Deutscher Gewerkschaftsbund

09.07.2013
Arbeitsmarkt auf den Punkt gebracht 02/2013

Hartz-Gesetze: Ausbildungssuchende aus einer Hand betreuen

Die Hartz-Gesetze sollten Bruchstellen zwischen den beteiligten Behörden vermeiden und eine ganzheitliche Betreuung Ausbildungs- und Arbeitsuchender „aus einer Hand“ sicherstellen. Das Gegenteil ist aber meist der Fall: Die organisatorische Trennung von Hartz IV und Arbeitslosenversicherung bringt neue Brüche.  

Eine Jugendlsiche vor einem Logo der Arbeitsagentur

DBJR/rw

Die gespaltene organisatorische und finanzielle Zuständigkeit von Arbeitslosenversicherung und Hartz-IV-System hat die arbeitsmarktpolitische Komplexität deutlich erhöht. Systembedingte Reibungsverluste erschweren eine effiziente und bürgerfreundliche Betreuung und behindern eine stabile und einheitliche Dienstleistung. Für benachteiligte HilfeempfängerInnen ist längst nicht immer eine ganzheitliche Betreuung aus „einer Hand“ sichergestellt. Das Missverhältnis zwischen gesetzlichem Anspruch und realisierter Umsetzung ist nicht zu übersehen. Das Hartz-IV-System sollte daher dringend von Aufgaben oder Teilen befreit werden und für die Hilfebedürftigen ununterbrochene Betreuungs- und Integrationsketten sicherstellen. Insbesondere für Jugendliche und Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, die auf Hartz IV angewiesen sind, besteht dringend gesetzlicher Handlungsbedarf.

Berufsorientierung, Beratung und Arbeitsvermittlung für alle Jugendliche aus einer Hand

Grundsätzlich werden hilfebedürftige Jugendliche vom Hartz-IV-System betreut. Beim Übergang von der Schule in die Ausbildung sind teils das Arbeitslosenversicherungssystem und teils das Hartz-IV-System zuständig:

  • Die Arbeitslosenversicherung (ALV) übernimmt die arbeitsmarktpolitische Förderung der Berufsorientierung und eine frühzeitige Übergangsbegleitung auch an Schulen.
  • Die ALV muss die Berufsberatung und die Prüfung der Ausbildungsreife vornehmen. Die Beratung und Orientierung sind Pflichtaufgaben der ALV.
  • Wenn die Harz-IV-Träger die Ausbildungsvermittlung nicht freiwillig auf die Arbeitsagenturen übertragen, darf die Berufsberatung der Arbeitsagenturen keine konkreten Vermittlungsvorschläge machen. Dann sind die Hartz-IV-Träger zuständig.
  • Ist ein Haushalt nicht länger hilfebedürftig, weil etwa eine andere dort lebende Person existenzsicherndes Einkommen erzielt, geht die Zuständigkeit auf die ALV über. Soweit nur ein Mitglied eines Haushalts ergänzend Hartz IV bezieht, liegt die Zuständigkeit auch für den Jugendlichen beim JobCenter.

Die Abläufe bei Berufsorientierung, Berufsberatung und Ausbildungsvermittlung junger Menschen sind intransparent. Häufig wechseln auch die Betreuungspersonen. Oft kommt es zu Beeinträchtigungen und Brüchen bei der Berufswahl und Integration betroffen sind besonders benachteiligter oder gefährdeter Jugendlicher.

Zersplitterte Zuständigkeit trifft mehr als 100.000 Jugendliche

Kommen Jugendliche aus Haushalten mit mittlerem oder höherem Einkommen, so werden  sie durchgängig vom Versicherungssystem betreut – egal, ob die Eltern in die ALV einzahlen. Für die Kinder armer Eltern gibt es dagegen keine Betreuung aus einer Hand bei der Berufsorientierung, der Berufsberatung und der Vermittlung in eine Ausbildungsstelle.

