Was tun, wenn Neonazis aus dem eigenen Wohnort ein "nationalsozialistisches Musterdorf" machen wollen? Vertreiben lassen, schweigen, mitlaufen? Für Birgit und Horst Lohmeyer keine Option: Die überzeugten Gewerkschafter organisieren jedes Jahr auf ihrem Hof ein buntes Festival für Demokratie und Toleranz. In diesem Jahr waren wir dabei - und haben mit Birgit Lohmeyer über ihr Engagement gesprochen.
DGB/Kerstin Deppe
forstrock.de: Jamel rockt den Förster - Festival für Demokratie und Toleranz
Zwei Menschen mit Mut und Engagement: Birgit und Horst Lohmeyer organisieren seit zwölf Jahren das Festival "Jamel rockt den Förster" - gegen viele Widerstände und mit wachsendem Erfolg. Ihr Ziel: Sich nicht vertreiben lassen, Gegenwehr zeigen, lautstark gegen rechte Hetze und Propaganda protestieren.
Alles beginnt im Jahr 2004, als das Ehepaar Lohmeyer - sie Schriftstellerin, er Musiker - nach Jamel zieht und den idyllisch am Ortsrand gelegenen Forsthof übernimmt. In den folgenden Jahren siedeln sich mehrere Nazifamilien im Dorf an und fangen an, es nach ihrem völkischen Ideal zu prägen. Andersdenkende werden drangsaliert und verfolgt
2007 beschließen die Lohmeyers, mit öffentlichen Veranstaltungen gegen die Abschottung des Dorfes vorzugehen. Sie öffnen zum ersten Mal die Pforten ihres Forsthofs und veranstalten ein Open Air Festival unter dem Motto "Rockmusik für Demokratie und Toleranz". Ein paar Jahre später stehen Größen wie Herbert Grönemeyer, Die Toten Hosen und Die Ärzte bei ihnen auf der Bühne. Für sein Engagement wird das Ehepaar Lohmeyer vielfach ausgezeichnet. Schirmherrin des Festivals ist Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig.
INTERVIEW
In einem Dorf, das durch gezielte Besiedelung innerhalb kürzester Zeit einen Bewohneranteil rechtsradikaler Familien von 95 Prozent bekommt, bleiben einem nur zwei Optionen: Wegsehen, den Kopf in den Sand stecken, also quasi Mitlaufen. Oder sich offensiv gegen die Gesinnung dieser Neubürger und deren Agitationen aussprechen. Wir tun das in Form von verschiedenen Kulturveranstaltungen, weil das unser Metier ist.
Als 2015 – knapp zwei Wochen vor unserem damaligen Rockfestival – unsere große Scheune aufgrund von Brandstiftung komplett abbrannte, waren wir zunächst stark traumatisiert. Wir beschlossen aber sofort: Das Festival findet trotzdem statt! Es waren dann riesige Kraftanstrengungen nötig, um in kürzester Zeit den Brandschutt vom Festivalgelände zu entfernen, zerstörtes Material zu ersetzen und parallel mit Anfeindungen, Verleumdungen und Morddrohungen psychisch umzugehen. Doch uns haben auch viele positive Zuschriften erreicht, und sehr viele Menschen haben Geld gespendet, um uns zu unterstützen. Auch meine Gewerkschaft ver.di hat eine Solidaritätsadresse veröffentlicht und Spenden gesammelt.
Nach dem Brandanschlag bekamen wir einen Anruf des Managements der Band "Die Toten Hosen". Zunächst dachten wir an einen Fakeanruf – schließlich erhielten wir zu der Zeit viele Anrufe von Trittbrettfahrer*innen“ der Täter*innen, die überhaupt nicht wohlmeinend, sondern nervig bis bedrohlich waren. Doch der Anrufer insistierte und fragte sehr vorsichtig an, ob wir uns vorstellen könnten, dass "Die Toten Hosen" auf dem diesjährigen Festival einen Benefizauftritt spielten. Wir waren geplättet und sagten sofort zu. Das Festival wurde ein riesiger Erfolg. Seitdem hat uns die Band auch weiterhin mit sehr viel Manpower unter die Arme gegriffen, sodass wir in den Folgejahren all die großen Stars bei uns zu Gast hatten, die uns, ohne Gage dafür zu bekommen, in unserem Anliegen unterstützen.
Reiner Hoffmann besucht das Festival "Jamel rockt den Förster"
Über meine Mitgliedschaft bei ver.di und meine Tätigkeit als Redakteurin des Mitgliederzeitschrift der GEW MV habe ich gute Kontakte zur hiesigen Gewerkschaftsszene. Und mein Mann Horst ist seit Urzeiten Mitglied der IG Metall - und als Musiker befreundet mit dem stellvertretendem DGB Nord-Chef, der Hobbymusiker ist. Es gibt also vielfältigste Anknüpfungspunkte zu gewerkschaftlichen Akteur*innen.
Gewerkschaften sind für mich eine unabdingbare Größe im gesamtgesellschaftlichen Kräfteverhältnis. Sie bieten den einzelnen Mitgliedern umfangreichen arbeitsrechtlichen Schutz, ein gemeinsames Podium für gesellschaftpolitische Aktionen und wirken als Interessenvertretung aller Arbeitnehmer*innen gegenüber Arbeitgeber*innen, Lobbyist*innen und Politik.
Da ging es um Verträge mit Verlagen, die einer Prüfung bzw. Korrektur bedurften. Die Rechtsberatung war dabei sehr hilfreich. Insofern bin ich nicht als Arbeitnehmerin Nutznießerin der Gewerkschaftsmitgliedschaft, sondern als Freiberuflerin.
Dann beginnt die Phase der Nachbereitung. Wir bezahlen Rechnungen, verfassen Dankesschreiben und – posts, treffen Absprachen mit dem Organisationsteam, den Ordnungsbehörden, der Polizei und den Lieferant*innen für das nächste Festival. Außerdem muss die Finanzierung des nicht-kommerziellen Festivals geplant werden. Parallel dazu betreiben wir unsere Onlinekommunikation kontinuierlich weiter, auf Facebook, Instagram und unserer Website. Wir beantworten Zuschriften von Interessierten, Künstler*innen und Medienvertreter*innen und reisen durchs Land, um unser Engagement vorzustellen - zum Beispiel auf Tagungen, in Schulen und Universitäten.
Es gibt also kein tiefes Untätigkeitsloch, in das wir nach dem Festival fallen. Wobei wir schon merken, dass die Festivaltage für uns körperlich sehr anstrengend sind, wir uns also auch ein wenig erholen müssen in den Wochen danach. Dabei zehren wir natürlich stark von den vielen tollen und herzlichen Begegnungen auf dem Festivalgelände, dem Zuspruch, den wir von allen Seiten bekommen, dem universellen „Macht weiter so“.
Für ganz Deutschland wünschen wir uns, dass immer mehr Menschen gegen rechte Hetze, völkischen Rassismus und rechtsradikale Propaganda aufstehen und lautstark unsere menschlichen Grundrechte, Freiheit und Demokratie verteidigen. Es ist höchste Zeit!
Auf deutschem Boden darf nie wieder eine Diktatur entstehen – wehret den Anfängen!