Deutscher Gewerkschaftsbund

27.04.2020
Das einblick-Interview mit Anja Piel

"Solidarität funktioniert"

Corona-Krise, systemrelevant Beschäftigte und die Rolle von Gewerkschaften

Anja Piel startet im Mai im DGB-Vorstand. Im einblick-Interview erklärt sie, was wir aktuell aus der Corona-Krise lernen können, was sich danach ändern muss und was sie in den kommenden zwei Jahren erreichen will.

Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied

DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel DGB/Simone M. Neumann

Wir sind mitten in der Corona-Pandemie. Wie sieht dein Alltag aus?

Er hat sich genauso verändert wie bei allen anderen Leuten auch. Die sozialen Kontakte sind deutlich weniger. Solidarität und Zusammenhalt drücken wir alle im Moment am besten dadurch aus, dass wir auf Abstand zueinander bleiben. Das ist für mich, glaube ich, genauso ungewohnt wie für alle anderen Menschen auch. Aber die Kurve flacher zu halten ist ein gemeinsames Anliegen. Das trifft uns auch beim DGB, denn Schwächere zu schützen ist unser aller Ziel.

Was lernen wir aus der aktuellen Situation?

Viel erreichen, das ist tatsächlich auch in Krisen möglich. Was mich besonders beeindruckt ist die breite Solidarität. Es gibt so viele Beispiele. Toll finde ich, dass viele junge Leute, auch meine Kinder, Zettel in den Hausflur kleben und den Risikogruppen signalisieren: wenn ihr irgendetwas braucht oder es etwas gibt, das wir für euch tun können, meldet euch. Wir machen das. Solidarität funktioniert!

Irgendwann haben wir die aktuelle Krise überstanden. Was sollte sich dann ändern?

Das Klatschen auf den Balkonen und der Respekt, der gezeigt wird, müssen nach der Krise tatsächlich Konsequenzen zeigen. Wenn auf dem Lohnzettel der systemrelevanten Berufe dauerhaft mehr steht – dann war der Applaus ernst gemeint. In dieser Krise wird deutlich, dass im Gesundheitssystem Profitorientierung nicht in den Mittelpunkt gehört. Das funktioniert nicht. Wenn das eine der Lehren ist, die wir als DGB nach der Krise transportieren, wäre das die maximale Solidarität mit den Beschäftigten in der Pflege und im Gesundheitswesen. Denn genau dort sind Löhne nicht armutsfest. Den Fachkräftemangel in diesem Feld haben wir als Gesellschaft selbst produziert. Es sind übrigens die Berufe, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, die so schlecht bezahlt werden. Eine Lehre aus der Krise sollte auch sein, einen Blick auf den gender pay gap zu richten. Warum wird da, wo hauptsächlich Frauen arbeiten, so schlecht bezahlt? Das wäre für mich frauenpolitisch ein wichtiger und unerlässlicher Schritt für mehr Gleichberechtigung und mehr Gleichstellung.

In dieser Krise wird deutlich, dass im Gesundheitssystem Profitorientierung nicht in den Mittelpunkt gehört. Das funktioniert nicht.

Du startest im Mai im DGB-Vorstand. Was ist die Herausforderung für dich?

Die aktuelle Krise birgt das große Risiko, dass der Arbeitsmarkt am Ende anders aussieht und es unter Umständen auch zu Härten kommen kann. Mir ist wichtig, dass wir die Eindämmung der prekären Beschäftigung wieder verstärkt auf die Agenda nehmen. Bis zur Krise war das Thema Transformation bereits zentral. Die Krise könnte die Transformation nun beschleunigen. Aber das ist kein Selbstläufer. Da kommen dem DGB und den Gewerkschaften eine wichtige Rolle zu, dieses zu lenken. Gerade nach der Krise wird für uns wichtig sein, dass keine Kollegin und kein Kollege abstürzt und in existenzielle Nöte kommt. Wir sind diejenigen, die durchsetzen müssen, dass Weiterbildung und Weiterqualifikation im Mittelpunkt der Transformation bleiben. Nur so kann es funktionieren.

Was willst du erreichen?