Das betrifft weit mehr als 100.000 Jugendliche. Denn nach wie vor hat nur ein Teil der Hartz-IV-Träger die Ausbildungsvermittlung auf die Arbeitslosenversicherung übertragen. Und auch  danach bleibt die Prozessverantwortung für die Vermittlung beim Hartz-IV-Träger So lassen sich Bruchstellen auch hier nicht ganz vermeiden. Denn die persönlichen Ansprechpartner der Jobcenter schließen nach wie vor die Eingliederungsvereinbarung ab, begleiten die Vermittlungsaktivitäten der Berufsberatung und verhängen eventuell Sanktionen.

Arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahren nach Schulbildung und Rechtskreisen

Arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahren nach Schulbildung und Rechtskreisen DGB

Ununterbrochene Betreuungskette gewünscht

Per Gesetz könnte die Ausbildungsvermittlung auf die ALV übertragen werden. Damit wäre eine ununterbrochene Betreuungskette beim Übergang von der Schule in die Ausbildung gesichert. Für Ausbildungssuchende und für Arbeitgeber sollte es nur einen Ansprechpartner für Berufsorientierung, Berufsberatung und Ausbildungsvermittlung bei der Arbeitsagentur geben.

Eine Übertragung der Arbeitsvermittlung ist kein Widerspruch zu regionalen „Arbeitsbündnissen Jugend und Beruf und Jugendberufsagenturen“, die derzeit aufgebaut werden, sondern vereinfacht derartige Netzwerke. Diese zielen auf verbindliche und bedarfsgerechte Angebote für Jugendliche. Für diese Netzwerke und Kooperationspartner – wie Schulen oder Jugendämter – bedeutet die Trennung von Berufswahl und Ausbildung zwischen den arbeitsmarktpolitischen Trägern ebenfalls einen Mehraufwand. Sie erschwert die Abstimmung integrierter schulischer und sozialer Hilfsangebote mit der Ausbildungsvermittlung.

Berufliche Rehabilitation für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen

Die berufliche Wiedereingliederung behinderter Menschen wurde mit Hartz IV ebenfalls komplexer. So kann eine einheitliche Betreuung von hilfebedürftigen Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr sicher gestellt werden. Dabei haben arbeitslose Rehabilitanden besondere Probleme auf dem Arbeitsmarkt: bis zu 60 Prozent dieser Gruppe ist auf Hartz IV angewiesen. Die Arbeitslosenversicherung ist auch für erwerbsfähige Hilfebedürftige der verantwortliche Reha-Träger, sofern nicht die Krankenversicherung oder ein anderer Träger zuständig ist.

Dadurch ergeben sich im Rehabilitationsprozess für hilfebedürftige Personen unterschiedliche Verantwortlichkeiten

  • bei der Identifikation des Reha-Bedarfs,
  • Beratung und Finanzierung
  • sowie Arbeitsplatzvermittlung und Suche.

Selbst bei der Finanzierung dieser Aufgaben im Hartz-IV-System gilt laut Gesetz eine geteilte Kostenverantwortung von Versicherungs- und Fürsorgesystem. Ursprünglich sollte mit den Hartz-Gesetzen der Verschiebebahnhof zwischen den Sozialsystemen beseitigt werden. Doch nun müssen Integrationshilfen für hilfebedürftige Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen teils aus Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung finanziert werden.

Aufwendig und ineffektiv 

Diese geteilte Zuständigkeit mit ihren vielen Schnittstellen ist verwaltungsaufwendig und ineffektiv:

  • So müssen die Hartz-IV-Träger zunächst den Rehabilitationsbedarf der Betroffenen erkennen.
  • Anschließend schalten die gemeinsamen Einrichtungen die Reha-Berater der Arbeitslosenversicherung ein, die die Behinderung feststellen und die Rehabilitanden zu den Fördermöglichkeiten beraten.
  • Soweit die ALV diese Leistungen – wie Ausbildung und Berufsvorbereitung – auch für hilfebedürftige Hartz-IV-Empfänger finanzieren muss –- entscheiden die Arbeitsagenturen eigenständig. Muss diese das Hartz-IV-System finanzieren, macht die Versicherung einen Eingliederungsvorschlag. Über diesen entscheiden dann die Hartz-IV-Träger.

