Die Einkommenskluft in Deutschland in den letzten Jahren immer größer geworden. Durch den Ausbau des Niedriglohnsektors haben Geringverdiener heute real weniger Geld in der Tasche als in den 1990er Jahren. Wie diese Probleme gelöst werden können, wurde auf einer DGB-Konferenz am "Tag der progressiven Wirtschaftspolitik“ diskutiert. Der DGB-klartext.
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Was macht heute eine fortschrittliche Wirtschaftspolitik aus und wie erreichen wir sie? Diese Fragen lockten am vergangenen Mittwoch über 600 Teilnehmende zum „Tag der progressiven Wirtschaftspolitik“ in Berlin. Der DGB hatte die internationale Konferenz zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) organisiert, um neue Ansätze in Wirtschaftswissenschaft und -politik zu diskutieren.
In zahlreichen Podiumsdiskussionen und Workshops wurden Alternativen zum bislang dominierenden neoliberalen Politikansatz herausgearbeitet. Denn vom Klimawandel, über soziale Gerechtigkeit bis hin zum Strukturwandel in der Wirtschaft und der mangelhaften öffentlichen Infrastruktur - marktgläubige Politik versagt auf ganzer Linie bei der Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen.
Beispiel Verteilungsgerechtigkeit: Leidtragende einer verfehlten Wirtschaftspolitik sind in erster Linie Beschäftigte mit kleinen Einkommen, wie auch eine neue Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschafts-forschung (DIW) zeigt. Der politisch vorangetriebene Ausbau des Niedriglohnsektors sowie prekärer und atypischer Arbeit führte unter dem Strich dazu, dass Geringverdiener heute real weniger in der Tasche haben als in den 1990er Jahren. Auch mittlere Einkommen haben wenig vom Wirtschaftswachstum profitiert (siehe Abbildung). Die reichsten zehn Prozent konnten ihr Einkommen hingegen real um 35 Prozent steigern. Die Einkommenskluft hat zugenommen, trotz Aufschwung auf den Arbeitsmarkt. Arbeit schützt immer weniger vor Armut. Der Anteil derer, die in Armut leben oder von ihr bedroht sind, wächst stetig. Es braucht eine Stärkung der Masseneinkommen und eine gerechtere Steuerpolitik.
Quelle: SOEPv34, DIW; teilweise Schätzung DGB.
Als weiteres großes Problem, neben der Ungleichheit, wurde auf der Konferenz der Mangel an Investitionen in Deutschland herausgearbeitet. Der Wirtschaftsprofessor Peter Bofinger zeigte beispielsweise auf, dass Deutschland unter den Industrieländern den drittletzten Platz bei Zukunftsinvestitionen belegt. Und das, obwohl nicht nur die soziale Wohnungskrise und die Transformationsprozesse in der Industrie ohne höhere Investitionsausgaben nicht zu bewältigen sein werden. Auch die Stärkung der „Wissensgesellschaft“, die US-Ökonom Ashoka Mody für Deutschland forderte, würde viel mehr öffentliche Bildungsausgaben notwendig machen.
Als ein strukturelles Problem wurde entsprechend die strenge deutsche Schuldenbremse herausgearbeitet, die öffentliche Investitionen behindert. Fast alle Redner waren sich einig, dass dieses Instrument abgeschafft oder reformiert gehört. Für die New Yorker Professorin Sheri Berman ist die spezifisch deutsche Sorge um Staatsschulden eine „bizarre Obsession“. Und der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze rief dazu auf, Wege zur Umgehung der Schuldenbremse zu finden.
Die Konferenz hat gezeigt: Mehr öffentliche Investitionen, ein handlungsfähiger Staat, eine Stärkung der Beschäftigten bei Einkommen und Mitbestimmung und eine gerechtere Verteilungspolitik – das sind die Kernelemente einer progressiven Wirtschaftspolitik.