Die Kolleginnen und Kollegen in den Pflegeberufen und in der Gesundheit sollen tatsächlich die gesellschaftliche Anerkennung bekommen, die ihnen zusteht. Das ist für mich ein wichtiges Ziel.
Meine Vorgängerin Annelie Buntenbach leistet gerade in der aktuell schwierigen Situation eine unglaublich wertvolle Arbeit, so dass es auch eine Fortsetzung und ein Aufnehmen ihrer Arbeit sein wird. Erst kürzlich hat die Rentenkommission Empfehlungen vorgelegt. Jetzt müssen wir schauen, dass daraus die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Rente ist ein wichtiges Thema. Da sind wir als DGB in der Pflicht diese Debatte, so schnell die Krise das zulässt, wieder aufzunehmen. Die Debatte um die Rente muss weiter geführt werden!
Wir müssen natürlich mit Blick auf die aktuelle Lage schauen, dass Maßnahmen, die jetzt in der Krise mitgetragen werden und die danach nicht mehr gelten dürfen, auch enden. Ich denke ganz speziell an die Arbeitszeitverordnung aber auch an viele andere Ausnahmen, die jetzt im Moment gelten. Wir können nicht darauf warten, dass die Arbeitgeber das irgendwann zurückholen. Wir als DGB und auch alle Einzelgewerkschaften werden stark darauf pochen müssen. Das ist auch für Demokratie und Beteiligung wichtig. Wir haben im Moment so viele Einschränkungen, die demokratietheoretisch ein riesiges Problem sind. Sie müssen so schnell wie möglich wieder beendet werden.

Gerade nach der Krise wird für uns wichtig sein, dass keine Kollegin und kein Kollege abstürzt und in existenzielle Nöte kommt.

Welche Rolle haben Gewerkschaften heute?

Wir vertreten rund sechs Millionen Mitglieder. Das ist eine ganze Menge. Wir setzen uns ein für die Belange der Beschäftigten. In der Krise merkt man ganz stark, wie wichtig die Arbeit der Gewerkschaften für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und auch für die Demokratie ist. Ein gelungenes Krisenmanagement der Bundesregierung funktioniert nur, wenn wir als Gewerkschaften einbezogen werden.
Für mich ist auch ein wichtiger Punkt: Dass die Rechten in Deutschland keinen großen Raum bekommen, das hat damit zu tun, dass nicht nur Politik und Gesellschaft den Raum begrenzen, sondern dass das immer in Verschränkung mit den Gewerkschaften passiert. Ich persönlich habe das in Bad Nenndorf erfahren, wo wir es in einem Bündnis mit Gewerkschaften, Gesellschaft und Politik geschafft haben die Nazis rauszuhalten aus dem Ort. Diese antifaschistische Front, die wir gemeinsam organisiert haben, war wirklich ein Glück. Zum Demokratieerhalt und dass Demokratie immer wieder erkämpft wird, tragen die Gewerkschaften und Beteiligungsrechte in den Unternehmen unglaublich viel bei.

Du bist früh eingetreten in eine Gewerkschaft. War das der Grund?

Ich bin mit Beginn meiner kaufmännischen Ausbildung in die Gewerkschaft eingetreten. Das war für mich alternativlos. Ich bin wirklich großer Demokratiefan und ich finde, dass Betriebe mit starkem Betriebsrat die besseren Arbeitsplätze bieten. Schon bevor die Betriebsrätin damals auf mich zukam war mir klar, dass ich das machen würde. Da hat es übrigens auch in unserer Familie keinen Zweifel darüber gegeben. Mein Vater war damals Betriebsratsvorsitzender und Gewerkschafter bei der IG Metall.

Du bist auch Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Wie passt das zusammen mit Gewerkschaft? Wie stehen die Grünen zu Gewerkschaftsthemen?

Für mich hat es in Niedersachsen immer eine enge Zusammenarbeit der Grünen mit der Gewerkschaft gegeben. Die Grünen haben ja immer die ökologische Transformation im Blick gehabt. Ich finde, sie haben sich gut auf den Weg gemacht, auch soziale Themen mitzudenken. Wir wissen jetzt, dass ökologische Transformation mit arbeitsmarktpolitischen und sozialen Fragen verschränkt werden muss, weil sie sonst einfach nicht funktioniert. Ich bin guter Hoffnung, dass die Grünen in diesem Prozess noch weiter vorangehen. Arbeitsmarktpolitikerinnen und -politiker müssen die Ökologie mit in den Fokus nehmen und Umweltpolitikerinnen und -politiker sozialpolitische Themen.


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