Deutscher Gewerkschaftsbund

18.04.2019
klartext 15/2019

Niedriglohnsektor: Falle statt Sprungbrett

Mehr als 15 Jahre nach den Hartz-Reformen arbeitet fast jeder vierte Beschäftigte in Deutschland im Niedriglohnsektor. Was anfangs noch als Sprungbrett für höhere Verdienste gedacht war, entpuppt sich immer mehr zu einer Niedriglohnfalle. Die Politik soll dem endlich entgegenwirken, fordert der DGB-klartext.

Reinigungskraft bei der Arbeit und Warnschild "Rutschgefahr"

DGB/kzenon/123rf.com

Der größte Niedriglohnsektor Europas

Täglich acht Stunden schuften und trotzdem reicht das Geld nicht: Das ist der Niedriglohnsektor. Vereinfacht gesagt zählt dazu, wer höchstens zwei Drittel eines mittleren Einkommens (Median) verdient. Da mittlerweile fast jede/r Vierte in Deutschland so wenig verdient, ist der hiesige Niedriglohnsektor der größte in Europa. Zu Beginn des letzten Jahrzehnts wurde er im Zuge der Hartz-Reformen als Mittel gepriesen, um mehr Menschen aus der Arbeitslosigkeit in eine Beschäftigung zu holen. Das Versprechen lautete, dass ein Niedriglohn ein Sprungbrett in höhere Verdienste sei.

Die "Niedriglohnfalle"

Das Sprungbrett-Versprechen von damals konnte aber nicht gehalten werden, im Gegenteil! Das zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die stattdessen von einer „Niedriglohnfalle“ spricht. Die Autoren zeigen auf, dass immer mehr Beschäftigte über Jahre hinweg in ihrem niedrigen Lohnsegment verbleiben (siehe Grafik).

Zahl der Niedriglöhner stagniert

Von 1997 bis 2008 stieg die Anzahl der zum Niedriglohn Beschäftigten massiv. Seit 2008 stagniert ihre Zahl der bei rund neun Millionen Beschäftigten. In der Regel sind es Frauen, junge Erwachsene, Beschäftigte ohne beruflichen Bildungsabschluss oder ohne berufliche Erfahrung.

Diagramm: Anteil der Beschäftigten die im jeweiligen Jahreszeitraum im Niedriglohnsektor beschäftigt waren

Quelle: DIW Wochenbericht Nr. 14/ 2019

Mehr Tarifbindung und Tarifgeltung notwendig

Der DGB kritisiert seit langem, dass bei vielen Beschäftigten das Einkommen nicht ausreicht. 1,2 Millionen Erwerbstätige sind trotz Arbeit weiterhin auf staatliche Hilfen angewiesen und sehen zudem auch noch einer drohenden Altersarmut entgegen. Zwar war die überfällige Einführung des Mindestlohns 2015 notwendig und hat die Löhne im Niedriglohnsegment steigen lassen. Das ist jedoch nicht genug und die Zahl der Geringverdiener konnte nicht gesenkt werden. Weil dort, wo nach geltenden Tarifverträgen bezahlt wird, Niedriglöhne zurückgedrängt werden können, ist deshalb auch mehr Tarifbindung und Tarifgeltung notwendig. Hier sieht der DGB auch die Politik in der Pflicht, dem Niedriglohnsektor stärker entgegenzuwirken.

Veto-Möglichkeit für Arbeitgeber abschaffen

So können Arbeitgeber im Tarifausschuss mit einem Veto blockieren, dass Tarifverträge für eine ganze Branche allgemeinverbindlich werden. Diese Veto-Möglichkeit gehört abgeschafft. Darüber hinaus muss die Politik endlich gegen atypische Beschäftigungen, sachgrundlose Befristungen und Kettenarbeitsverträge vorgehen. Unternehmen sollten Leiharbeit außerdem nur noch zur Bewältigung von Auftragsspitzen einsetzen dürfen.

Politk muss endlich handeln

Mehr als 15 Jahre nach den Hartz-Reformen wird deutlich, dass der Niedriglohnsektor eine Falle ist, aus der die Beteiligten nur selten entkommen. Es ist Zeit, dass die Politik dem entgegenwirkt.


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