Deutscher Gewerkschaftsbund

28.02.2012
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Sternberg: Bildungsgerechtigkeit als Teil der Hochschulpolitik

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Von Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg, Mitglied des Landtags Nordrhein-Westfalen, kulturpolitischer Sprecher des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

"Chancengleichheit beim Zugang zu Bildungsgängen ist von grundlegender Bedeutung für die Beteiligungsgerechtigkeit unserer Gesellschaft. Zugangsmöglichkeiten zu Bildungsgängen und die Chancen auf formalen Bildungserfolg sind auch eine soziale Frage", stellt die bildungspolitische Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) aus dem Jahr 2009 heraus. Der Zugang zu den Hochschulen ist, wie das Leitbild des Deutschen Gewerkschaftsbundes anmerkt, nach wie vor durch soziale Ungleichheiten gekennzeichnet. Ungleichheiten entstehen nicht erst an der Schwelle zur Hochschule, sie entwickeln sich nicht allein auf der Grundlage unterschiedlicher individueller Fähigkeiten und Begabungen von Kindern und Jugendlichen, sondern im gesamten Verlauf des Erziehungs- und Bildungsprozesses. Bildungschancen sind ungleich verteilt und werden ungleich genutzt – damit dürfen wir uns nicht abfinden. Doch auch wenn bereits die Chancen zum Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung je nach sozialer Herkunft variieren und viele Bildungsmaßnahmen zur individuellen Förderung deutlich früher ansetzen sollten, darf dies keineswegs dazu führen, nicht mehr nach einem möglichen Beitrag der Hochschulpolitik zur Bildungsgerechtigkeit zu fragen. Eine ihrer zentralen Aufgaben ist es, junge Menschen unabhängig von ihrer Herkunft zum Hochschulstudium zu ermutigen.

Die Studiendauer muss überschaubar bleiben, die Finanzierung darf nicht zu einer übermäßigen Verschuldung führen.

Für die Ermutigung von Studienberechtigten aus einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten zur Aufnahme eines Studiums ist mit entscheidend, dass die Risiken des Studiums kalkulierbar sind. Hierzu gehört, dass die Studiendauer überschaubar bleibt und die Finanzierung nicht zu einer übermäßigen Verschuldung führt. Insbesondere für diese Studierenden ist ein kostenloser und leichter Zugang zu Beratungen in Fragen der Studienorganisation, der Studienfinanzierung und zu psychosozialen Problemlagen für den Studienerfolg wichtig. Es gehört zu den Grundaufgaben der Hochschulen und der Studentenwerke, Beratungsangebote im erforderlichen Ausmaß bereitzustellen.

Es bedarf einer Studienorganisation, die den Abschluss des Studiums in Regelstudienzeit auch faktisch ermöglicht, so dass nicht durch weitere Studiensemester hohe Kosten entstehen. Die Abbrecherquote soll durch qualifizierte Beratungs- und Begleitungsangebote nachhaltig gesenkt werden. Studienabschlüsse müssen es Studierenden ermöglichen, eine berufliche Tätigkeit ohne ergänzende Hilfen oder Qualifikationsanforderungen, die weitere finanzielle Belastungen mit sich bringen, aufzunehmen.

Für die Bezieher von BAföG sind durch Obergrenzen der Gesamtverschuldung die Kosten kalkulierbar und tragbar zu machen.

Ein Hochschulstudium darf nicht an den finanziellen Möglichkeiten der Studierenden und ihrer Eltern scheitern. Dem BAföG kommt für die Ermutigung zum Studium eine zentrale Rolle zu. Eine kontinuierliche Anpassung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten ist dabei zu gewährleisten. Studienbeiträge sind sozialverträglich zu gestalten. Das ZdK plädiert daher weiterhin für eine nachgelagerte und einkommensabhängige Beteiligung von Studierenden an den Kosten ihres akademischen Studiums. Für die Bezieher von BAföG sind durch Obergrenzen der Gesamtverschuldung die Kosten kalkulierbar und tragbar zu machen. Die Begabtenförderungswerke müssen ihre besondere Verantwortung für die Förderung von Begabten aus bildungsfernen oder einkommensschwachen Verhältnissen und ihre Chancen zu nachhaltiger Hilfe wahrnehmen.

Immer mehr Berufe der dualen Ausbildung werden durch Akademisierung in Frage gestellt. Vor allem die Berufe der Gesundheit und der Erziehung stehen aktuell unter hohem Veränderungsdruck. Die Tendenz zur akademischen Ausbildung in vielen Berufsfeldern im Bereich Technik, Wirtschaft und Sozialwesen ist ambivalent: Einerseits ist sie den stetig steigenden Anforderungen an die Berufsausübung geschuldet. Andererseits schränkt sie zunehmend die Möglichkeiten der Berufswahl von Nicht-Abiturienten ein. Die hohe Qualität der dualen Berufs- und Fachschulausbildung darf als eine deutsche Besonderheit nicht durch das Raster internationaler Vergleichsstudien fallen.

Qualifikationswege und Aufstiegschancen sind auch für klassische Berufsausbildungen und damit für Schulabgänger ohne Hochschulzugangsberechtigung offen zu halten. Darüber hinaus ist zu prüfen, welche nicht-klassischen Wege zum Hochschulzugang über eine Berufsausbildung ausgebaut werden können. Möglichkeiten des berufsbegleitenden Studiums sind zu erweitern. Zugleich ist die Möglichkeit, einen Schulabschluss im Rahmen der kompensatorischen Grundbildung als Teil der Weiterbildung nachzuholen, zu gewährleisten. Gerade dann, wenn wirtschaftliche Benachteiligungen und soziale Ungleichheit wachsen, bedarf es vermehrter Anstrengungen für Bildungsgerechtigkeit.


Nach oben

Dieser Artikel gehört zum Dossier:

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Zum Dossier