Eine rentenpolitisch aktive Wahlperiode neigt sich dem Ende zu, einiges wurde erreicht: das Rentenniveau ist bis 2025 stabilisiert, weitere Verbesserungen umgesetzt und die Finanzen solide aufgestellt. In der nächsten Wahlperiode muss die Rente für künftige Generationen stark aufgestellt und das Rentenniveau dauerhaft stabilisiert werden. Und bis zur Wahl sind noch einige Verbesserungen zu beschließen.
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Auch die ausgehende 19. Wahlperiode des deutschen Bundestages hat spürbare Verbesserungen im Bereich der Rentenversicherung gebracht. Der Kurs in der Rentenpolitik ist richtig gesetzt. Auch wenn nicht alles schnell genug geht und vieles nicht erreicht ist, so gab es doch einige deutliche Verbesserungen.
Mit dem RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz (Stellungnahme des DGB) wurde drei zentrale Verbesserungen die der DGB forderte zumindest teilweise erreicht:
Ein zweiter sozialpolitisch großer Schritt nach vorne ist die Grundrente, welche seit 2021 in Kraft ist (Stellungnahme des DGB zur Grundrente sowie Fragen und Antworten zur Grundrente). Ist die Rente nur gering, trotz mindestens 33 Jahren an Beschäftigung, Kindererziehung (die ersten 10 Lebensjahre) oder ehrenamtlicher Pflege, gibt es künftig einen Zuschlag zur Rente. Ziel ist, wer von seinem Lohn leben konnte, soll auch von seiner Rente leben können. Der DGB hat schon lange die Fortführung der alten Regelung zur Rente nach Mindestentgeltpunkten gefordert. Die jetzt eingeführte Grundrente entspricht diesem Konzept in wesentlichen Teilen. Der DGB lehnt jedoch die Einkommensanrechnung einschließlich der Einkommen von Eheleuten rigoros ab. Aus unserer Sicht ist die Rentenversicherung kein Almosen. Sie ist eine mit eigenen Beiträgen finanzierte und einem solidarischen Ausgleich verpflichtete Sozialversicherung der Erwerbstätigen. Klar ist für den DGB: in der Koalition aus SPD und CDU/CSU war die Grundrente nur mit dieser Einkommensprüfung und -anrechnung möglich, die CDU/CSU wollten sogar eine Bedürftigkeitsprüfung wie bei der Sozialhilfe. Der gefunden Kompromiss ist eine spürbare Verbesserung für rund 1,3 Millionen Menschen.
Ebenfalls mit der Grundrente eingeführt wurden Verbesserungen für Rentnerinnen und Rentner bei Grundsicherung, ALG II, Sozialhilfe und Wohngeld. Hier wird die Rente künftig nicht mehr voll angerechnet, wenn Menschen wenigstens 33 Jahre in einem gesetzlichen Rentensystem pflichtversichert waren. Auch das ist eine lange vom DGB geforderte Verbesserung. Für den DGB ist aber nicht nachvollziehbar, wieso diese Verbesserung an 33 Jahre Beitragszeiten gebunden ist. Für den DGB sollte der Freibetrag allen offen stehen.
Seit 2020 gibt es bei Betriebsrenten einen Freibetrag bei der Berechnung von Krankenkassenbeiträgen. Auf die ersten rund 160 Euro Betriebsrente werden keine Beiträge zur Krankenkasse mehr erhoben. Damit hat die Regierung auf die seit 2004 andauernde Debatte über die sogenannte Doppelverbeitragung reagiert. In etlichen Fällen werden auf die Betriebsrente Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung fällig, obwohl diese bereits auf die Beiträge zur Betriebsrente gezahlt worden waren. Künftig ist durch den Freibetrag die Belastung auf die Betriebsrenten deutlich gesunken. Auch wenn die Regierung die zweifache Verbeitragung damit nicht ausgeschlossen hat, stellt es doch eine spürbare Verbesserung dar. Bei der Pflegeversicherung wird aber weiterhin die volle Betriebsrente verbeitragt, wenn sie über der Freigrenze liegt. Für den DGB ist klar: eine zweifache Verbeitragung der Betriebsrenten zur Kranken- und Pflegeversicherung ist generell auszuschließen.