Die Vermittlungs- und Integrationsverantwortung, z. B. nach Ende des Reha-Verfahrens, liegt dann wieder für alle Hilfebedürftigen beim Hartz-IV-Träger, für berufliche Erst- und Wiedereingliederung somit gleichermaßen.

Das Hartz-IV-System ist bei Betreuung und Förderung oft schlechter  als das Versicherungssystem. Defizite gibt es besonders bei der Identifizierung des Reha-Bedarfs, der Umsetzung der Eingliederungsvorschläge und auch der vermittlerischen Betreuung zum Ende der Maßnahme. Behinderte Menschen sind im Hartz-IV-System besonders benachteiligt, denn dieses verfügt über kein eigenständiges Budget für berufliche Rehabilitation.

Besonders geschulte Vermittlungs- und Beratungskräfte des Versicherungssystems sollen sich auf die Betreuung behinderter Menschen konzentrieren. Das empfahl die Bundesagentur für Arbeit (BA) den gemeinsamen Einrichtungen. Doch nur etwa die Hälfte der gemeinsamen Einrichtungen folgte dem Rat. Und über die optierenden Kommunen liegen weder Informationen zur Betreuung behinderter Menschen noch zur Wirksamkeit der beruflichen Reha vor.

Das Hartz-IV-System von Aufgaben befreien – Gewerkschaftliche Vorschläge

Ausbildungsvermittlung und berufliche Rehabilitation müssen gesetzlich korrigiert werden. Hierzu schlägt der DGB vor:

  1. Das bisherige Zweiklassensystem bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz muss beseitigt werden  Dazu sollte die Ausbildungsvermittlung gesetzlich auch für hilfebedürftige Jugendliche auf die Arbeitslosenversicherung übertragen werden. Für Arbeitgeber wie Ausbildungssuchende kann so ein Ansprechpartner einheitlich zuständig sein und eine ununterbrochene Betreuungskette von der Berufsorientierung über die Berufsberatung bis zur Ausbildungsvermittlung sichergestellt werden. Diese Position deckt sich weitgehend mit Prüfungsmitteilungen des Vorprüfungsamtes der BA sowie mit dem Abschlussbericht an den Bundestag zur Evaluation der Experimentierklausel im Hartz-IV-System.
  2. Die berufliche Rehabilitation sollte vom Versicherungssystem für alle Rehabilitanden umgesetzt werden. Ziel sollte sein:
    • die gesundheitlichen Einschränkungen möglichst genau und rechtzeitig zu erkennen,
    • medizinische bzw. psychologische Gutachten möglichst zeitnah auszuwerten,
    • erforderliche Reha-Verfahren zügig einzuleiten und
    • die beruflichen Eingliederungsprozesse nachzuhalten und zu unterstützen.
  3. Auch im Hartz-IV-System müssen per Gesetz besondere Stellen für die Beratung und Vermittlung für behinderte und schwerbehinderte Menschen eingerichtet werden - wie es sie bereits in der Arbeitslosenversicherung gibt.

Einzelne Förderinstrumente für behinderte Menschen oder Jugendliche im Hartz-IV-System werden teils immer noch nicht über Steuermittel, sondern über Beiträge zur Arbeitslosenversicherung finanziert. Künftig sollte  der Bund die Kosten für berufsvorbereitende Maßnahmen und die Reha-Eingliederung bezahlen soweit Hartz-IV-Empfänger/innen gefördert werden. Auch sollte im Hartz IV-System ein eigener Haushaltstitel – also ein Budget – für Aufwendungen zur beruflichen Rehabilitation geschaffen werden. Dies verhindert, dass kurzfristige und weniger kostenintensive Maßnahmen die länger laufenden und eher teureren Reha-Maßnahmen verdrängen.


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09.07.2013
Gerd Hoofe: Vor­be­hal­te ge­gen Ein­stel­lung hil­fe­be­dürf­ti­ger Men­schen ab­bau­en
Hilfsbedürftige Jugendliche und Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf staatliche Unterstützung bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Doch weil Hartz IV und Arbeits­losen­versicherung organisatorisch getrennt sind, können die Betroffenen oft nicht kontinuierlich betreut werden. Auch die finanzielle Trennung der Systeme führt zu Reibungsverlusten.
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