Deutscher Gewerkschaftsbund

04.03.2022
Arbeitsmarkt: Zahl des Monats

Zwei Millionen Minijobber*innen in Deutschland sind für ihren Arbeitsplatz überqualifiziert

Minijobs sind keine Brücke in den Arbeitsmarkt, sondern eine Sackgasse. Besonders deutlich wird dies, wenn die Qualifikationen der Beschäftigten mit den Anforderungen ihres Arbeitsplatzes verglichen werden. Insgesamt zwei Millionen geringfügig Beschäftigte sind überqualifiziert. Der DGB fordert deshalb: Minijobs nicht ausweiten, sondern gute, sozialversicherungspflichtige Arbeit ab dem ersten Euro.

 

Grafik mit Aussage: 2 Millionen Minijobber*innen sind überqualifiziert.

DGB via Canva.com

So viele Beschäftigte sind überqualifiziert für ihren Job

38,16 Millionen Menschen waren zum Stichtag 30. Juni 2021 in Deutschland sozialversicherungspflichtig oder ausschließlich geringfügig beschäftigt. Statistisch lassen sie sich nach ihren Qualifikationsniveaus einteilen. Auch ihre Tätigkeiten lassen sich nach Anforderungsniveaus klassifizieren. So lässt sich auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit ermitteln, wer über einen höheren Abschluss verfügt als die ausgeübte Tätigkeit ihn erfordert. Das waren zum 30. Juni 2021 insgesamt 5,16 Millionen Menschen, also 13,5 Prozent der Beschäftigten. Je nach Beschäftigungsform fällt der Anteil jedoch höchst unterschiedlich aus. Unter den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten waren 12,6 Prozent überqualifiziert, unter den geringfügig Beschäftigten (in „Minijobs“) hingegen 27 Prozent. Mit fast zwei Millionen stellen die geringfügig Beschäftigten allein zwei Fünftel aller Überqualifizierten in Deutschland, obwohl sie nur rund ein Fünftel der Beschäftigten ausmachen. Hier sind auch diejenigen eingerechnet, die den Minijob als Nebenjob neben einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit ausüben. Doch auch unter den ausschließlich geringfügig Beschäftigten waren 900.000 von 4,36 Millionen überqualifiziert, also 20,5 Prozent.

Schlimme Folgen für Arbeitsmarktchancen und Geldbeutel

Statistisch unterscheidet die Bundesagentur für Arbeit drei Arten von Berufsabschlüssen: ohne Berufsabschluss, mit anerkanntem Berufsabschluss und mit akademischem Berufsabschluss. Die Klassifikation der Berufe unterscheidet vier Niveaus: Helfertätigkeiten sind ungelernte oder Anlerntätigkeiten. Tätigkeiten für Fachkräfte erfordern eine zwei- bis dreijährige Berufsausbildung. Spezialistentätigkeiten erfordern zum Beispiel einen Meisterabschluss, den Abschluss an einer Berufsakademie oder einen Bachelorabschluss an einer Hochschule. Expertentätigkeiten setzen einen Hochschulabschluss, teils auch höhere Hochschulqualifikationen voraus. Vor diesem Hintergrund lassen sich – konservativ gerechnet – zumindest diejenigen Beschäftigten als überqualifiziert definieren, die mit einem anerkannten Berufsabschluss oder akademischen Berufsabschluss als Helfer*innen tätig sind. Ebenso ist als überqualifiziert anzusehen, wer mit akademischem Berufsabschluss als Fachkraft arbeitet.