Mit Blick auf weitere Maßnahmen in der Rente hat die Regierung eine Rentenkommission „verlässlicher Generationenvertrag“ eingesetzt. Diese hat umfangreiche Vorschläge unterbreitet, wie die Alterssicherungspolitik künftig aufgestellt werden könnte. Der DGB hat Fragen und Antworten zu den Kommissionvorschlägen veröffentlicht. Eine kurze DGB-Bewertung der Kommissionvorschläge macht deutlich, dass die Auseinandersetzung um eine starke Rente weiter gehen muss. Worum es aus Sicht des DGB in den künftigen Auseinandersetzung geht und was zu tun ist, findet sich im Bericht des DGB zur Rentenpolitik in Deutschland: Neue Sicherheit für alle Generationen.
Rentenpolitisch in eine völlig falsche Richtung ist das Gesundheitsministerium unter Jens Spahn gelaufen. Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (Stellungnahme des DGB) wurde der Schutz von erwerbstätigen Rentnerinnen und Rentnern im Falle einer Arbeitsunfähigkeit massiv verschlechtert. Die neuen Regelungen beschneiden die durch Beiträge erworbenen Ansprüche auf Krankengeld für Rentnerinnen und Rentner. Dies ist rundheraus abzulehnen. Aus Sicht des DGB ist das volle Krankengeld als Ersatz für den Lohn zu zahlen, unabhängig davon ob die Person bereits eine Altersrente bezieht.
Dies ist der Stand Ende März 2021, fast auf den Tag genau ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl. Es wurde viel erreicht und in der neuen Wahlperiode muss es unverdrossen weiter gehen, auch daran werden wir die Parteien messen. Bis zur Wahl aber bleibt noch ein halbes Jahr, in dem kleinere offene Baustellen und Vereinbarungen noch umgesetzt werden müssen.
Auch die Koalition hat erkannt, dass viel zu viele Selbstständige unzureichend für das Alter oder bei Erwerbsminderung abgesichert sind. Im Koalitionsvertrag hat sie daher vereinbart, dass künftig alle Selbstständigen zu einer Altersvorsorge verpflichtet sein sollen. Selbstständige, die nicht bereits gesetzlich versichert sind, sollen demnach in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert werden. Sie können auch eine gleichwertige private Versicherung abschließen. Die Entwürfe sind nach vielen Gesprächen mit den Arbeitgebern, Gewerkschaften und den Selbstständigen fertig und in ihren Grundzügen unstrittig. Nur CDU/CSU scheinen sich nach wie vor zu scheuen, die Rentenversicherungspflicht endlich einzuführen. Für den DGB ist dieser Schritt hin zu einer Erwerbstätigenversicherung mehr als überfällig. Die Koalition muss ihr Vorhaben jetzt noch in dieser Wahlperiode umsetzen. Dabei könnte die Koalition auch gleich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit einbeziehen.
Die oben geschilderten Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten sind gut und längst überfällig. Aber alle die bereits eine Rente wegen Erwerbsminderung haben konnten davon nicht profitieren. Die Koalition muss ein Gesetz erarbeiten, dass für diesen Bestand deutliche Verbesserungen umsetzt, jetzt noch vor der Bundestagswahl. Dies ist nicht ganz trivial, Vorschläge dazu gibt es aber genügen (beispielsweise: Eckart Bomsdorf, Markus Hofmann (2020): Bei Erwerbsminderungsrenten auch den Bestand an Verbesserungen teilhaben lassen. In: Soziale Sicherheit, 12/2020, Seite 441f).
