der Würde der menschlichen Arbeit“ brandmarkt, steht er sicher in vollem Einklang mit dem Grundgesetz.

Ist die soziale Marktwirtschaft mit Niedriglöhnen vereinbar?

Olaf Scholz: Natürlich nicht. Eines der Grundversprechen der sozialen Marktwirtschaft ist: Wer sich anstrengt, muss etwas davon haben. Diese Forderung ist für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer richtig. Aber wenn Leistung und Lohn eklatant auseinanderklaffen, gilt sie umso stärker. Darum werden wir im Einsatz für Mindestlöhne nicht nachlassen. Und darum setzen wir uns übrigens auch umgekehrt für eine Begrenzung von Managergehältern ein.

Würde die soziale Marktwirtschaft durch flächendeckende Lohnuntergrenzen unsozial?

Olaf Scholz: Ehrlich gesagt, lieber wäre mir immer, die Gewerkschaften wären so stark, dass sie flächendeckend ordentliche Löhne durchsetzen können. Dahin müssen wir wieder kommen. Mindestlöhne werden helfen, die soziale Schere wieder etwas zu schließen. Wenn wir damit das Versprechen, dass Anstrengung sich auszahlt, wieder überall zur Realität machen, dann bringt das soziale Gerechtigkeit und stärkt die soziale Marktwirtschaft.

20 von 27 EU-Staaten sichern Lohnuntergrenzen über Mindestlöhne. Sind die alle schlecht beraten?

Olaf Scholz: Es scheint, dass einige glauben, wir wären in Deutschland klüger als alle anderen. Ich gehöre zu denen, die bereit sind, von anderen zu lernen: In Großbritannien etwa hat die Einführung von Mindestlöhnen sich positiv auf die Beschäftigung ausgewirkt und die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen deutlich verkleinert. Das finde ich eine ermutigende Erfahrung. Ich setze darauf, dass beim Mindestlohn hierzulande die Einsicht Schritt für Schritt wächst.

Kann der deutsche Arbeitsmarkt angesichts der bevorstehenden Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU ab Mai 2011 auf verbindliche Lohnuntergrenzen verzichten?

Olaf Scholz: Wir müssen keine Angst vor 2011 haben. Wir haben alle Maßnahmen getroffen, um unfaire Konkurrenz zu verhindern. Es ist der richtige Weg, auf steigende Löhne bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Mittel- und Osteuropa zu setzen. Dabei helfen selbstverständlich auch Mindestlöhne, die in Deutschland für alle, die hier arbeiten, verbindlich gelten, egal woher sie kommen.

Sollte es für die Zeitarbeit auch einen Mindestlohn geben?

Olaf Scholz: Ja. Wir haben sogar schon im Koalitionsausschuss eine Lohnuntergrenze für die Zeitarbeit vereinbart. Ich habe nacheinander fast zehn Vorschläge für eine Umsetzung dieser Vereinbarung gemacht, am Ende gab es sogar eine Einigung in der Bundesregierung. Dann hat die CDU/CSU-Fraktion offen ihr Wort gebrochen und gesagt, dass sie nicht mehr zu ihrer Zusage steht. Klar ist: Ohne die SPD läuft hier gar nichts, jeder Fortschritt muss der Union mühsam abgerungen werden.

Berücksichtigt die Politik bei ihren Konjunkturprogrammen die tatsächlich Bedürftigen, z. B. Niedriglohnbeschäftigte?

Olaf Scholz: Ja, und nicht nur am Rand. Der Kinderbonus und die Senkung des Krankenkassenbeitrags wandern doch direkt in den Geldbeutel. Steuererleichterungen oder die Umweltprämie kommen für viele hinzu. Nicht zu vergessen: Die kommunalen Investitionen in Infrastruktur, Kinderbetreuung und Bildung. Davon profitieren doch all die, die auf gute staatliche Einrichtungen angewiesen sind.

Es werden Rettungsschirme für die Wirtschaft gespannt. Sind Lohnuntergrenzen nicht auch Rettungsschirme für die Betroffenen?

Olaf Scholz: Einen Schutzschirm für die Betroffenen haben wir insbesondere mit der Kurzarbeit gespannt. Mehr als 1,4 Mio. Arbeitnehmer profitieren zur Zeit, mehrere hunderttausend Arbeitsplätze wurden gesichert.

Wir danken Olaf Scholz für das Gespräch.


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