Deutscher Gewerkschaftsbund

19.04.2021

Lieferkettengesetz – was taugt der Vorschlag der Bundesregierung?

Seit Jahren fordern Gewerkschaften, aber auch NGOs und zivilgesellschaftliche Vertreter*innen, eine gesetzliche Regelung zum Schutz von Menschenrechten in globalen Lieferketten. Auch in der Bundesregierung wurde darum lange gerungen und genauso lange wurde eine Umsetzung vom Bundeswirtschaftsministerium blockiert. Doch am Ende haben sich die Mühen gelohnt.

lieferkettengesetz.de

Von Simone Müller (DGB)

Am 3. März wurde ein Gesetzentwurf zur Regelung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vorgelegt und vom Bundeskabinett verabschiedet. Kann dieses Gesetz die Erwartungen der Zivilgesellschaft erfüllen?

Deutsche Unternehmen sind nicht nur als „Exportweltmeister“ in globale Lieferketten eingebunden, sondern beziehen auch den Großteil ihrer Rohstoffe, Fertigungsteile oder ganze Endprodukte aus allen Teilen der Welt. Daraus ergeben sich Verflechtungen deutscher Firmen mit den Arbeits- und Produktionsbedingungen in sogenannten Entwicklungsländern, die oftmals nicht gerade für ihre Einhaltung internationaler Arbeitsstandards bekannt sind. Immer wieder stehen multinationale Konzerne für ihre Einkaufs- und Produktionspraktiken in Ländern des Globalen Südens in der Kritik, sei es durch den Einsturz eines Staudamms in Brasilien, der von einer Tochterfirma des TÜV Süd fälschlicherweise als „sicher“ zertifiziert worden war, oder das fürchterliche Unglück in Bangladesch, bei dem über 1.100 Textilarbeiter*innen ums Leben kamen. Das deutsche Lieferkettengesetz soll Firmen nun zum Schutz von Menschenrechten, auch bei ihren Zulieferern, verpflichten.

Guter Anfang …

Das Sorgfaltspflichtengesetz, ausgearbeitet von den Ministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Arbeit und Soziales (BMAS) sowie Wirtschaft und Energie (BMWi) ist weltweit erst das zweite, das sich ausführlich mit Menschenrechten entlang unternehmerischer Lieferketten beschäftigt. Es zeigt im internationalen Vergleich einige bessere und umfangreichere Ansätze.

So wurde in Frankreich 2017 die Loi de Vigilance  eingeführt. Das französische Sorgfaltspflichtengesetz bezieht sich auf Konzerne mit mindestens 5.000 Mitarbeiter*innen. Im Gegensatz dazu umfasst der deutsche Gesetzentwurf Unternehmen mit mehr als 3.000 bzw., ab 2024, mehr als 1.000 Beschäftigten. Gesetze aus anderen Ländern, z.B. aus den USA, Australien, Kanada oder den Niederlanden, berücksichtigen bisher nur spezifische Bereiche von Menschenrechten, z.B. durch eine Bezugnahme auf Konfliktmineralien oder Kinderarbeit. Das deutsche Vorhaben jedoch bezieht sich neben den ILO-Kernarbeitsnormen (zum Verbot von Sklaverei, Kinderarbeit, Diskriminierung und zum Schutz der Vereinigungsfreiheit) noch auf weitere arbeitsrechtliche Sorgfaltspflichten, wie einen angemessenen Lohn, oder Umweltschutz im menschenrechtlichen Sinne als Schutz der Beschäftigten vor Wasser-, Boden- oder Luftverschmutzung.

Zudem weist das Gesetz eine starke behördliche Durchsetzung auf, die es dem zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) neben einem umfangreichen Bußgeldkatalog ermöglicht, bei Verdachtsfällen auch Geschäftsräume zu betreten oder Angestellte der betroffenen Firmen zu befragen.

… aber ausbaufähig

Doch das Gesetz weist auch einige entscheidende Schwächen auf. Der Schwellenwert von mindestens 1.000 Angestellten (ab 2024) ist immer noch viel zu hoch angesichts der Tatsache, dass damit maximal 2.900 deutsche Unternehmen berücksichtigt würden. Viele Firmen, die nicht mehr zum Mittelstand zählen (bis 250 Mitarbeiter*innen), aber auch noch keine 1.000 Beschäftigten haben, sind intensiv in globale Wertschöpfungsketten eingebunden. Sie beziehen Waren aus dem Ausland oder sind selbst Zulieferer für größere Firmen. Eine Einbeziehung von Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden wäre daher die logische Konsequenz.

Ein weiteres Problem besteht in der Beschränkung auf Firmen mit Sitz im Inland. Diese schließt in Deutschland tätige Global Player, wie Amazon (Hauptsitz in den USA) oder H&M (Schweden) von vornherein aus und schafft einen Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten. Daher ist es folgerichtig, dass sich die Bundesregierung parallel zur Diskussion über ein nationales Gesetz für eine europäische Gesetzgebung mit hohen Anforderungen an menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten stark gemacht  hat.