2004 hat die damalige Koalition die Mindestrücklage in der Rentenversicherung deutlich abgesenkt, auf 0,2 Monatsausgaben zum Ende des Kalenderjahres. So sollte eine Beitragssatzerhöhung verhindert werden. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass der Beitragssatz in diesen Fällen so wenig wie irgend möglich angehoben werden soll. Ist also die Rücklage erstmal aufgebraucht, sieht das Gesetz vor, diese immer knapp auf Kante zu nähen.
Unterjährig liegen Einnahmen und Ausgaben nicht immer gleich auf. Regelmäßig ist die Rücklage im Oktober um 0,2 bis 0,3 Monatsausgaben geringer als Ende Dezember, wenn die Beiträge auf das Weihnachtsgeld die Kasse wieder füllen. Nach Absenkung der Mindestrücklage 2004 passierte dann auch was passieren kann: Schon 2005 reichte die Liquidität im Oktober nicht mehr aus, so dass der Bund seine Zahlungen vorziehen musste. Die BILD erklärte daraufhin die Rentenversicherung für Pleite. Natürlich, wie so oft bei der BILD, entsprach der Titel nicht der Realität. Denn bereits im November war wieder ausreichend Geld da.
Seitdem drängen die Sozialpartner darauf, dass absehbare Problem mit der Mindestrücklage von 0,2 Monatsausgaben aus der Welt zu schaffen. Denn wenn die Rücklage wieder Richtung 0,2 tendiert, droht chronisch, wieder das „Oktober-Locher“ und sicherlich wieder eine polemische Schlagzeile der Bild. Die Corona-Krise 2020 hat noch mal deutlich gemacht, dass die Einnahmen aufgrund einer Krise auch deutlich geringer ausfallen könnten als erwartet. Dann wäre eine Rücklage von 0,2 Monatsausgaben noch schneller aufgebraucht.
Daher fordert der DGB seit langem, die Mindestrücklage wenigstens auf die dringend gebotenen 0,4 Monatsausgaben anzuheben. Mehr wäre natürlich auch denkbar. Und natürlich wäre ergänzend auch denkbar, den Beitragssatz nicht nur auf Kante zu setzen, sondern vielleicht ein wenig höher und damit die knappe Rücklage besser zu vermeiden.
Klar ist aber auch: CDU/CSU wie Arbeitgeber wollen höhere Beitragssätze strickt vermeiden. Aber auch die die Kommission Verlässlicher Generationenvertrag hat sich mit dem Thema beschäftigt und einen von allen getragenen Kompromissvorschlag unterreitet. Das Mindeste ist, dass die Koalition diesen tragfähigen Kompromiss noch vor der Bundestagswahl umsetzt. Das gute ist: es ist technisch einfach und würde kein Geld kosten.
Ein weiteres Thema beschäftigt die Politik bereits seit Jahrzehnten: Defizite und Mängel bei der Rentenüberleitung aus dem DDR-Recht in das Recht der BRD. Betroffen von diesen Problemen sind etliche Berufsgruppen (unter anderem Beschäftigte der Reichsbahn, im medizinischen Dienst, der Braunkohleveredelung und viele weitere mehr), deren Zusatzversorgung nicht anerkannt wird. Außerdem drei Berufsgruppen: die in der DDR geschiedenen und die Spätaussiedler sowie die sogenannten Kontingentflüchtlinge. Auch hier hat die Koalition vereinbart, einen Härtefallfonds einzurichten, der diese Ansprüche anerkennt und entschädigt.
Die Abstimmung hierzu, einschließlich der Gespräche mit Betroffenen, sind auch hier weit fortgeschritten. Nun gilt es auch die Bundesländer mit an Bord zu bekommen. Die Abstimmung muss nun schnell erfolgen und noch in dieser Wahlperiode jeweils Lösungen für die Berufsgruppen und die drei Personengruppen geschaffen werden. Für den DGB ist klar: dieses Thema darf nicht auf die nächste Wahlperiode verschoben werden. Der Weg der Anerkennung und Entschädigung muss jetzt verbindlich eingeleitet und beschritten werden. Auch wenn wegen der Komplexität der Materie ein Abschluss und Auszahlung vor der Wahl möglicherweise nicht mehr klappt, sind die bindenden Entscheidungen jetzt zu treffen.
