Das Streikrecht umfasst die Befugnis einer streikführenden Gewerkschaft, Arbeitnehmer unmittelbar vor dem Betreten des Betriebes anzusprechen, um sie für die Teilnahme am Streik zu gewinnen. Eine solche Aktion kann mangels anderer Mobilisierungsmöglichkeiten auch auf einem vom bestreikten Arbeitgeber vorgehaltenen Firmenparkplatz vor dem Betriebsgebäude zulässig sein.
DGB/Werner Bachmeier
Der Onlineversandhändler Amazon betreibt in einem außerhalb des Ortes gelegenen Gewerbegebiet ein Versand- und Logistikzentrum. Zu dem gepachteten Gelände gehören ein Betriebsgebäude, das über einen zentralen Eingang zugänglich ist, und ein ca. 28.000 qm großer Parkplatz. Im September 2015 wurde Amazon an zwei Tagen bestreikt. Die streikführende Gewerkschaft ver.di baute an beiden Tagen auf dem Parkplatz vor dem Haupteingang Stehtische und Tonnen auf und postierte dort ihre Vertreter sowie streikende Arbeitnehmer. Diese verteilten Flyer und forderten die zur Arbeit erscheinenden Arbeitnehmer zur Teilnahme am Streik auf. Der Arbeitgeber verlangte die künftige Unterlassung solcher Aktionen. Auch mit einer Verfassungsbeschwerde hatte Amazon keinen Erfolg.
Amazon wird durch Streikmaßnahmen auch auf dem Firmenparkplatz unmittelbar vor dem Betrieb nicht in seinen Grundrechten auf Eigentum und unternehmerische Handlungsfreiheit verletzt. Die Gewerkschaft ist auf die Möglichkeit angewiesen sei, Beschäftigte ansprechen zu können, um ihre in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz geschützte Koalitionsfreiheit auszuüben. Dazu gehört auch, die Arbeitswilligen vor Antritt der Arbeit persönlich anzusprechen, um sie zum Streik mobilisieren zu können. Damit verbundene Einschränkungen muss Amazon hinnehmen.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. Juli 2020 – 1 BvR 719/19, 1BvR 720/20