Unterhalb des eigenen Qualifikationsniveaus zu arbeiten verschlechtert langfristig die Chancen, wieder eine Stelle zu finden, die den Qualifikationen entspricht. Man spricht auch von „Dequalifikation“. Das gilt erst recht für ausschließlich geringfügig Beschäftigte mit kurzer Wochenarbeitszeit. Die Hoffnung, über den Minijob den (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt zu finden, erfüllt sich daher oft nicht. Gerade für Frauen kann sich der Minijob daher als Qualifikationsvernichter erweisen. Unter den eigenen Möglichkeiten zu bleiben wirkt sich aber auch ganz unmittelbar auf das Gehalt aus. So verdienten zum 31.12.2020 sozialversicherungspflichtig vollzeitbeschäftigte Menschen mit anerkanntem Berufsabschluss als Fachkräfte im Mittel 3.201 Euro im Monat, als Helfer*innen 2.538 Euro. Akademiker*innen verdienten als Helfer*innen 2.405 Euro und als Fachkräfte 4.037 Euro, als Expert*innen hingegen 5.881 Euro. Sind Menschen im Minijob überqualifiziert, ist die Entgeltdifferenz noch größer, denn Minijobber*innen werden typischerweise pro Stunde deutlich schlechter bezahlt als ihre sozialversicherten Kolleg*innen. Zugleich ist die Wochenarbeitszeit sehr kurz.

Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro

Damit Minijobs nicht mehr zur beruflichen Sackgasse werden, fordert der DGB die Sozialversicherungspflicht bereits ab dem ersten Euro. Gibt es keine starre Grenze mehr, entfallen auch alle Anreize, die Arbeitszeit zu begrenzen – für Beschäftigte genauso wie für Arbeitgeber. Von den Sozialversicherungsbeiträgen könnten Beschäftigte durch einen Steuerzuschuss entlastet werden. Es ist hingegen ein kompletter Irrweg, die Minijobgrenze anzuheben, wie es die Bundesregierung plant. Denn dadurch werden noch mehr Menschen ohne vernünftige soziale Absicherung arbeiten müssen, und noch mehr Menschen droht die Entwertung ihrer Qualifikationen. Daran wird auch der verbesserte Übergang in den Midijobbereich nicht grundsätzlich etwas ändern. Die aktuelle DGB-Stellungnahme zu Minijobs kann hier nachgelesen werden.

Qualifikationen erhalten und fördern

Qualifikationen zu erhalten dient nicht nur den Interessen der Betroffenen, sondern nützt uns allen. Gut ausgebildete Fachkräfte sind Grundlage für einen stabilen Arbeitsmarkt und eine gute wirtschaftliche Entwicklung. Bestehende Qualifikationen zu erhalten und zu nutzen ist deshalb eine Kernaufgabe verantwortungsbewusster Arbeitsmarktpolitik. Die Praxis sieht allerdings anders aus: Während Arbeitgeber über Fachkräftemangel klagen, setzen viele von ihnen immer noch viele auf Minijobs und Niedriglohn. Während Qualifizierung in aller Munde ist, werden arbeitslose Menschen gedrängt, Arbeiten unter ihrer Qualifikation anzunehmen. Das Recht der Arbeitslosenversicherung sieht – anders als noch bis 1997 – keinen Qualifikationsschutz mehr vor, und im Bezug von „Hartz IV“ nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch gilt sogar jede Arbeit als zumutbar. Statt Menschen dabei zu unterstützen, dass sie nachhaltig und entsprechend ihren Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen, drängt das geltende Recht sie mit maximalem Druck dazu, um jeden Preis möglichst schnell die Arbeitslosigkeit zu beenden. Dadurch werden Qualifikationen langfristig und dauerhaft entwertet. Das passt nicht zum steigenden Fachkräftebedarf. Es ist an der Zeit, diesen arbeitsmarktpolitischen Kardinalfehler endlich zu korrigieren. Künftig muss in der Arbeitsvermittlung statt qualifikationsunabhängiger Zumutbarkeit der Erhalt von Qualifikationen wieder im Fokus stehen. In der Zielsteuerung der Arbeitsagenturen muss eine qualifikationsgerechte Vermittlung der Integrationsquote gleichgestellt werden.


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