Deutscher Gewerkschaftsbund

23.10.2020

Die Arbeiterklasse im US-Wahlkampf

Studien zeigen, dass eine große Anzahl von WählerInnen der US-Arbeiterklasse für demokratische Politik zu begeistern wären, schreibt die Gewerkschafterin Karen Nussbaum. Allerdings gilt es für die US-Demokraten einiges zu beachten – auch nach der Wahl am 3. November.

USA

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Weiße Männer aus der Arbeiterklasse gelten als der harte Kern von Donald Trumps Anhängerschaft. Studien zeigen jedoch, dass eine große Anzahl durchaus von den Demokraten zu überzeugen wären. Der Erfolg hängt entscheidend davon ab, ob Sachthemen im Vordergrund stehen oder Parteipolitik. Der Einschätzung von Working America, einer Mitgliedsorganisation des Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO, zufolge könnten 20 Millionen WählerInnen in vierzehn umkämpften Staaten davon überzeugt werden, ihre Meinung zu ändern oder überhaupt zur Wahl zu gehen.

Die Entscheidung dieser Menschen wird für die Wahl ausschlaggebend sein. Mit undogmatischen ArbeitnehmerInnen im Austausch zu stehen, bleibt aber auch nach der Wahl von zentraler Bedeutung, will man einen geordneten Machtwechsel gewährleisten und demokratische Räume erhalten. Die politischen Institutionen der USA sind so stark gespalten wie seit dem Bürgerkrieg nicht mehr, und grundlegende demokratische Verfahrensweisen, einschließlich der friedlichen Machtübergabe, sind bedroht. Aber die amerikanische Bevölkerung ist weit weniger polarisiert, als wir vielleicht denken.

Man muss über die Sorgen der ArbeitnehmerInnen
sprechen, nicht über die große Politik und einzelne Politiker.

Sind die weißen WählerInnen aus der Arbeiterklasse überhaupt das Problem? Sie haben berechtigte Vorbehalte gegen die Demokratische Partei, die sich in ihrer neoliberalen Politik mit den Interessen der Konzerne gemein gemacht hat. Im Laufe der Zeit fand eine Abwendung hin zu den Republikanern statt, hauptsächlich um den Demokraten einen Denkzettel zu verpassen. Trotz einer Unterstützung Trumps durch 60 Prozent der weißen ArbeiternehmerInnen im Jahr 2016 machten diese nur 30 Prozent seiner Stimmen aus.

Klassen- und Bildungsniveau sind weniger aussagekräftig als andere demografische Daten. Religionszugehörigkeit und Waffenbesitz werden generell mit starken Werten wie der persönlichen Freiheit und dem Misstrauen gegenüber der Regierung assoziiert. Tatsächlich sind die größten BefürworterInnen von Trump tendenziell RepublikanerInnen, denen es vor allem um die freie Marktwirtschaft geht. Doch viele WählerInnen sind gar nicht auf eine klare Haltung festgelegt.

Das bestätigt auch mein persönlicher Eindruck. Für Working America habe ich Leute an der Haustür befragt. Einige Monate nach der Wahl 2016 waren wir in Columbus, Ohio, im industriellen Mittleren Westen, unterwegs und sprachen mit Menschen, die erst Obama gewählt hatten und dann zu Trump wechselten. Uns wurde gesagt, wir sollten den Leuten nicht erklären, dass sie im Unrecht seien – Trump sei entweder schlecht oder sie seien rassistisch – sondern mit etwas Neuem kommen, das sie nicht schon wussten. Die Rentnerin Gertrude ist ein gutes Beispiel. Sie war eine überzeugte Trump-Anhängerin und wollte nichts Schlechtes über ihn hören. Aber als wir ihr sagten, dass zu Trumps Politik auch die Abschaffung der öffentlichen Hilfe bei Heizungskosten gehörte, auf die sie angewiesen war, fiel sie aus allen Wolken. „Das ist nicht das, was er versprochen hat“, sagte sie.

Gewerkschaften sind ein Ort, an dem Menschen
demokratische Erfahrungen machen können.

Working America hat seine über die letzten 17 Jahre erhobenen Mitgliederdaten wissenschaftlich ausgewertet und festgestellt, dass 20 Millionen WählerInnen in den umkämpften Bundesstaaten davon überzeugt werden könnten, nicht nur für den demokratischen Kandidaten Joe Biden zu stimmen, sondern auch weitere DemokratInnen zu wählen. Es lassen sich besonders diejenigen gewinnen, die keinen College-Abschluss haben und kein Kabelfernsehen schauen – also WählerInnen mit niedrigem Informationsstand, die von der New York Times als nicht politisch Polarisierte beschrieben wurden. Diese Menschen egal welcher Hautfarbe zu überzeugen, erfordert die gleiche Herangehensweise, die auch bei Gertrude Eindruck gemacht hat: Man muss über ihre Sorgen sprechen, nicht über die große Politik und einzelne Politiker. Man muss nach einem gemeinsamen Nenner bei sozialen Fragen suchen, wie zum Beispiel in der Gesundheitsversorgung.

Der Rückgang der Mitgliedszahlen bei Gewerkschaften in den letzten 50 Jahren hat die Mittelschicht ausgehöhlt. Das hat auch dazu geführt, dass viele demokratische Institutionen, Stützpfeiler der Zivilgesellschaft, nach und nach verschwunden sind. Gewerkschaften sind ein Ort, an dem Menschen demokratische Erfahrungen machen können. Das Vakuum in eben diesem Bereich hat der politischen Rechten einen Nährboden bereitet.

Wer diese Wahl gewinnen will, muss die unentschiedenen oder entmutigten WählerInnen erreichen. Aber diese unbeständigen WählerInnen in der Mitte sind auch entscheidend dafür, ob es zu einer friedlichen Machtübergabe kommt. Sollten rechte Milizen auf die Straße gehen und Republikaner vor Gericht ziehen, um einen Sieg von Joe Biden anzufechten, werden die Einstellungen und das Verhalten von Millionen nicht-ideologischer ArbeiterInnen entscheidend dafür sein, wie das ausgeht. Erst danach steht die viel größere Aufgabe an, den Beschäftigten ihre Stimme zurückzugeben, die von der Demokratie und Wirtschaft auch gehört wird.


Karen Nussbaum, 70, ist die Gründungsdirektorin von Working America (AFL-CIO), und gehört dem Vorstand dieses Verbandes an. Sie war unter anderem von 1993 bis 1996 Direktorin des Frauenbüros der Vereinigten Staaten.


Aus dem Amerikanischen von Birthe Mühlhoff. Lange Fassung erschienen auf www.socialeurope.eu


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