Alle reden über den digitalen Wandel - doch eine echte Strategie für die Umgestaltung der Arbeitswelt fehlt bislang in den Ministerien. In der Frankfurter Rundschau fordert DGB-Vorstand Annelie Buntenbach finanziell geförderte Weiterbildungszeiten, damit "jede und jeder die Chance bekommt, auch in der Arbeitswelt von morgen up to date zu bleiben."
DGB/Simone M. Neumann
Annelie Buntenbach ist Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes. Sie schreibt regelmäßig als Autorin für die Kolumne Gastwirtschaft der Frankfurter Rundschau.
Der Koalitionsvertrag von Union und SPD verspricht Aufbruch, Dynamik und Zusammenhalt. Der digitale Wandel soll ein Schwerpunkt der nächsten Jahre werden. Im Prinzip gut. Allerdings beschäftigten sich zuletzt schon fast alle Ministerien irgendwie mit der Digitalisierung. Das Problem ist das „Irgendwie“. Sicher: Schnelles Internet überall ist genauso wichtig wie die Modernisierung der Schulen oder Berufsschulen. Allerdings sind das nur die Basics, ohne die eine innovative Lebens- und Arbeitswelt gar nicht denkbar ist. Selbst da hapert es bis heute.
Nun werden neue Kommissionen adressiert, ausgerichtet auf den digitalen Wandel. Alles richtig. Doch wo ist die Strategie? Entscheidend ist die Umgestaltung der Arbeitswelt. „Arbeiten 4.0“ war zuletzt ein wichtiger Prozess, der sich nun in viele Puzzleteile aufzulösen droht, so dass jede Orientierung verloren geht. Damit verbunden ist eine seltsam altbackene politische Haltung: Es heißt oft, die Menschen sollten „mitgenommen“ werden. Wollen sie nicht lieber selbst entscheiden und gestalten? Und mitnehmen – wohin? Es geht schließlich nicht nur um Teststrecken für selbstfahrende Autos, sondern um neue digitale Produktionsweisen, künstliche Intelligenz und neue Anforderungen an die Qualifikationen der Beschäftigten. Grund genug für diffuse Ängste vor der digitalen Zukunft.
Darauf kann und muss die Koalition schnell Antworten geben. Auch die Bundeskanzlerin hat zuletzt ein Unbehagen der Menschen gegenüber technologischen Umbrüchen ausgemacht. Dies sollte nicht in neue Kommissionen, sondern in attraktive, konkrete politische Angebote münden – vorzugsweise für Teilhabe und Selbstbestimmung.
Alle Experten sind sich einig, dass die Digitalisierung eine neue Lernkultur erfordert. Dafür brauchen die Beschäftigten neue Bildungszeiten, also Auszeiten für Qualifizierung mit entsprechender finanzieller Unterstützung. Es sollte der Markenkern einer gesellschaftlichen Digitalstrategie werden, dass jede und jeder die Chance bekommt, auch in der Arbeitswelt von morgen up to date zu bleiben. So können sich Sorgen am ehesten in neue Hoffnungen verwandeln. Das wäre ein echter Aufbruch mit neuer Dynamik für sozialen Zusammenhalt.
von Annelie Buntenbach