Die Daten für die Rentenerhöhung 2021 liegen vor. Im Westen ergibt sich keine Anpassung, eine Nullrunde. Im Osten steigen die Renten um 0,72%. Das war so im Prinzip erwartet worden. Insgesamt steht die Rentenversicherung solide da und ist gut durch die Krise gekommen. Insbesondere die apokalyptischen Prophezeiungen einschlägiger Experten haben sich mal wieder als völlig verfehlt herausgestellt.
Die Rentenerhöhung wird anhand der Rentenanpassungsformel sowie vielfältiger Übergangs- und Schutzmechanismen berechnet. Zentral für die Rentenanpassung ist die Lohnentwicklung. Die Lohnentwicklung ist dabei eine komplexe Mischung aus der Bruttolohnentwicklung des Vorjahres (2020) nach den Daten des Statischen Bundesamtes und der Differenz der versicherungspflichtigen Entgelte des Vor-Vorjahres (2019) zu den Bruttolöhnen des Statischen Bundesamtes im gleichen Jahr (2019). (Detaillierte Darstellung der Mechanik) Die komplexen Rückwirkungen sind selbst für eingeweihte kaum noch nachvollziehbar beziehungsweise vorhersehbar.
Bei der Rentenanpassung in diesem Jahr spielen im Lohnfaktor außerdem zwei statistische Sondereffekte die maßgebliche Rolle.
Diese beiden Sondereffekte erwecken den Eindruck, die Löhne seien massiv gesunken. Tatsächlich sind es aber statistische Effekte. Die eigentlichen maßgeblichen Entgelte der Versicherten sind in 2020 sogar leicht gestiegen. Auf der Grundlage wäre sogar eine Rentenerhöhung angezeigt. Denn auch der negative Nachhaltigkeitsfaktor sinkt nicht wegen übermäßiger Ausgaben oder gesunkener Einnahmen, sondern aufgrund einer Abweichung die sich aus einer linearen doppelten Fortschreibung der Lohnerhöhung nach Statistischem Bundesamtes des Jahres 2019 ergibt. Da in der Krise 2020 die Löhne deutlich langsamer gestiegen sind als 2019 errechnet der Nachhaltigkeitsfaktor eine fiktive Verschlechterung und bewirkt so eine weitere Rentendämpfung.
Dabei gilt es zu beachten: Effekt 1 des Lohnfaktors sowie der Effekt im Nachhaltigkeitsfaktor wirken 2022 bei der Rentenhöhung tendenziell gegenläufig, also rentenerhöhend. Insoweit wird die Rentenerhöhung nachgeholt. Auch wenn eine etwas ausgewogenere Anpassung zu begrüßen wäre.
Nicht nachgeholt wird hingegen der Sondereffekt 2 im Lohnfaktor aufgrund der statistischen Veränderung bei den Entgelten der Versicherten. Zwar bewirkt dies in 2021 aufgrund der Rentengarantie keine Rentenkürzung. Denn die Garantie besagt, dass die nominale Bruttorente nicht sinken darf. Aber daraus ergeben sich zwei Probleme:
In der Summe würde dann ein höheres Rentenniveau bei gleichzeitig geringeren Renten ausgewiesen. Ein gefundenes Fressen für FDP, CDU und CSU sowie die Arbeitgeber. Daher muss die Koalition jetzt, noch vor dem 1. Juli reagieren und die Anpassungsformel entsprechend korrigieren. Das Mindeste wäre, dass einmalig abweichend, für 2019 eine um den Sondereffekt durch die statistische Erfassung der Beschäftigten über der Regelaltersgrenze Entwicklung der beitragspflichtigen Entgelte berücksichtigt wird. Findet dies nicht statt, dann setzen sich Regierung und insbesondere die CDU/CSU-Fraktion zu Recht dem Vorwurf aus, dass sie das Rentenniveau schön rechnen wollten.