Die Komponente mit dem größten Nachbesserungsbedarf ist jedoch die Definition der Lieferkette selbst. Zwar heißt es in der Begriffsbestimmung, die Lieferkette umfasse „alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte […] erforderlich sind, angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zu der Lieferung an den Endkunden“. Jedoch erfolgt unmittelbar im Anschluss eine Unterteilung in direkte und indirekte Zulieferer. Folglich müssen die betroffenen Unternehmen gar nicht vorbeugend darauf achten, dass bei den „indirekten Zulieferern“ – also da, wo die Rohstoffe hergestellt bzw. abgebaut werden – keine Menschenrechtsverletzungen erfolgen. Sie müssen erst nachträglich Untersuchungen anstellen, wenn sie von solchen Verletzungen „Kenntnis erhalten“. Diese Maßnahmen sind zudem auch nicht so umfangreich, wie sie für den eigenen Geschäftsbereich oder direkte Zulieferer vorgesehen sind. Hier wurden also zwei unnötige Hürden eingebaut, die es deutschen Unternehmen weiterhin ermöglichen, Menschenrechtsverletzungen zu ignorieren, unter dem Deckmantel, dass sie davon keine Kenntnis erhalten hätten.

Keine zivilrechtliche Haftung im Schadensfall

Das Gesetz sieht, anders als die französische Variante, keine Regelung vor, nach der Betroffene eine Klage gegen das Unternehmen anstrengen können, die zur zivilrechtlichen, materiellen Haftung führt. Stattdessen wird eine Prozessstandschaft eingeführt, die es deutschen NGOs und Gewerkschaften ermöglicht, im Namen von (ausländischen) Betroffenen zu klagen, allerdings nach den Regeln des internationalen Privatrechts. Das bedeutet, dass vor deutschen Gerichten Verfahren nach dem jeweiligen ausländischen Recht zu führen sind, was eine starke Ungleichbehandlung Betroffener nach sich ziehen kann. In Ländern mit niedrigen rechtlichen Standards könnten Kläger*innen beispielsweise durch eine umgekehrte Beweislastpflicht benachteiligt werden oder Verfahren müssten aufgrund kürzerer Verjährungsfristen eingestellt werden.

Die Auswirkungen auf die Gewerkschaften und NGOs sind dabei noch völlig unklar. Hier können hohe Kosten auf die Organisationen zukommen, wie z.B. Prozesskosten oder Ermittlungskosten. Da sich freie Gewerkschaften ausschließlich über die Beitragszahlungen ihrer Mitglieder finanzieren, können diese Kosten schnell das Budget übersteigen. Daher wäre es sinnvoll, aus den erhobenen Buß- und Strafgeldern einen öffentlichen Fonds zur Finanzierung von Verfahren einzurichten. Das Gesetz regelt keine gerichtliche Zuständigkeit. Normalerweise sind für Klagen auf Geltendmachung deliktischer Ansprüche Zivilgerichte zuständig, vor denen Gewerkschaften aber keine Vertretungsmöglichkeit haben. Es fehlt daher eine Klausel, die es ermöglicht, die im Zusammenhang mit der Arbeit entstandenen Menschenrechtsverletzungen vor Arbeitsgerichten zu vertreten und durchzusetzen.

Wie geht es weiter?

Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Initiative Lieferkettengesetz setzen sich dafür ein, dass noch entscheidende Änderungen am Gesetz vorgenommen werden. Der Erfolg hängt vom Spielraum ab, der bei den Verhandlungen in den Bundestagsausschüssen vorhanden sein wird. Zudem wird unter Zeitdruck verhandelt, denn der Entwurf soll in der letzten Plenarsitzung (Ende Juni 2021) der aktuellen Legislaturperiode durch den Bundestag verabschiedet werden.

Trotz der genannten Mängel handelt es sich um ein wichtiges und entscheidendes Gesetz, das maßgeblichen Einfluss auf eine baldige europäische Gesetzgebung nehmen kann. Eine  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2021 mit Empfehlungen an die Europäische Kommission sieht bereits vielversprechend aus. Sie enthält umfangreiche Vorschläge zum Umweltschutz mit Bezügen auf Klimaschutz und Entwaldung sowie klare Bestimmungen zur  zivilrechtlichen Haftung. Auch soll dort der Geltungsbereich auf kleinere Unternehmen und ausländische, aber in der EU geschäftstätige Firmen erweitert werden, und die Unterteilung in direkte und indirekte Zulieferer soll entfallen. Bis ein solches europäisches Gesetz in Kraft tritt, kann es jedoch noch einige Jahre dauern. In der Zwischenzeit ist die deutsche Lösung ein erster wichtiger Schritt in Richtung mehr Schutz von Menschenrechten weltweit.


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